Dr. Andrea Nanni Hunn aus Dorstfeld bereitet mit ihrem Praxisteam die Impfungen im St. Antonius Altenheim vor. Man muss sehr vorsichtig mit dem Impfstoff umgehen.

© Freddy Schneider

„Wie ein rohes Ei“: Ein Corona-Impftag im Altenheim mit Dr. Nanni Hunn

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Bewohner von Altenheimen und Mitarbeiter bekommen die Spritze gegen das Coronavirus. Der organisatorische Aufwand, den Heime und Ärzte haben, wird unterschätzt. Eine Reportage aus Dortmund.

Huckarde

, 12.01.2021, 17:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Das neunköpfige Team ist hochkonzentriert. Niemand redet. Alle haben sich um die Chefin versammelt. Die Augen sind auf die Finger von Dr. Andrea Nanni Hunn gerichtet.

Die Allgemeinmedizinerin aus Dorstfeld will zum ersten Mal eine Corona-Impfung aufziehen. Doch bevor das möglich ist, muss sie erst den Impfstoff von Biontech/Pfizer mit steriler Kochsalzlösung verdünnen. Dafür spritzt die Ärztin 1,8 Milliliter NaCl-Lösung in die kleine Ampulle.

Einspritzen ist ein wenig schwierig

„Es will nicht so richtig“, sagt die Ärztin. Das Einspritzen der Lösung ist ein wenig umständlich. Die Ärztin will alles richtig machen und die exakte Menge hereingeben. Dann, nach einer gefühlt langen Minute: „Geschafft!“

Dr. Nanni Hunn arbeitet als Hausärztin in Dortmund-Dorstfeld.

Dr. Nanni Hunn arbeitet als Hausärztin in Dortmund-Dorstfeld. © Christian-Felix Schwalm


Das Praxis-Team atmet auf. Aber noch ist der Impfstoff nicht einsatzbereit. Die Ärztin schwenkt den Impfstoff, damit sich Kochsalzlösung und der Wirkstoff vermischen. „Ihr müsst die Ampullen behandeln wie ein rohes Ei“, erklärt Dr. Hunn ihrem Team. „Sonst ist der Impfstoff nicht zu gebrauchen.“

Niemand will die hochkonzentrierte Ärztin stören

Die Ärztin zieht die Spritze mit dem kostbaren Impfstoff aus der kleinen Ampulle auf. Ihr kritischer Blick prüft genau, dass 0,3 Milliliter in der Spritze sind. Sie sieht zufrieden aus, legt die erste Impfung vorsichtig in eine Nierenschale.

Der Impfstoff wird im Kühlschrank gelagert. Angeliefert wurden 35 Ampullen, aus denen man fünf bis sechs Impfdosen aufziehen kann.

Der Impfstoff wird im Kühlschrank gelagert. Angeliefert wurden 35 Ampullen, aus denen man fünf bis sechs Impfdosen aufziehen kann. © Fredddy Schneider

Erst jetzt kommt wieder Bewegung ins Team mit den acht Mitarbeitern. Vorher hat sich kaum jemand getraut, sich zu bewegen. Niemand möchte die Ärztin in ihrer Konzentration stören. Einige halten kurz die Luft an.

Impfstoff kam mit Polizeischutz

An diesem regnerischen Dienstag bekommen die Bewohnerinnen und Bewohner des St.-Antonius-Altenheimes sowie die ersten Mitarbeiter in Huckarde ihre erste Impfeinheit.

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Der Impfstoff ist am Vortag in 35 kleinen Ampullen angeliefert worden. „Mit Polizeischutz – in riesigen Kühlboxen“, erzählt Stephan Schaeper, Leiter des Seniorenheims. Niemand will riskieren, dass der hochsensible Impfstoff beschädigt oder gar gestohlen wird.

„99 von 100 Bewohnern lassen sich heute impfen“, sagt Schaeper tags drauf. Und 80 von 100 infrage kommenden Mitarbeitern sagen Ja zur Corona-Impfung. „Infrage kommende Mitarbeiter bedeutet, dass wir Stillende, Schwangere und Langzeitkranke rausgerechnet haben. Genauso wie die Mitarbeiter, die in Elternzeit sind.“

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Mit der Quote ist er zufrieden. Zuerst hätten einige Mitarbeiter Bedenken geäußert. „Vor allem jüngere Kolleginnen hatten Angst, dass sich eine Impfung möglicherweise negativ auf ihre Fruchtbarkeit auswirken kann. Diese Bedenken konnten wir aber schnell nehmen“, sagt Schaeper.

