Unzählige Klicks, Likes und Kommentare generierte ein Video aus Dortmund auf Tiktok. Der Inhalt ist allerdings eher weniger gehaltvoll.

Unzählige Klicks, Likes und Kommentare generierte ein Video aus Dortmund auf Tiktok. Der Inhalt ist allerdings eher weniger gehaltvoll. © Robin Albers

1,8 Millionen Klicks: Virales Tiktok-Video verbreitet Fake News aus Dortmund

rnPolizei-Einsatz

Viele Polizeiwagen vor der Sparkasse in der Dortmunder Innenstadt. Ein Banküberfall? Eine hohe Summe sei gestohlen worden, heißt es in einem millionenfach geklickten Video. Das Ganze ist allerdings ein Fake. Was steckt dahinter?

Dortmund

, 06.09.2022, 04:20 Uhr

Rund 1,8 Millionen Aufrufe, über 80.000 Likes, fast 6.000 Kommentare. Ein eigentlich unspektakuläres Video aus Dortmund macht gerade auf der Social-Media-Plattform Tiktok die Runden.

Gerade mal acht Sekunden lang ist das Video. Es zeigt in einem kurzen Kameraschwenk die Hauptstelle der Sparkasse an der Katharinenstraße in der Dortmunder Innenstadt. Acht Einsatzwagen der Polizei sind in dem Clip zu sehen.

Interessant wird das Tiktok-Video durch einen eingeblendeten Text und das für die Social-Media-Plattform typische Voiceover. „Bei einem Überfall auf die Dortmunder Sparkasse wurden heute 2,5 Millionen Euro erbeutet“, sagt eine Computerstimme.

Gab es einen Banküberfall?

Bevor man sich jetzt vielleicht fragt, wie ein Banküberfall dieses Kalibers in Dortmund an einem vorbeigehen konnte: Die Polizei teilte auf Anfrage mit, dass es keinen derartigen Einsatz gegeben habe.

Dennoch zeigt das Video nun mal acht Polizeifahrzeuge vor der Sparkasse. Was war da los?

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Das Video wurde am 23. August auf Tiktok hochgeladen. Einem Dienstag. An diesem Tag gab es in der Dortmunder Innenstadt zwei Demonstrationen: 65 Rechtsextremisten versammelten sich am frühen Abend anlässlich des zehnjähriges Verbotes des „Nationalen Widerstands Dortmund“ an der Katharinenstraße.

Gegen sie stellten sich 55 Gegendemonstrierende vor dem nahegelegenen Fußballmuseum. Deshalb sei man mit einem großen Aufgebot vor Ort gewesen, wie ein Sprecher der Polizei bestätigt.

Expertin: Videos sind Fake News

Was hat dieses Tiktok-Video aus Dortmund mit 1,8 Millionen Aufrufen also zu bedeuten? „Mit diesem Video wurde offenbar bewusst eine Falschnachricht verbreitet, ohne dass der Fake aufgelöst oder korrigiert wird“, so die Vermutung von Christina Elmer.

Die ehemalige Spiegel-Redakteurin ist Professorin für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund, ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem digitale Medien und digitaler Journalismus.

Christina Elmer ist Professorin für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund.

Christina Elmer ist Professorin für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund. © Privat

Man könne in diesem Fall von „Fake News“ sprechen, erklärt Elmer, „auch wenn die Machart sehr simpel ist und ein Blick auf den Account des Nutzers ausreicht, um misstrauisch zu werden“. Dort finden sich nämlich fast nur ähnliche Videos.

Papst und Cristiano Ronaldo in Dortmund?

Gleich zwei Tiktok-Videos zeigen etwa Szenen vom 9. und 10. August, als der Dortmunder Hauptbahnhof geräumt wurde. Der Papst sei dafür der Grund gewesen, wird behauptet. Hunderte Menschen hätten demnach die Bahnhofshalle verlassen müssen, damit Papst Franziskus an- und wieder abreisen kann.

Das stimmt natürlich nicht: An beiden Tagen wurde der Hauptbahnhof wegen verdächtiger Gegenstände gesperrt. Der Bombenalarm hat sich übrigens in beiden Fällen (glücklicherweise) als falsch herausgestellt.

In einem weiteren Video ist davon die Rede, dass Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo zum BVB gewechselt sein soll. Er habe außerdem das Hannibal-Gebäude an der Bornstraße gekauft, um dort ein Fitnesscenter zu errichten. Ronaldo spielt aber natürlich weiterhin (oder leider, falls man Fan von ihm ist) bei Manchester United – und auch der Immobilienkauf scheint höchst unwahrscheinlich.

„Bewusste Verdrehung“ für Aufmerksamkeit

Die Tiktok-Videos würde Christina Elmer dennoch trotzdem nicht in der Kategorie des sogenannten „Shitposting“ verordnen. Dabei ginge es eher um das „Zumüllen“ mit bewusst qualitativ minderwertigem Content, oft aus satirischer oder ironischer Intention.

Für Elmer seien die Clips aus Dortmund dafür aber nicht schlecht genug produziert. Die Journalistik-Professorin vermutet eine „bewusste Verdrehung“ des Nutzers, um mit einfachen Mitteln Aufmerksamkeit zu generieren. Die genaue Intention des Nutzers, der sich übrigens nicht als Journalist, sondern als Musiker in seinem Profil vorstellt, lasse sich aber nicht erkennen.

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Dennoch sei das Problem von Falschnachrichten in sozialen Medien, dass sie sich „sehr viel schneller verbreiten“ und „schwieriger zu kontrollieren und einzudämmen sind“ als im analogen Raum, so Elmer.

Bei Tiktok komme noch hinzu, dass die Plattform gerade bei Kindern und Jugendlichen beliebt ist, „die den Unterschied zwischen echten und erfundenen Nachrichten weniger schnell erkennen oder selbst im Internet überprüfen können“. Vor allem, weil sich auf Tiktok auch gut recherchierte Medieninhalte, aber genauso Satire und Comedy mit fiktiven Inhalten, aber ohne Täuschungsabsicht, finden lassen.

„Bruder das war wegen Demo“

Für Christina Elmer reichten wenige Klicks, um die Falschnachricht über den angeblichen Banküberfall als solche einzuordnen. Den meisten Menschen in den Kommentarspalten der Dortmunder Videos scheint das auch bewusst zu sein. Wie ein Nutzer, der ironisch kommentiert: „Die Geschichte ist wahr wie bei X Factor.“ In der Fernsehserie aus den späten Neunzigern sollten Zuschauende raten, ob die gezeigten Geschichten wahr oder erfunden sind.

Viele gehen sogar mit dem vermeintlichen Scherz mit. Eine Nutzerin meint etwa, dass die Beute des angeblichen Sparkassen-Raubs nur für einen Wocheneinkauf ausreiche, denn „dann ist das Geld auch schon weg bei der Inflation“. Andere bekunden ihre Glückwünsche: „Ich gönn von Herzen“, schreibt jemand anderes.

Einige stellen die Falschnachricht sogar richtig. „Bruder das war wegen Demo“, heißt es in einem Kommentar zu dem Video an der Sparkasse.

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Wegen eines verdächtigen Gegenstandes ist der Dortmunder Hauptbahnhof am Dienstagmorgen geräumt worden. Die Bundespolizei hatte einen herrenlosen Seesack gefunden. Wir haben live von vor Ort berichtet. Von Sarah Bornemann, Lukas Wittland, Beat Linde, Christian Gerstenberger