Das Ziel steht: Bis zum 1. Januar 2022 soll der öffentliche Nahverkehr barrierefrei sein. Begründete Ausnahmen sind allerdings erlaubt. Und davon wird es in Dortmund eine ganze Menge geben.
Wer mit dem Rollstuhl oder einem Kinderwagen Bus und Bahn nutzen will, tut gut daran, sich im Vorfeld zu informieren, welche Stationen man nutzen kann. Denn Aufzüge oder andere barrierefreie Zugänge gibt es längst nicht an allen Haltepunkten von Bus und Bahn.
Der Stand der Dinge: Von 124 Stadtbahn-Stationen sind 105 „bedingt barrierefrei“. Das heißt, dass hier zumindest ein ebenerdiger Einstieg in die Bahnen möglich ist. Das ist eine Quote von 85 Prozent, erklärt Britta Heydenbluth, Sprecherin des Verkehrsunternehmens DSW21. Von den Bus-Halten sind gerade einmal ein Viertel, etwa 500 von 2062 Haltepunkten, barrierefrei.
Bis 2022 nicht zu schaffen
Klar ist: Bis 2022 wird der noch nötige Umbau von 19 Stadtbahn-Stationen und rund 1500 Bus-Haltepunkten nicht zu schaffen sein. Der Nahverkehrsplan setzt deshalb auf die gesetzliche Ausnahmeregelung. Und bei Stadt wie bei DSW21 verweist man darauf, dass man die geforderdete Barrierefreiheit als Ziel im Blick hat.
Dass sie bis 2022 noch nicht erfüllt werden kann, dafür sorgen vor allem vier Problembereiche in der Stadt.
Problembereich 1: Die B 1
Schon seit Jahren wird über den barrierefreien Umbau der fünf Stadtbahnstation an der B 1 für gut 32 Millionen Euro diskutiert. Das Ziel der Barrierefreiheit kollidiert hier mit dem Erhalt der B1-Allee, den Anwohnerinitiativen fordern. Denn ein Ausbau der heute viel zu engen Haltestellen ist nicht zu vermeiden. Und dafür müssen Bäume geopfert werden.
Wieviele Bäume es wirklich sein müssen, darüber wird zwischen Anwohner-Initiativen und Stadt noch gerungen. Es gibt immerhin Fortschritte. Nachdem zunächst von 78 Bäumen die Rede war, die gefällt werden müssten, sind es nun noch 44.
Doch die Diskussion hat viel Zeit gekostet. Sehr zum Ärger von Friedrich-Wilhelm Herkelmann als Vorsitzenden des Behindertenpolitischen Netzwerks. Es sei traurig, dass sich durch die „Baumzählerei“ die Umgestaltung der Haltestellen an der B1 „noch um Jahre verzögert“, sagt Herkelmann.

Über hohe Treppen führt aktuell der Weg auf die Bahnsteige der B1-Stadtbahnstationen. © Oliver Schaper
Dabei drängt die Zeit. Denn DSW21 schafft in den nächsten Jahren neue Stadtbahnen an und lässt die alten Fahrzeuge runderneuern. Und die brauchen mehr als 90 Zentimeter hohe Bahnsteige, weil sie keine ausklappbaren Stufen mehr haben. Bislang sind die Bahnsteige 38 Zentimeter hoch.
Ab 2021 sollen die ersten Bahnen fahren, die Flotte dann nach und nach erneuert werden. Und zwar schneller als der Umbau der Stadtbahn-Stationen zu erledigen sein wird, für die die ersten Planfeststellungsverfahren 2021 anlaufen sollen.
Die Folge: Ende 2024 wird es erst einmal eine provisorische Lösung mit erhöhten Bahnsteigen an den B1-Stationen geben, kündigt der stellvertretende Tiefbauamts-Chef Jürgen Hannen an.
Der weitere Umbau mit barrierefreien Zugängen zu den Haltestellen und neuer Technik dauert mindestens zwei weitere Jahre also bis mindestens 2026. Wobei noch immer offen ist, ob die Haltestellen dann über Brücken und Aufzüge oder mit Hilfe von Ampeln ebenerdig über die B1 zu erreichen sind. Das sei letztlich eine politische Entscheidung, betont Sylvia Uehlendahl als Leiterin des Tiefbauamtes.
Problembereich 2: Münsterstraße/Märkische Straße
Die Stationen Münsterstraße und Märkische Straße sind die letzten U-Bahn-Stationen, die noch nicht mit Aufzügen erreichbar sind. Auch das soll sich ändern - allerdings noch nicht bis 2022. Denn der nachträgliche Einbau ist kompliziert - vor allem die Platzierung an der Oberfläche.
An der Münsterstraße mussten die Planungen jüngst noch einmal geändert werden. Jetzt soll der Aufzug auf der Südostecke der Kreuzung Münsterstraße/Haydnstraße an die Oberfläche kommen, berichtet Hannen. Was fehlt, ist die Detailplanung und die Förderzusage von Bund und Land. Einen Termin für den Umbau gibt es deshalb noch nicht.