Hilfe hätte das Seniorenzentrum St. Antonius von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) bekommen können. Die KVWL hätte ein Ärzteteam vermitteln können. Doch das war gar nicht nötig. Das Seniorenzentrum wollte mit einer vielen Bewohnern bekannten Ärztin zusammenarbeiten: Dr. Nanni Hunn.

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Vor Weihnachten erhielten alle Mitarbeiter ein Info-Schreiben von Stephan Schaeper. Darin legte er ihnen nahe, sich impfen zu lassen. „Erstmal haben wir keine Einverständniserklärung mitgeschickt, weil wir keinen Druck ausüben wollten“, erklärt er nun. Vor Silvester kamen dann die Einwilligungsaufforderungen per Post nach. „So konnten sich alle ausreichend informieren.“

Im St. Antonius Altenheim in Dortmund-Huckarde sind am Ende des Tages 99 von 100 Bewohner geimpft.

Im St. Antonius Altenheim in Dortmund-Huckarde sind am Ende des Tages 99 von 100 Bewohner geimpft. © Freddy Schneider

Auch die Bewohner wurden per Brief von Schaeper und seinem Team aufgeklärt. Dem Brief lag ein Schreiben von Dr. Nanni Hunn bei. „Das Vertrauen ist größer, wenn noch eine Fachfrau erklärt, wie wichtig die Impfung ist“, sagt er. Das hat offensichtlich funktioniert.

„Fühlen uns ein wenig sicherer“

Dem Leiter ist anzumerken, dass er erleichtert ist, weil die Impfungen losgehen. „Wir fühlen uns jetzt ein wenig sicherer. Wir hatten stetig Angst, dass Mitarbeiter ausfallen und Bewohner krank werden.“

Doch die Hygieneregeln gelten auch noch bis auf Weiteres. Im Oktober 2020 erkrankten zwei Bewohner am Coronavirus. Auch drei Mitarbeiter erwischte es. „Wir konnten das Virus aber eindämmen und haben es geschafft, die Erkrankten rechtzeitig zu isolieren“, sagt Schaeper. Trotzdem weiß man heute, was es bedeutet, Corona im Haus zu haben.

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Das Haus ergriff schon am 27. Februar 2020 erste Maßnahmen gegen das Virus. „Da wurden wir belächelt“, erinnert sich Schaeper. Gottesdienste wurden abgesagt, die Besuche eingeschränkt. Seitdem essen die Bewohner einzeln auf dem Zimmer, nicht mehr in Gruppen im Saal. „Dafür müssen wir mehr Personal einplanen.“

Auch jetzt, nachdem die Bewohner geimpft sind, brauche es mehr Pfleger. Das gestaltet sich aber schwierig. Denn auch die Mitarbeiter haben Schwierigkeiten, ihre Kinder zu betreuen, wenn die Schulen geschlossen sind. Auch sie müssen in Quarantäne oder ihren Angehörigen helfen. Das bedenken viele Menschen nicht, so der Leiter. „Wir können uns auch ohne Corona nicht über zu wenig Arbeit beschweren.“

Seit Juli 2020 dürfen Besucher nur ins Haus, wenn ihre Temperatur stimmt, sie keine Symptome zeigen und mit keinem Coronaerkrankten Kontakt hatten. Schaeper: „Das gilt auch für Handwerker, Lieferanten und Therapeuten, die bei uns ein- und ausgehen.“ Auch das sei vielen Menschen nicht klar.

Alle zwei Tage werden heute Bewohner und Mitarbeiter im Schnelltestverfahren getestet. So kamen allein in der vergangenen Woche 435 POC-Tests zusammen.

Heimleiter Stephan Schaeper ist froh, als die erste Bewohnerin Margaretha Kloth (87) geimpft ist.

Heimleiter Stephan Schaeper ist froh, als die erste Bewohnerin Margaretha Kloth (87) geimpft ist. © Freddy Schneider

Dr. Nanni Hunn hat den Impfstoff fertig vorbereitet. Nun kommt die erste Bewohnerin zu ihr: Margaretha Kloth aus Bövinghausen. Ein Stich, einmal drücken, Nadel wieder rausziehen, Pflaster auf die Einstichstelle – fertig. „Das tat gar nicht weh“, sagt die 87-Jährige. Es folgen mehr als 100 Menschen.

Am 2. Februar geht es mit der zweiten Impfung weiter. Dabei sein wird auch Dr. Nanni Hunn. Etwas versierter schon, aber wahrscheinlich genauso konzentriert wie an diesem grauen Januartag.