Dirk Becker ist fast täglich mit dem Fahrrad zwischen seiner Wohnung im Kreuzviertel und seinem Büro an der Arndtstraße im Kaiserviertel unterwegs. Der Architekt kennt also Freud und Leid des Radfahrens in Dortmund bestens.
Sein grundsätzliches Urteil: Dortmund hat ein Radwegenetz mit vielen Löchern. Einige sind in den letzten Jahren geschlossen, andere dagegen sogar noch größer geworden. Der Radwall und die ersten Fahrradstraßen in der Innenstadt seien ein „Riesen-Fortschritt“, sagt Dirk Becker. „Aber ich sehe auch, dass die alte Infrastruktur immer mehr verfällt.“
Dass sich einiges getan hat in Sachen Radverkehr in Dortmund, ist nicht zu übersehen. Der Ausbau der Infrastruktur ist Teil der Verkehrswende, die auch von der Politik zu einem wichtigen Thema erklärt wurde. In Zeiten des Klimawandels gilt es, umweltfreundliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder Bus und Bahn zu fördern. Wie weit das zu Lasten des Autoverkehrs gehen kann oder darf, ist eines der strittigen Themen.
Unstrittig ist dagegen, dass es bei der Rad-Infrastruktur großen Nachholbedarf gibt. In den Programmen zur Kommunalwahl findet sich das in den Programmen aller großen Parteien wieder.
Das steht in den Programmen
Mit „Mobilität für alle“ ist das entsprechende Kapitel im Kommunalwahl-Programm 2020 der SPD überschrieben. Die Sozialdemokraten wollen, dass alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sein sollen. „Wir wollen niemandem vorschreiben, welches Verkehrsmittel vorrangig genutzt wird“, heißt es. „Aber wir wollen allen die Möglichkeit geben, es sich wirklich aussuchen zu können.“
Das gelte vor allem für das Fahrrad. Ziel sei „ein geschlossenes Netz von hoher Qualität und Sicherheit“. Das fehle bislang in Dortmund, räumt die SPD ein. Dabei müsse man vor allem an die schwächsten Nutzer denken wie etwa Kinder. „Für diese brauchen wir vor allem ein sicheres Radwegesystem mit breiten und deutlich abgegrenzten Spuren“, heißt es im Wahlprogramm.
Für den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) wünscht man sich bessere Takte sowie den Ausbau von Schienenstrecken und H-Bahn – und ein 365-Euro-Jahresticket für das ganze Ruhrgebiet.
Im Programm zur Projekt-Partnerschaft von Grünen und CDU im Rat wird eine „klimagerechte Mobilität der Zukunft“ als Ziel ausgegeben. Auch hier heißt es: „Der öffentliche Raum soll gleichberechtigt für alle Verkehrsteilnehmenden zur Verfügung stehen.“ Dazu müssten Rad- und Fußverkehr sowie Busse und Bahn konsequent gestärkt werden. Dazu gebe es bereits viele Ideen. Beklagt wird aber „ein eklatantes Umsetzungsdefizit in der Verwaltung“.
Schließlich nennen Grüne und CDU 31 Punkte, mit denen man Verbesserungen im Mobilitätsbereich erreichen will. Das reicht vom Aufbau eines kommunalen Verkehrswegeplans über mehr Tempo-30-Bereiche bis zu direkten Rad- und ÖPNV-Verbindungen in die Innenstadt.
Neben dem Bau neuer Radwege und der Ausweisung von Fahrradstraßen wünschen sich Grüne und CDU die stufenweise Einführung eines „kostenfreien Nahverkehrs für alle Kinder und Jugendlichen in Abstimmung mit dem VRR“.
Und wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Zumindest SPD und CDU zeigen sich halbwegs zufrieden. Der Rat habe wichtige Beschlüsse für die Verkehrswende getroffen, heißt es. Die Grünen freuen sich, dass auf ihren Wunsch hin, ein Verkehrswendebüro in der Verwaltung eingerichtet wird. Die SPD verweist auf die Fortschritte beim Masterplan Mobilität mit der neuen Radverkehrs-Strategie und dem Konzept der „schnell umsetzbaren Velorouten“ aus den Stadtbezirken in die Innenstadt. Hier sieht sich vor allem die CDU in ihrem Wunsch bestätigt, für den Radverkehr vorrangig Nebenstraßen zu nutzen.
Ein Wunsch bleibt allerdings auch für die Christdemokraten offen: die Durchquerbarkeit der City per Rad. „Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass die Velorouten nicht am Wall enden, sondern bis in die City und auf zwei Achsen in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung auch durch die City führen.“ „Da tut sich bislang nichts“, beklagt auch Radfahr-Experte Dirk Becker.