An zwei U-Bahn-Stationen gibt es noch immer keine Aufzüge. © Dieter Menne
An der Märkischen Straße wird es noch etwas komplizierter. Für den Bau des Aufzugs an der Ostseite müssen der bisherige Straßenverlauf verändert und die Kreuzung entsprechend umgestaltet werden. Im Vorfeld muss zudem die marode Brückenkonstruktion erneuert werden.
Dafür gibt es jetzt immerhin Geld: Das Land hat für die Erneuerung der defekten Brückenplatte 1,17 Millionen Euro bereitgestellt. Es ist aber nur der erste Schritt des Kreuzungsumbaus, dessen Kosten auf 12,2 Millionen Euro beziffert werden. Wann er abgeschlossen werden kann, steht noch in den Sternen.
Problembereich 3: die Ost-West-Strecke
Ziemlich eng ist es an vielen Stellen auf dem Hellweg zwischen Innenstadt und Wickede und im Westen entlang der Rheinischen Straße. So eng, dass der barrierefreie Einstieg an einigen Haltestellen bislang nur provisorisch mit sogenannten Podesten am vorderen Einstieg organisiert werden konnte. An zwölf Haltestellen ist er noch gar nicht möglich - und es braucht auch viel planerische Fantasie, um sich Lösungen vorzustellen.
Klar ist: „Ohne Eingriffe in den Straßenraum geht es nicht“, stellt Sylvia Uehlendahl fest. Das heißt, dass barrierefreie Haltestellen auf jeden Fall zu Lasten des Autoverkehrs gehen. Wo und wie das geht, ist ebenso wie ein Zeitplan noch völlig offen.
Problembereich 4: Bushaltestellen
Mit sogenannten Buskaps und Niederflur-Bussen soll ein ebenerdiger Einstieg in die Linienbusse von DSW21 ermöglicht werden. An etwa 500 Haltepunkten ist das schon möglich. Dreimal so viele Stationen warten aber noch auf den Umbau. Und der dauert. Denn die Nachrüstung der Haltestellen soll in vielen kleinen Paketen abgewickelt werden.
Für das erste, 565.000 Euro schwere Paket mit 40 Haltepunkten gibt es eine Finanzierungszusage des Verkehrsverbundes Rhein Ruhr (VRR). Für die Umsetzung wurde eine Prioritätenliste aufgstellt, erklärt Sylvia Uehlendahl. Friedrich-Wilhelm Herkelmann macht sich keine Illusionen darüber, dass das Gesamtpaket viel Zeit braucht. „Bis alle Bushaltestellen umgerüstet sind, wird es wohl Jahrzehnte dauern“, schätzt er.
„Barrierefreiheit vervollständigen“
Mit der ebenerdigen Erreichbarkeit von Bussen und Bahnen ist es für die städtischen Tiefbauer aber nicht getan. Barrierefreiheit ist mehr, betonen Uehlendahl und Hannen, zumal der Gesetzgeber keine Definition liefert, was Barrierefreiheit genau sein soll.
Gedacht wird etwa auch an Hör- und Sehbehinderte. Taktile Leitstreifen gehören deshalb inzwischen zum Standard beim Um- und Neubau von Haltestellen oder Straßen. An Stationen und in Bahnen gibt es immer mehr Infosäulen. Konzipiert wurde auch ein Aufzugnotruf für Hörgeschädigte.

Taktile Leitstreifen für Sehbehinderte gehören an vielen Stationen schon zum Standard. © Nils Heimann
Und die Sprachansagen für einfahrende Bahnen, die es bislang an vier Innenstadt-U-Bahnhöfen gibt, sollen auf sechs weitere Stationen ausgeweitet werden. „Ein Förderantrag dazu ist gestellt“, erklärt DSW-Sprecherin Britta Heydenbluth.
Nicht zuletzt wollen die Tiefbauer an Stadtbahnstationen, die schon einen ebenerdigen Zugang bieten, „die Barrierefreiheit vervollständigen“, wie es Hannen nennt. Dazu gehöen taktile Leitsysteme, Infosysteme und eine neue Beschilderung.
Sieben unterirdische Bahnhöfe und 28 oberirdische Stationen sollen so nachgerüstet werden. Der Anfang wird an den elf Stationen der Strecke der U42 zwischen Städtische Kliniken und Grotenbachstraße gemacht - nach aktuellem Plan in den Jahren 2023 und 2024.
Die gesetzlichen Vorgaben
- Die „vollständige Barrierefreiheit zum 1.1.2022“ im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) ist eine politische Zielsetzung in Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
- Nach §8 Absatz 3 des 2013 angepassten Personenbeförderungsgesetzes haben die Nahverkehrspläne der Kommunen „die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des ÖPNV bis 1. Januar 2022 vollständige Barrierefreiheit zu erreichen“.
- Die Frist gilt nicht, wenn Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Im Nahverkehrsplan sollen dazu Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen werden.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
