Kunden wünschen sich Vielfalt und Qualität Sterben die kleinen Wochenmärkte in Dortmund aus?

Kunden erwarten Vielfalt und Qualität auf den Wochenmärkten im Westen
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Später Dienstagvormittag (6.8.), die Sonne sengt am tiefblauen Himmel. Schatten bieten allein die Vordächer der Verkaufswagen, die Baumwollbaldachine über den Ständen und die Marktschirme. Immer wieder, aber vereinzelt stehen Kundinnen vor dem langen Obst- und Gemüsestand. Wochenmarkt in Dortmund-Huckarde.

Alexander Heimann packt derweil die ersten 30er Eier-Pappen in einen Karton. „Ferien und dann diese Temperaturen“, sagt er. „Wir bauen jetzt langsam ab.“ Die Dortmunder seien normalerweise nicht so wetterempfindlich. „Hierher kommt man auch trotz schlechten Wetters. Aber wenn das jetzt zu heiß ist, kommen weniger Leute.“ Dauerregen oder Starkregen aber seien das Schlimmste. „Da fehlt auch die Laufkundschaft.“ Markthändler seien eben „sehr wetterabhängig“.

Derlei Laufkundschaft steht kurze Zeit später vor den Eierpappen. Mutter und Sohn. Stirnrunzeln. „Junger Mann, können wir dir noch helfen?“, fragt Heimann. Schweigen. Die Mutter fragt nach Eiern in Größe M. „L oder XL haben wir noch“, sagt Alexander Heimann und hält ein Ei hoch. Die Kundin lehnt ab, verlässt den Markt.

Eine Herzensangelegenheit

„Es werden überall M-Eier propagiert“, sagt der Händler im Gespräch mit unserer Redaktion. Damit passe der Absatz der Discounter. „Mit einem L-Ei kann man genauso backen wie mit einem XL-Ei. Nein, wir brauchen M-Eier.“ Der studierte Landwirt schüttelt verständnislos den Kopf. „Dann stehen sie da und weinen.“ Ein Vermittlungsproblem. „Schwierig.“

Alexander Heimann, 40 Jahre alt, aus einem 500-Seelen-Dorf östlich von Werl. Händler für Obst und Gemüse aus regionalem Anbau. „Eier vom Kollegen aus Werne, das Gemüse bei uns aus Werl-Mawicke“, erzählt er. „Klar, Südfrüchte nicht, das geht über den Großhandel.“

Je zwei Tage steht er in Iserlohn und Huckarde auf dem Markt plus einen Tag für das Einkaufen. „Reicht, 80 Stunden die Woche“, sagt Heimann. „Genug wenig Zeit für die Familie.“ Der studierte Landwirt grinst. Nein, nach seinem Stundenlohn dürfe man nicht fragen. Aber: „Wochenmarkt ist eine Herzensangelegenheit.“

Alexander Heimann mit Früchten hinter seinem Marktstand in Dortmund-Huckarde.
Alexander Heimann kommt aus Werl nach Huckarde auf den Wochenmarkt. © Uwe von Schirp

„Ich kann meinem Kollegen und Kegelbruder, der mir das Gemüse schneidet, morgens um 5 Uhr bei der Arbeit zugucken und die ganze Saison gucken, wie es wächst“, sagt Alexander Heimann. Er könne den Leuten etwas über die Produkte vermitteln. „Viele Händler haben keinen Bezug mehr zur Ware.“ Und eben jene fachfremde Kollegen kritisiert er: die auf dem Großmarkt Restbestände einkaufen und als Ramschware zu Niedrigstpreisen anbieten.

Denn genau das sucht die junge Mutter mit zwei Kindern nicht. Zufällig seien sie hier, erzählt sie, weil sie einen Termin beim Kinderarzt hatten. „Hier habe ich doch das Gefühl, dass ich vielleicht etwas von dem bekomme, der es anbaut“, sagt die Kundin am Kartoffel- und Eierstand nebenan. An diesem Dienstagvormittag kauft sie nur Kartoffeln. Sonst auch Obst und Gemüse. „Das ist eine direkte Vermarktung. Anders als ein Supermarkt.“

Qualität ist auch der Jungseniorin wichtig. Eigentlich sei sie gar nicht die typische Marktgängerin. Ihre Schwester bringe ihr die Sachen mit: „grundsätzlich Eier und ab und zu Gemüse, Obst, das war‘s“. Die seien auf dem Markt „besonders gut, besser als beim Discounter.“

Die Gespräche in den Marktreihen haben einen Tenor: Es sind die Qualitätsversprechen für frische Produkte, möglichst vom Erzeuger, die die Kunden auf den Wochenmarkt ziehen – egal wie oft sie hier einkaufen.