Die Grünen zeigen sich in der von unserer Redaktion angefragten Halbzeit-Bilanz zur Mitte der Wahlperiode generell weniger zufrieden mit dem Erreichten. Dortmund habe in Sachen Radverkehr noch immer einen „extremen Nachholbedarf“, stellen sie fest. Maßnahmen wie der Radwall oder auch die jetzt beschlossenen Velorouten seien wichtige Projekte, die auf den Weg gebracht wurden. Die Grünen machen aber kein Hehl daraus, dass sie sich höhere Qualitäts-Standards für alte und neue Radwege wünschen.
„In den jetzt sukzessive vorgelegten Routen-Verläufen zeigt sich, dass es die von uns geforderten Standards braucht, damit die Routen wirklich dazu beitragen, das Alltagsradfahren in Dortmund besser und sicherer zu machen. Bei manchen Strecken- und Ausführungen hat man letztlich den Verdacht, dass es stattdessen darum geht, dem Autoverkehr nicht weh zu tun.“
Und noch etwas ärgert die Grünen: das Schneckentempo bei der Umsetzung von beschlossenen Maßnahmen für den Radverkehr. „Die Hoffnung, dass Dortmund tatsächlich auf dem Weg zum „Kopenhagen Westfalens“ ist, schwindet weiter, wenn man sieht, wie sich selbst kleinste Radmaßnahmen endlos lang verzögern“, stellt die Fraktion etwa mit Blick auf die Verlängerung des „Bananenradwegs“ in der Innenstadt fest. Die Stadt habe für eine 1,5 Kilometer lange Weiterführung auf einer ehemaligen Bahntrasse fünf Jahre gebraucht. Jetzt soll die Strecke im September vollendet sein.

Viel zu lange dauert es den Grünen auch bei der Schaffung von Abstellmöglichkeiten für Fahrräder oder auch Bike-and-Ride-Anlagen. Die CDU erinnert ebenfalls daran, dass der Bau von mehreren Fahrradhäusern mit bis zu 50 Plätzen in der City mit Standorten an der Olpe, an der Hansastraße, am Platz von Hiroshima und am Friedensplatz beschlossen wurde.
„Die Abstimmungen zur Gestaltung und auch zur finalen Betreiberschaft sind noch nicht abgeschlossen“, teilt die Verwaltung dazu auf Anfrage mit. Und zu den Bike-and-Ride-Anlagen heißt es: „Nach der Radverkehrsstrategie soll gerade an den ÖPNV-Verknüpfungspunkten das gesicherte Fahrradparken ausgebaut werden. Hierzu erarbeitet die Verwaltung aktuell ein Umsetzungskonzept, welches mit Hilfe von Fördermitteln realisiert werden soll. Das Umsetzungskonzept soll in der zweiten Jahreshälfte in die politischen Gremien eingebracht werden.“

In Sachen ÖPNV verweisen die Fraktionen auf Untersuchungen zum Ausbau von Stadtbahn- und H-Bahnstrecken und Schnellbus-Linien. Mit Blick auf eine stufenweise Einführung eines kostenfreien ÖPNV für Kinder und Jugendliche erinnert die CDU an die Einführung des Deutschland-Tickets. Hier solle es auch für Kinder und Jugendliche demnächst attraktive Lösungen geben, heißt es.
Die SPD verweist stolz darauf, dass in Ergänzung zum Deutschland-Ticket auch die Kosten für das Sozialticket in Dortmund auf 29 Euro gesenkt werden sollen. Die Umsetzung des Rat-Beschlusses gestaltet sich allerdings kompliziert. Das Sozialticket für 29 Euro soll nun ab 1. August im VRR-Bereich gelten – allerdings zunächst nur für vier Monate, bis Ende November. Ab Dezember soll es dann ein bundesweit gültiges Sozialticket („Deutschlandticket Fair“) für 39 Euro geben.
Das Fazit:

Rad-Pendler Dirk Becker bringt es auf den Punkt: Bei allen Fortschritten in Sachen Radverkehr ist vieles immer noch Stückwerk. Vorzeige-Projekten wie dem Radwall oder neu markierten Kreuzungen stehen „kaum noch benutzbare Wege“ gegenüber, stellt er fest. Viele Verbesserungen wie die Velorouten oder auch der Radschnellweg Ruhr stehen bislang nur auf dem Papier und kommen - wenn überhaupt - nur im Schneckentempo voran.
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