Dr. Claus Rüdiger Haas, ärztlicher Direktor der LWL-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

© Ingrid Wielens

Braucht mein Kind Hilfe? Experten-Tipps: So meistern Familien die Corona-Krise

rnLeserumfrage

Die Pandemie stellt Familien vor große Herausforderungen. Woran erkenne ich, dass mein Kind professionelle Hilfe braucht und was belastet es am meisten? Experten aus Haltern geben Antworten.

Haltern

, 07.02.2022, 17:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der Blick nach rechts und links verrät: Die seit zwei Jahren andauernde Corona-Pandemie stellt jeden von uns vor eine große Belastungsprobe. Uns allen stellt sie Hürden in den Weg, die genommen werden müssen. An unserer Umfrage: „Zwei Jahre mit Corona: Mensch, wie glücklich bist Du?“ haben 289 Halternerinnen und Halterner teilgenommen und uns einen Einblick in ihr persönliches Leben gewährt.

Die Antworten belegen, dass die Pandemie das persönliche Leben der Menschen in Haltern teilweise sehr stark belastet. 119 Halterner gaben an, dass sie „deutlich“ belastet sind, nur vier spüren eine Belastung „gar nicht“.

Jetzt lesen

Große Unsicherheit: Die Angst vor einer unsichtbaren Gefahr

„Unsicherheit“ ist wohl die Überschrift, die über der jetzigen Phase des Lebens steht, meint Hildegard Schindler. Sie leitet die Erziehungsberatungsstelle in Marl und Haltern. „Was ist gut, was ist nicht gut? Das täglich seit Beginn der Pandemie abwägen zu müssen, für sich selbst und seine Kinder, ist eine lange Zeit. Es gibt viel Unsicherheit.“

Ist es richtig, seinen Geburtstag zu feiern? Zur Familienfeier zu gehen? Seine Großeltern zu umarmen oder ins Kino zu gehen? Eine große Belastung für die Familien sei vor allem die Angst vor dieser Gefahr, die man nicht sieht, so Schindler.

Hildegard Schindler, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle in Marl und Haltern.

Hildegard Schindler, Leiterin der Erziehungsberatungsstelle in Marl und Haltern. © Irina Höfken

In unserer Umfrage geben die Halterner an, dass ihre Kinder vor allem darunter leiden, weniger Kontakte zu haben. 67 von 191 Elternteilen sagen, dass ihre Kinder damit „sehr deutlich“ zu kämpfen haben, ebenfalls 67 sagten „deutlich“. Angst, dass ihre Kinder vereinsamen, an Spielsucht oder Ess-Störungen durch die Pandemie erkranken, haben die Eltern aus Haltern aber nicht.

Die Gefahr, an einer Ess-Störung zu erkranken, habe mit der Suche nach Kontrolle zu tun, erklärt Dr. Claus Rüdiger Haas. Er ist ärztlicher Direktor der LWL-Klinik in Marl-Sinsen für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Jede Woche neue Regeln, Lehrer sind nicht da. Die Menschen, die Struktur brauchen, leiden extrem und die Gefahr einer Zwangserkrankung erhöht sich bei der Suche nach Kontrolle.“

Extrovertierte Menschen kommen ebenfalls hochgradig an ihre Grenzen, wohingegen sich Introvertierte besser arrangieren können. „Wenn Corona vorbei wäre, würde ich nicht in mein altes Leben zurückwollen, ich treffe jetzt mehr Menschen digital und das ist okay so“, lautete beispielsweise eine Antwort eines 17-Jährigen, wie Dr. Haas berichtet.

Braucht mein Kind Hilfe? Auf diese Symptome müssen Eltern achten

Wichtig für Eltern ist, zu wissen, welchem Typ ihr Kind entspricht. „Gerade für die Kinder, die Schwierigkeiten mit neuen Situationen haben, sollten Eltern immer wieder neu anleiten, wie sie sich auf Neues einstellen können“, lautet der Rat vom Experten. „Eine Therapie wird dadurch allerdings nicht ersetzt“, betont Haas.

Die Schwelle für Kinder, Hilfe einzufordern, sei aber grundsätzlich hoch. Deshalb ist es um so wichtiger, die Symptome frühzeitig zu erkennen und professionelle Unterstützung zu suchen, wenn...

  • ... sich die Fehlzeiten der Kinder in der Schule erhöhen.
  • ... sich ihre Rituale verändern.
  • ... sich die Interessen verschieben oder verloren gehen.
  • ... sich die Kinder zurückziehen und im Zimmer einschließen.
  • ... sie sich selbst verletzen, als Ausdruck innerer Not.
  • ... sie mehr Schlaf als vorher benötigen.

„Es ist ein Prozess“, betont Hildegard Schindler. Sowohl sich auf die Pandemie und die damit verbundenen Regeln und Einschränkungen einzustellen als auch wieder Vertrauen zu fassen und nichts mehr fürchten zu müssen. Sich wieder mit Freunden treffen zu können, sei für viele Menschen wichtig. Dabei aber gleichzeitig ein ungutes Gefühl zu haben, man sei zu nah beieinander, seien aufgebaute Ängste, die erst wieder abgebaut werden müssen. Die durch die Einschränkungen entwickelten sozialen Ängste werden einige womöglich noch lange begleiten.

Jetzt lesen

Ratschläge und Tipps, um die Krise durchzustehen:

Allgemeingültige Tipps, wie Familien die Krise am besten bewältigen können, haben die Experten nicht parat. Denn was für die eine Familie hilft, kann für eine andere genau das Gegenteil bewirken. Sprich: Während ein Ausflug in die Natur dem einen Ruhe und Ausgelassenheit bringt, kann er für jemanden, der sich nach draußen quälen muss, das Defizitdenken bestärken - „Wieder etwas, das ich nicht hinbekommen habe“, so Haas. Das ist die Schwierigkeit. „Die Frage ist, was passt zu mir? Ich darf alles, wenn ich mein Leben so in den Griff bekomme.“

Kindern positives Denken und Stabilität vermitteln zu wollen, wenn ihre Eltern selbst verunsichert sind, kann laut Experten-Meinung nur nach hinten losgehen. Ein ergänzender Ratschlag von Dr. Claus Rüdiger Haas lautet daher: „Kinder glauben immer das Gefühlte, nicht das Gesagte. Es hilft nur, offen und ehrlich zu sein.“

Die sich seit zwei Jahren permanent verändernde Situation birgt aber nicht nur Potenzial für Unsicherheit, sondern auch für die Hoffnung, gibt Hildegard Schindler zu bedenken. Die Hoffnung sei da, dass sich die pandemische Lage in den wärmeren Monaten wieder entspannen wird. Es heiße schließlich nicht umsonst: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“.

Der Gemeinschaftsgedanke ist dabei ebenfalls ein wichtiger Faktor, positiv nach vorne zu blicken: „Alle gehen auf der letzten Rille. Das müssen wir anerkennen. Wir sind gemeinsam in der schwierigen Situation und versuchen gemeinsam, da durchzukommen“, sagt Dr. Claus Rüdiger Haas.

Lesen Sie jetzt