
© Irina Höfken
„Wenn Sie zu dumm sind!“ - Corona befeuert Aggression in Hausarztpraxis
Zwei Jahre Pandemie
Die Corona-Pandemie sorgt für Ängste und Verunsicherung: Oft äußern sie sich in Aggression, wie es Arzthelferin Tina Eißing in Haltern erlebt. Das macht aber auch körperlich krank.
Das Besetztzeichen tutet durch den Hörer. Auflegen. Wieder anrufen: Dass Hundert Patienten in nur einer Minute gleichzeitig ihren Hausarzt erreichen wollen, ist seit Beginn der Corona-Pandemie in der Gemeinschaftspraxis von Jan und Friedhelm Bous in Haltern schon keine Besonderheit mehr.
Am Ende der Leitung in der Praxis an der Bahnhofstraße 10 sitzt Arzthelferin Tina Eißing. „Ich bin seit 20 Jahren im Beruf. Für mich ist das jetzt die schlimmste Zeit“, sagt sie offen im Gespräch mit unserer Redaktion. Nicht nur deswegen, weil das Praxisteam wegen Corona unter Dauerbelastung steht. Sondern vor allem, wegen der Anfeindungen, die sie ertragen muss.
Verunsicherung und Ängste: Aggression, Schlaganfall, Herzinfarkt
„Wenn Sie zu dumm sind, Impfstoff zu bestellen, dann suchen Sie sich einen anderen Job!“, wurde der 41-Jährigen schon an den Kopf geworfen. Dabei konnte die Praxis für zeitweise gekürzte Impfstofflieferungen nichts. Auch Schlimmeres habe sie sich anhören müssen, aber das wolle sie jetzt nicht weiter ausführen.
„Bei mir trauen sie sich das nicht“, sagt Hausarzt Dr. Jan Bous. „Mein Team kriegt vorne deutlich mehr ab als ich. Sie haben meinen Respekt dafür, dass sie trotzdem ihre Ruhe bewahren.“ Die zunehmende Aggression erklärt sich der Allgemeinmediziner durch umgeleitete Ängste und Verunsicherung. Und das sei wohl die größte Veränderung, die er bei seinen Patienten seit Pandemiebeginn beobachtet.

Dr. Jan Bous stellt immer mehr psychische und körperliche Leiden durch die Corona-Pandemie bei seinen Patienten fest. © Irina Höfken
Dauerstress, Sorgen und Ängste lösen neben den psychischen Beschwerden auch immer mehr körperliche Leiden aus, so Bues. Durch stetig hohen Puls und hohen Blutdruck wächst die Gefahr, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu bekommen.
Um sich nicht zu infizieren: Viele Halterner schränken sich stark ein
Bei der Glücksumfrage unserer Redaktion „Zwei Jahre mit Corona: Mensch, wie glücklich bist Du?“ haben 289 Menschen aus Haltern teilgenommen und auch unsere Fragen rund um ihre Gesundheit beantwortet. „Deutlich“ mehr Sorgen machen sich seit Beginn der Pandemie 68 Menschen um ihre eigene Gesundheit. Wiederum 62 Halterner betrifft das „kaum“. Die Mehrheit, mit 90 Stimmen, antwortet „etwas“.
Auffällig ist aber, dass sich die meisten von ihnen trotzdem persönlich „stark“ einschränken, um sich vor einer Infektion zu schützen. Das sagen 121 Halternerinnen und Halterner. Die Minderheit schränkt sich „kaum“ (33 Stimmen) oder „gar nicht“ (17) ein.
Die Verunsicherung kann lebensbedrohlich werden
Die Verunsicherung, die Dr. Jan Bous wahrnimmt, resultiert in zwei gegensätzliche Strömungen, wie er schildert. Auf der einen Seite achten einige Menschen, vermutlich angestoßen durch die Pandemie, jetzt sehr genau auf ihren Körper und befürchten bei nur kleinen Symptomen, es könne sich um eine sehr schwere Krankheit handeln. In vielen Fällen kann diese Sorge nach der Untersuchung genommen werden. Auf der anderen Seite kommen Menschen mit starken Beschwerden vorerst gar nicht - und dann zu spät.
„Ich wollte Sie nicht zusätzlich belasten“, habe ein Patient Tina Eißing gegenüber erklärt. Andere sorgen sich davor, sich zusätzlich mit dem Coronavirus anzustecken. „Aber die Mädels haben dafür einen guten Blick und schicken sie dann direkt zu mir durch“, sagt Jan Bous. In manchen Fällen kam jede Hilfe dann schon zu spät. Ohne eine gute Teamarbeit sei die Arbeit aktuell einfach nicht zu stemmen. „Ich verlasse mich blind auf mein Team und andersherum gilt das genau so.“

Die Gemeinschaftspraxis von Jan und Friedhelm Bous in Haltern. © Irina Höfken
Rat vom Arzt: Akutsprechstunde in Anspruch nehmen
Ob er und sein Team durch Corona verunsichert sind? „Dafür haben wir gar keine Zeit, überhaupt darüber nachzudenken. Die kassenärztliche Vereinigung gibt uns einen klaren Rahmen vor, den wir umsetzen“, sagt Dr. Bous. Tina Eißing ergänzt: „Wir sind alle geboostert, wir schützen uns. Sonst würde ich gar nicht mehr in den Schlaf finden. Wir arbeiten ganz einfach damit.“ Für beide ist klar: Sie machen weiter, so lange wie es eben dauert.
Wichtig zu betonen ist für Dr. Jan Bous, dass jede Patientin und jeder Patient mit seinen Sorgen und Ängsten ernst genommen wird. Bei unklaren Symptomen sollte nicht nur „Doktor Google“ befragt werden: „Dafür haben wir und viele meiner Kollegen in Haltern eine Akutsprechstunde.“
„Hömma, hasse dat schon gehört?“ So (oder so ähnlich) beginnen die besten Geschichten aus dem Pott, wo ich zu Hause bin. Es gibt nichts Besseres, als diese aufzuspüren und dann in Text, Bild und Video festzuhalten.
