„Wir sind viele, die sich schämen“ Heiko Krenz wurde wohnungslos und kämpfte sich zurück

„Wir sind viele, die sich schämen“: Heiko Krenz kämpft für Wohnungslose
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Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 19. November 2023.

Manche Lebenswege kann man als turbulent bezeichnen. Dieses Wort klingt aber irgendwie nach „halb so wild“, nach einem Bisschen, das kurz durcheinander geriet. Das, wovon Heiko Krenz erzählt, ist aber alles andere als eine Lappalie. Er hat keine leichten Turbulenzen erlebt, sondern einen absoluten Absturz, der ihn völlig aus der Flugbahn geworfen hat.

Der 53-Jährige erzählt von seinem Leben als Wohnungsloser in Dortmund. Und wenn man ihm zuhört, wie es dazu gekommen sei, möchte man kaum glauben, wie schnell das bei ihm ging.

Als Heiko (er duzt beim Treffen von Anfang an) 50 wurde, hat ihn die Midlife-Crisis erwischt, wie er selbst sagt. Bis dahin hatte der gelernte Schlosser eine Wohnung in Recklinghausen: „Ich bin Fachkraft, ich bin Sachkundiger für Baumängel und Baufehler, Mobilkrantechniker und und und.“ Ende 2019 bezog er Hartz IV: „Ich wollte einfach was anders machen. Ich wollte mein Leben ändern.“

Dazu passend meldete sich ein Kollege aus Berlin mit einem besonderen Jobangebot. „Wir sollten für eine Firma für mindestens ein Jahr nach Antalya“, erinnert sich Heiko. Türkische Riviera, Mittelmeer, mediterranes Klima. „Da ist ein Fünf-Sterne-Hotel abgesoffen und die wollten die Deutschen als Aufsicht.“ Da kündigte der Recklinghäuser seine Wohnung.

Wohnungslos in fremder Stadt

Im Winter 2020 nahm das Duo die Arbeit in der Türkei auf. Und dann kam das, was die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat: das Coronavirus. Der Auftrag wurde abgebrochen, Heiko sagt, mit dem letzten Flieger ging es zurück nach Berlin. Dort angekommen war das öffentliche Leben schon in Schockstarre, und Heiko zerstritt sich mit seinem Kumpel.

„Dann kam ich in kein Hotel, in nichts rein. Man durfte ja damals nur mit zwei oder drei Mann höchstens auf die Straße.“ Die eigene Wohnung war gekündigt. So kam es, dass Heiko Krenz wohnungslos wurde, in einer fremden Stadt. Ohne Erspartes. Ohne zu wissen, an welche Stellen man sich wenden kann, um nicht unter freiem Himmel zu schlafen.

Das erste Mal in so einer Übernachtungsstelle hat sich in die Erinnerung gebrannt: „Man steht da mit 50 Leuten in der Schlange, und ein Stinker nach dem anderen.“ Als drinnen die Schuhe ausgezogen wurden, ging Heiko zum Sicherheitsdienst und forderte: „Macht mal die Tür auf, ich schlaf hier nicht.“

Nach kurzer Zeit befiel ihn das Heimweh. Mit dem relativ günstigen Flixtrain fuhr Heiko nach Dortmund, „gut angezogen mit einem großen Koffer“ und stand an der Pforte der Männerübernachtungsstelle an der Unionstraße (MÜS). Sogar einen Laptop habe er dabei gehabt. Doch die Antwort sei gewesen: „Reisende nehmen wir hier nicht auf.“

Pfand für 5-6 Euro pro Tag

Ein bis zwei Wochen lang habe Heiko in Dortmund auf der Straße gelebt. Drei, vier Monate sammelte er Dosen- und Flaschenpfand, um genügend Geld für den Tag zusammenzukriegen. „Ich hatte meine 5-6 Euro am Tag“, sagt er: „Mehr brauchte ich nicht.“

Irgendwann habe Heiko dann jemanden getroffen, der ihm die Diakonie empfohlen hat. Dort habe er seine Geschichte erzählt: „Das kann nicht wahr sein, dass du nicht in die MÜS reinkommst“, habe er gehört. Mit der Unterstützung der Diakonie hat Heiko sich umgemeldet, um offiziell Dortmunder zu werden.

