Oberstaatsanwalt Carsten Dombert hat der Landesregierung den aktuellen Ermittlungsstand geschildert.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert hat der Landesregierung den aktuellen Ermittlungsstand zu den Schüssen im Innenhof der Wohngruppe geschildert. © Wittland / dpa

Viele neue Details zum Tod von Mouhamed D. – beschuldigte Polizisten schweigen

rnStaatsanwalt nennt neue Erkenntnisse

Konnte Mouhamed D. die Polizisten verstehen? Haben sie ihn überhaupt aufgefordert, das Messer wegzulegen? Und warum funktionierte der Taser nicht? Einige neue Antworten liegen jetzt vor.

Dortmund

, 01.09.2022, 18:29 Uhr / Lesedauer: 3 min

Über ein Schreiben des Innenministeriums ist der aktuelle Ermittlungsstand zum tödlichen Polizei-Einsatz in der Nordstadt bekannt geworden. Darin sind einige Details zum Tod von Mouhamed D. genauer erläutert, die sich teils anders darstellen als zunächst angenommen.

Der erschossene 16-Jährige ist am Wochenende vor seinem Tod in eine psychiatrische LWL-Klinik gebracht worden, weil er Suizidabsichten geäußert habe. „Zu einer stationären Aufnahme kam es offenbar nicht“, wird nun mitgeteilt.

Noch am selben Wochenende kehrte der geflüchtete Senegalese in seine Wohngruppe in der Nordstadt zurück. Nähere Informationen zum Geschehen in der Klinik gibt es weiterhin nicht.

Gegen 16.25 Uhr rief ein Betreuer dieser Wohngruppe am 8. August (Montag) dann die Polizei. „Der Verstorbene sitze im dortigen Innenhof und halte sich - vermutlich wegen suizidaler Absichten - ein Messer mit einer Klingenlänge von 15 bis 20 cm vor den Bauch“, heißt es. Dass er kein Deutsch sprach, sei der Polizei mitgeteilt worden.

Auf dem Gelände einer Wohngruppe hat ein Polizist den 16-Jährigen erschossen, der ein Messer in der Hand hielt.

Auf dem Gelände einer Wohngruppe hat ein Polizist den 16-Jährigen erschossen, der ein Messer in der Hand hielt. © Lukas Wittland

Das Bundeskriminalamt befasst sich jetzt unter anderem mit der Auswertung des aufgezeichneten Notrufes. Offiziell ist jetzt, dass zwölf Polizeibeamtinnen und -beamte vor Ort eingesetzt waren, vier davon in Zivilkleidung.

Konnte man sich auf Spanisch verständigen?

Anders als zunächst geäußert wurde, ist der aktuelle Ermittlungsstand, dass die zivilen Kräfte Mouhamed D. zunächst nur auf Deutsch und Spanisch angesprochen haben. Zuvor war auch von Englisch und Portugiesisch die Rede. Aber: „Der Getötete soll Französisch, Spanisch und eine afrikanische Sprache

gesprochen haben.“

Dass er zum Weglegen des Messers aufgefordert wurde, „haben die Ermittlungen nicht ergeben“. Der 16-Jährige blieb an einem Gebüsch gebückt und hielt sich das Messer mit der Klinge zu seinem Körper an den Bauch.

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Auf Anordnung des Dienstgruppenleiters sprühte eine Polizistin dann Reizgas auf den 16-Jährigen. Mouhamed D. sprang auf und „bewegte sich“ in Richtung von Polizeibeamten, die „zunächst etwa fünf bis sechs Meter von ihm entfernt waren“, so der Bericht. Ob er langsam ging oder schnell lief, wird nicht spezifiziert.

„Wie zuvor abgestimmt“ haben dann zwei Einsatzkräfte ihre Elektro-Taser abgeschossen. Vom ersten Schuss traf nur eine der beiden Elektroden den Jugendlichen, somit konnte kein Stromkreis hergestellt werden. Vom zweiten Gerät trafen zwar beide Pfeile in den Körper, allerdings zu nah zueinander am Glied und am Unterbauch. Der Jugendliche habe offenbar Schmerzen verspürt, sei aber nicht bewegungsunfähig geworden.

Bewegung nicht abschließend geklärt

Das Messer hielt Mouhamed D. weiterhin in der Hand. Nicht abschließend geklärt sei, wie er es genau hielt. „Ebenso ist bislang nicht abschließend geklärt, ob und wie weit der Getötete sich noch fortbewegte“, so der Bericht.

Als er etwa zwei bis vier Meter von ihm entfernt war, schoss der Polizist mit der Maschinenpistole auf Mouhamed D. Anders als zunächst geschildert, trafen vier statt fünf Kugeln. „Ein Projektil durchschlug einen Körperteil und trat an anderer Stelle in den Körper erneut ein.“

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Die Ermittlungen haben ergeben, dass nun gegen insgesamt fünf Polizeikräfte ermittelt wird: die Beamtin mit dem Reizgas, die beiden Personen mit den Tasern, den Schützen der Maschinenpistole und den Einsatzleiter.

Alle haben sich Wahlverteidiger genommen und haben angekündigt „zumindest zunächst“ von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen. Ihre Bodycams waren ausgeschaltet.

Am Tag nach dem Tod von Mouhamed D. sind am Tatort Kerzen angezündet worden.

Am Tag nach dem Tod von Mouhamed D. sind am Tatort Kerzen angezündet worden. © Lukas Wittland

Die SPD-Fraktion im Landtag, die auch die Sondersitzung in der vergangenen Woche gefordert hatte, hat am Donnerstagnachmittag direkt eine Stellungnahme zu den Erkenntnissen veröffentlicht.

Die innenpolitische Sprecherin Christina Kampmann sagt: „Durch diesen Bericht sind jetzt zahlreiche neue Details ans Licht gekommen. Damit ergibt sich eine neue Lage in diesem ohnehin schon dramatischen Fall.“

„Aktive Rolle bei Aufarbeitung verweigert“

Es sei gut, dass eine unabhängige Behörde für Aufklärung sorge. „Der Innenminister hat sich bisher einer aktiven Rolle bei der Aufarbeitung verweigert“, so Kampmann: „Das war falsch.“ Damit spielt sie auf Herbert Reuls Äußerungen an, sich nicht zum Fall äußern zu wollen, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind. Schließlich gelte die Unschuldsvermutung.

„Die Zahl der neuen Erkenntnisse zeigt, dass auch die politische Aufarbeitung weitergehen muss, um die richtigen Schlüsse für die Polizeiarbeit daraus zu ziehen“, so Kampmann, die sich im NRW-Landtag mit ihrer SPD gegenüber der schwarz-grünen Regierung in der Opposition befindet.

Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht nach der Ausweitung der Ermittlungen „eine neue Lage“. Die Erkenntnisse zeigten, dass in dem Fall genau hingeschaut werde, sagte Reul am Donnerstag. Er betonte, dass es sich bei allen Verfahren um einen Anfangsverdacht handele. Wie er weiter berichtete, sind gegen die Beamten inzwischen auch Disziplinarverfahren eingeleitet worden.

Die Dortmunder Polizei teilte am Donnerstagabend mit: „Ein Beamter wurde vorläufig vom Dienst suspendiert. Vier weitere Polizeivollzugsbeamte/-innen sind in andere Tätigkeitsbereiche des Polizeipräsidiums Dortmund umgesetzt worden.“ Gleichzeitig wird betont, es handele sich um vorläufige Maßnahmen. Es dürfe keine Vorverurteilung stattfinden.

mit Material von dpa