Gemüse am Marktstand
Marktkunden schätzen frische Produkte, möglichst direkt vom Erzeuger. Das Gemüse von Alexander Heimann baut ein befreundeter Landwirt aus der Nachbarschaft in Werl an. © Alexander Heimann

Der Fischhändler schätzt diese Anerkennung durch Kunden. „Ausgezeichnet, hervorragend“ sei sein Geschäft. „Wirklich. Besser könnte man es nicht haben.“ Das hat einen Grund: Fisch sei „ein ausgezeichnetes Produkt zu einem handelsüblichen Preis und Sie bekommen es nicht im Supermarkt“.

Kai Falkenrich, 53 Jahre alt, wohnt in der Bittermark. Sein Verkaufswagen ist 10,40 Meter lang. Mit Kühlanhänger kommt das Gespann auf beeindruckende 15,40 Meter. 37 Jahre und in dritter Generation ist er bereits im Betrieb. Fünf-Tage-Woche: zwei Tage Huckarde, zwei Tage Hombruch, einen Tag vor Edeka Nüsken Im Defdahl in der Gartenstadt.

„Seine Zeit darf man nicht zu ernst nehmen“, sagt auch Kai Falkenrich. Natürlich. Sein Arbeitstag ist in der Tat lang. „Ich stehe um 0.45 Uhr auf und komme um 17.30 Uhr aus dem Büro.“ Schon um 2 Uhr platziert er den langen Verkaufswagen auf den Märkten.

Drei Viertel sind Stammkunden

Um 6 Uhr kommen die Mitarbeiterinnen. Die vier Stunden zuvor – „die schönste Zeit, wenn ich allein bin“. Der Firmenchef bestückt die Kühltheke, frittiert und brät am rückseitigen Herd die Spezialitäten. Zwischen 7 und 8 Uhr beginnt dann der Verkauf. Trotz sommerlicher Temperaturen, trotz Ferien ist der Händler zufrieden.

Kunden, die auf die letzte Minute kommen, gehen an diesem Mittag leer aus. Die warmen Imbiss-Spezialitäten sind bereits aus. Kai Falkenrich und seine Mitarbeiterinnen räumen die Auslage, reinigen den Wagen. „Im Büro folgt dann die Dokumentation“, sagt der Firmeninhaber.

2007 übernahm er den Handel von seinem Vater. „Eine Metamorphose“, sagt Kai Falkenrich. „Das Geschäft hat sich um 180 Grad gedreht.“ Die Kundschaft habe sich verändert und erkannt, dass man Fisch lecker selber kochen könne. „Und für kleines Geld.“ Während der Corona-Zeit habe die Entwicklung mit vielen Neukunden ihren Höhepunkt erreicht. Heute seien 70 bis 80 Prozent Stammkunden.

Kai Falkenrich hinter der Kühltheke in seinem Fischwagen.
Fischhändler Kai Falkenrich ist rundum zufrieden mit dem Marktgeschäft. Er bietet Produkte an, die es in der Form selten in Supermärkten gibt. © Uwe von Schirp

Fischfeinkost Falkenrich ist ein Familienbetrieb. Ehefrau und Töchter gehören zum Team. Kai Falkenrich indes ist Realist. Er zweifelt, dass seine Kinder den Betrieb in vierter Generation weiterführen werden. Sie studieren. Das wenig familienfreundliche Marktgeschäft ist da nur zweite Option.

Die Arbeitszeiten scheinen ‚aus der Zeit gefallen zu sein‘. Viele Kunden wundern sich, dass immer weniger Händler auf den Wochenmärkten stehen. Nicht nur in Huckarde, auch in Mengede und Lütgendortmund. Aber ist dem so?

