„Und – alles wieder gut bei Ihnen? Mein Enkel hat mir gesagt, dass Sie hier weg sollen.“ Eine Frau steht vor Stefans Campingstuhl. Offenbar kennt sie ihn – und seine Geschichte.
„Jetzt soll ich nicht mehr hier weg!“ – „Nicht mehr? Na, Gott sei Dank!“ Ein paar Geldstücke fallen in den BVB-Becher, der auf dem Tischchen schräg vor dem Campingstuhl steht. Und noch während dieses Gespräch in vollem Gange ist, fängt ein Mann das nächste mit Stefan an.
„Du darfst hier wieder sitzen?“, fragt er, greift einen Einkaufswagen. Und als er merkt, dass die Antwort doch eindeutig ist, fügt er hinzu: „Mensch, die sollten froh sein, dich zu haben.“
Er hält die Ecke müllfrei
Seit drei Jahren sitzt Stefan schon hier vor dem Netto im Kreuzviertel. Er fegt, sortiert die Einkaufswagen, hält die Ecke müllfrei. Dann gab es Ärger mit anderen Menschen vor dem Laden – und plötzlich sollte auch Stefan weg. Zum Unverständnis der Nachbarn. Der Inhaber des Lottoladens nebenan hatte schon eine Unterschriftenaktion im Sinn und machte den Fall öffentlich.
Ein klärendes Gespräch mit der Filialleitung später darf Stefan wieder hier sein. Er lächelt. So viel Freundlichkeit, so viel Nettes schlägt ihm an diesem Tag entgegen. Ihm, der eigentlich gar nicht Stefan heißt und der viel erlebt hat.
Aus Berlin nach Lünen
Stefan erzählt gerne seine Geschichte – unter einer Bedingung: Seinen richtigen Namen werde er nicht nennen. Seine Familie, die weit weg von Dortmund lebt, soll sich keine Sorgen machen und am besten auch gar nicht wissen, wie es ihm geht, wo er heute ist.
Aus Berlin komme er, sagt der 59-Jährige. Und, in der Tat: Das hört man. Er ist keine polternde Schnauze, aber sagt im Dialekt geradeheraus, was er denkt. Stahlbetonbauer war er, zog mit Kollegen die Kohlesilos am Trianel-Kraftwerk in Lünen hoch, „sechs Monate hat das gedauert“.
Dann wurde die Firma insolvent
Sein Chef war fast 70, wollte die Firma nicht mehr und ließ seinen Angestellten die Wahl: entweder zurück nach Berlin – „oder wer bleiben wollte, konnte auch bleiben“. Stefan blieb: „Ich hab gedacht, vielleicht finde ich hier einen anderen Job, kann ja sein. Und so bin ich hier hängengeblieben.“
Er schuftete weiter, bis irgendwann seine Firma insolvent gewesen sei. „7000 Euro müsste ich noch von meinem Chef bekommen. Aber er hat ja Konkurs angemeldet, er hat ja kein Geld.“
„Du kannst keine Miete bezahlen“
„Dann stehste da, bist deine Wohnung los, alles bist du los, weil du ja keine Miete, keinen Strom mehr bezahlen kannst – gar nichts.“ Stefan wurde obdachlos, kam unter im Männerwohnheim an der Unionstraße. Eine „Bleibe“ sei das gewesen, mehr natürlich nicht. Wie es gewesen sei, dort zu leben? „Mal ging es, mal nicht.“
Mehrere Jahre sei das so gewesen. Heute habe er zum Glück wieder eine Wohnung, ganz in der Nähe, „klein, aber fein und mein...“
„Schön, dass Sie hier wieder sitzen dürfen“, sagt eine Frau auf dem Weg in den Netto. „Ja“, erwidert Stefan, lächelt und zeigt auf den Besen in der Ecke, „dafür ist auch alles wieder schön sauber!“

Waffeln, Orange, Milchshake
„Ein bisschen was Süßes“, sagt die Frau, als sie wieder herauskommt, und reicht ihm eine Packung Knusperwaffeln. „Was Gutes für die Gesundheit“, sagt eine andere Frau zwei Minuten später und gibt Stefan eine Orange. „Soll ich dir einen Milchshake mitbringen?“, fragt ein junger Mann, der gerade auf dem Weg in den Laden ist.
Das wäre sehr lieb, danke, sagt Stefan. Bananengeschmack gerne. „Ich bin nicht so einer, der aufs Betteln aus ist. Ich sitze ja auch hier, weil mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Ich bin ja alleine, lebe alleine.“
Wer geben will, der gibt
„Ich sage nicht: ‚Haben Sie mal einen Euro?‘ Nein, ich rede, unterhalte mich, wünsche einen schönen Tag – und dann gehen die Leute wieder. Wenn jemand etwas geben will, dann gibt er. Und wenn nicht, braucht er das auch nicht.“ Es müsse schon von Herzen kommen – und dann sei auch nicht der Betrag entscheidend.
Wenn ihm jemand einen Cent schenke, sage er nicht nein, sondern danke. „Wenn jemand sagt, das ist zu wenig, hat der noch nie erlebt, was Hunger ist. Ich weiß aber, was Hunger bedeutet.“

Hundezunge im Gesicht
„Da kommt ja meine Süße“, ruft Stefan, schnellt nach vorne in seinem Campingstuhl – und auch der Hund ist kaum noch an der Leine zu halten, will auf Stefans Schoß. „Kann er kurz hier bleiben?“, fragt die Besitzerin. Sie müsse kurz zur Post. Kein Problem, sagt Stefan und hat wenige Sekunden später eine Hundezunge im Gesicht.
„Du siehst ja: Jeder hier kennt und begrüßt mich.“ Er strahlt – trotz der Kälte. Temperaturen um den Gefrierpunkt können ihm nichts anhaben: Er trägt Mütze, viele Pullis und Jacken – „und ich habe sogar einen Schlafsack dabei. Ich möchte mich ja nicht erkälten.“
„Bier so schlimm wie Heroin“
Nur die „Zündkerzen“ hier, die kleinen Schnapsfläschchen, die ihm jemand zugesteckt hat, werde er weitergeben. „Ich trinke gar nichts, gar keinen Alkohol.“ Und das aus gutem Grund.
„Viele sagen ja, Bier ist nicht so schlimm. Aber von wegen!“ Alkohol sei genauso schlimm wie Heroin oder Kokain. Ja, auch er habe eine Sucht: Zigaretten. „Aber wenn jemand betrunken ist, wird es unangenehm. Dann lallen die rum, werden aggressiv, nutzen Kraftausdrücke.“
Stefan will freundlich und klar bleiben. Aufmerksam und dankbar für alles. Das Gute, das er seiner Zeit ohne Wohnung abgewinnt: Hätte es die nicht gegeben, säße er heute nicht hier, könnte nicht den ganzen Tag mit so vielen Menschen plaudern.
„Brauchst du noch was? Soll ich dir was mitbringen?“, fragt ein Mann. Stefan überlegt kurz. Ein Brötchen vielleicht – ganz einfach, ganz normal. Die Frau gerade habe ihm doch eine Packung Garnelen geschenkt. Dazu wäre das nicht schlecht. „Und“, ruft er hinterher als der Mann schon fast im Laden ist: „Danke!“
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