Mangelnde Ruhe „macht kaputt“

Mit dem entsprechenden Schein sei er dann in die Übernachtungsstelle gelassen worden. Für einen geringen Lohn habe er dort auch geputzt. Ja, man könne nur schlecht schlafen, ständig komme es zu Diebstählen. Aber: „Was dich psychisch kaputt macht, ist dass du nicht dein Zimmerchen abschließen kannst“, erinnert er sich an diese Zeit: „Du kannst nicht zur Ruhe kommen. Das macht kaputt.“

Heiko wollte weg, zurück in das „normale“ Leben, das, was er zur Midlife-Crisis unbedingt ändern wollte. Ohne Geld, mit jeder Menge Überwindung und einigen emotionalen Tiefpunkten. Wenige Euro Bearbeitungsgebühr haben für Anträge gefehlt: „Ich bin am Heulen gewesen, das hab ich noch nie erlebt. Vorher hast du das ja anders gehabt, wirklich von oben. Und dann bist du das Letzte.“

Zurück in eigener Wohnung

Doch Heiko kämpfte sich zurück. Erst bekam er eine „Trainingswohnung“, dann eine aus dem städtischen Vorhalteprogramm. Bis er „über tausend Ecken“ in Recklinghausen in eine eigene Wohnung ziehen konnte und Bürgergeld bekam.

Der Weg war hart, aber Heiko hat sich aufgerappelt. Wie ist das also in Dortmund? Wenn man sich bemüht, bekommt man dann ausreichend Hilfe in der Stadt? „Sagen wir mal so, man kann in Dortmund überleben ohne Cent in der Tasche“, sagt Heiko.

„Dortmund ist das Sozialste“

„Dortmund ist wirklich das Sozialste, was es hier im Ruhrgebiet, was ich bislang gehört hab, gibt“, sagt Heiko. Niemand müsse dreckig herumlaufen: Kleidung und Duschmöglichkeiten gebe es. Auch was Essen und Trinken angeht: „Da gibt es keine andere Stadt. Aber: Das sind die Ehrenamtlichen, die das stemmen. Das ist nicht die Stadt“, meint Heiko. Und das System bröckele.

Zum Gespräch dazugekommen ist ein Mann, der aussieht, als arbeite er bei der Diakonie oder bei der Stadtverwaltung. Doch Ingo Hinzkowski, der ein Jahr älter ist als Heiko, ist wohnungslos. Schon seit 2019. Zwischendurch schlafe er bei Bekannten, sonst aber in einem Zelt, sagt er. Auf sein Aussehen lege er Wert, was er am Leib trägt, komme aus der Kleiderkammer im Wichernhaus der Diakonie.

Ingo Hinzkowski und Heiko Krenz
Ingo Hinzkowski (l.) sieht man keineswegs an, dass er keine Wohnung hat. Zusammen mit Heiko Krenz engagiert er sich für Wohnungslose. © Kevin Kindel

Dort beobachte er, dass der Ton der Besucher „zunehmend rauer“ geworden sei. Manche treten aggressiv, zumindest aber sehr fordernd auf. „Und da sagen viele Leute, die da ehrenamtlich arbeiten: ‚Ich hab es bislang gerne gemacht, aber ich mache es nicht, um mich jeden Tag anschnauzen zu lassen.‘“

Heiko und Ingo ist wichtig zu betonen, dass es viele Menschen in Dortmund wie sie gebe. Wohnungslose, denen man es nicht ansieht. „Hast du mal ‘nen Euro, würde mir gar nicht über die Lippen kommen“, sagt Heiko. Den ganzen Tag durch die Stadt zu laufen statt in einem Büro zu sitzen, allein das sei schon peinlich, sagt Ingo.

Regelmäßige Vereinstreffen

Wer ein Beil in eine Hilfeeinrichtung bringt oder ein großes Messer am Fußboden der Dusche schleift (beides habe man schon beobachtet), gehöre mit wochenlangem Hausverbot belegt, sagen sie. Aber die anderen wolle man unterstützen: „Wir sind wirklich viele, die sich schämen.“ Manche würden tagsüber auch regulären Jobs nachgehen aber in der städtischen Übernachtungsstelle schlafen.

Heiko Krenz ist der Vorsitzende des in Eigenregie neu gegründeten Vereins „Anders Sozial“. Jeden ersten und dritten Freitag im Monat treffen sich alle, die sich für Wohnungslose in Dortmund einsetzen wollen, an der Schleswiger Straße 12 nahe der Bornstraße. Die offenen Treffen beginnen um 14 Uhr. Bislang habe man alle Vereinsaktivitäten mit dem eigenen Bürgergeld bezahlt.

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