An diesem Dienstagvormittag zählen wir in Huckarde 12 Händler. 15 Händler haben aktuell für dienstags die Standgenehmigung, erklärt Stadtsprecher Christian Stein auf Anfrage. Im Jahr 2020 waren es noch 20. Das ist ein Rückgang um 25 Prozent. Für den Freitag als zweiten Markttag gibt es 18 Standgenehmigungen. 2020 waren es 23 (minus 22 Prozent).

Der Huckarder Wochenmarkt ist der mit den meisten Ständen im Dortmunder Westen. Wenn sich die Anzahl auch nicht groß unterscheidet. In Mengede haben mittwochs 13 Händler (2020: 15) eine Standgenehmigung, samstags sind es 16 (15). In Lütgendortmund sind es mittwochs 14 (17), samstags 12 (16). dass nicht immer alle Händler vor Ort sind, hat in der Regel individuelle Gründe: etwa Urlaub, Krankheit oder Personal-Ausfälle.

Manche Händler treibt die Sorge um, durch den Rückgang an Ständen verliere der Markt an Attraktivität. „Keine Stände, keine Leute“, lautet unter Marktbeschickern wie Kunden die einfache Formel. Auch der Handel in den Stadtbezirkszentren stimmt mit ein. „Der Wochenmarkt sorgt für Frequenz“, sagen vor allem die Geschäftsleute in unmittelbarer Nähe zu den Märkten.

Ein Beispiel liefert die Seniorin aus dem Jungferntal auf dem Huckarder Markt. „Ich gehe gezielt hier hin, Dienstag und Freitag“, erzählt sie. „Ich habe kein Auto mehr, darum komme ich mit dem Bus.“ Naheliegend, dass sie andere Einkäufe auch an diesen beiden Tagen erledigen wird. Wünsche habe sie nicht. „Der Huckarder Markt ist schön“ – auch wenn „manche weg sind“.

Die Seniorin hat eine Bekannte getroffen und plaudert. Die ist Gelegenheits-Marktbesucherin und wünscht sich mehr Bio-Produkte. „Aber da ist Huckarde wahrscheinlich nicht der richtige Ort“, sagt sie. „Dafür muss man dann zum Hansemarkt gehen.“

Blumenhändler auf dem Heinrich-Sondermann-Platz in Lütgendortmund.
Blumenhändler sind elementarer Bestandteil eines jeden Wochenmarktes. © Uwe von Schirp

Die Stadt Dortmund kann bei der Händler-Statistik „aus technischen Gründen“ keine Differenzierung nach Warengruppen vornehmen, schreibt Christian Stein. An diesem Dienstagvormittag sind es in Huckarde drei Obst und Gemüsehändler, ein Händler für Kartoffeln und Eier, ein Fischhändler, ein Geflügelhändler, ein Blumenhändler, ein Bäcker, ein Händler mit Lederwaren und Uhren sowie drei Textilhändler.

„Der typische Markt, wie es früher war, ist ja nicht mehr“, sagt die Jungseniorin, der Qualität wichtig ist. „Aber man kriegt alles, wenn man will. Es sind nur weniger Stände als früher.“ Also vermisst sie nichts? Eigentlich nein – aber: Der Hansamarkt sei schön, nicht wegen des Einkaufens. „Man trifft sich da. Es wurde auch schon mal was getrunken. Man hat miteinander geredet.“

Das wäre „natürlich“ auch eine Option für den Huckarder Markt. „Ich glaube, das würden viele annehmen“, sagt sie. „Am Fischstand wird ja auch gegessen. Wenn man dann vielleicht auch ein Gläschen Wein dazu trinken kann...“

Unmöglich ist das nicht. Die Stadt führe bereits erste Gespräche, schreibt Sprecher Christian Stein. „Die dezentralen Märkte in den Vororten sieht die Stadt Dortmund weiterhin als besondere gesellschaftliche Orte an. Daher wollen wir gemeinsam mit den Händlern vor Ort die Geselligkeit erhöhen - durch einen Ausbau des gastronomischen Angebots sowie verschiedene kleine Eventreihen.“