Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf den 16-jährigen Mouhamed hatten sich Demonstrierende vor der Polizeiwache Nord versammelt.

Links: Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf den 16-jährigen Mouhamed hatten sich Demonstrierende vor der Polizeiwache Nord versammelt. Rechts: Polizeipräsident Gregor Lange © links: dpa, rechts: Kindel

Polizeipräsident wirbt um Vertrauen: „Müssen möglichst geringe Fehlerquote erzielen“

rnTodesschüsse auf Mouhamed D.

Gegen einen Dortmunder Polizisten, der im Einsatz einen 16-Jährigen erschossen hat, läuft ein Ermittlungsverfahren. Doch an solchen Verfahren gibt es Kritik. Wir haben Gregor Lange konfrontiert.

Dortmund

, 31.08.2022, 05:25 Uhr / Lesedauer: 3 min

Am 8. August schießt ein 29-jähriger Polizist bei einem Einsatz in der Dortmunder Nordstadt mehrfach auf den 16-jährigen Mouhamed D.. Dieser soll versucht haben, beteiligte Polizisten mit einem Messer anzugreifen. Mouhamed D. stirbt kurz darauf im Krankenhaus. Um zu klären, was bei dem Einsatz passiert ist und ob Fehler gemacht wurden, läuft aktuell ein Ermittlungsverfahren gegen den 29-jährigen Schützen. Doch an solchen Verfahren gibt es immer wieder Kritik.

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Zusammengefasst lautet diese so: Bei Strafverfahren gegen Polizisten, denen unangemessene Gewaltanwendung vorgeworfen wird, sei das Verfahren zugunsten beschuldigter Polizisten verzerrt. Ein Indiz: Entsprechende Verfahren werden in NRW überdurchschnittlich häufig eingestellt. Das NRW-Justizministerium teilt auf Nachfrage mit, dass die Staatsanwaltschaften im Land im Jahr 2021 1682 entsprechende Verfahren abgearbeitet haben. 1553 davon wurden eingestellt, nur in 29 kam es zu einer Anklage.

Kritik von bekanntem Polizeiforscher

Einer, der diese Kritik bereits seit Jahren vorbringt, ist Tobias Singelnstein. Der Professor für Strafrecht und Kriminologie hatte bis April einen Lehrstuhl an der Ruhr-Universität Bochum inne und lehrt und forscht aktuell an der Universität Frankfurt.

Seiner Ansicht nach gibt es für die häufigen Einstellungen von Verfahren gegen Polizisten drei Gründe: „In diesen Verfahren steht häufig Aussage gegen Aussage. In dieser Konstellation schenkt die Staatsanwaltschaft oft eher den Aussagen der Beamten Glauben. Staatsanwaltschaften arbeiten tagtäglich mit Polizeibeamten zusammen. Diese werden in der Regel als neutrale Beobachter wahrgenommen. In diesen Fällen sind sie allerdings selbst Beteiligte eines Konfliktes“, so Tobias Singelnstein.

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Als weiteren Grund führt er an, dass in manchen Fällen das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Polizisten Verfahren erschwere: „Wer als Polizist beobachtet, dass sich ein Kollege falsch verhält, ist in einer nicht ganz leichten Situation - auch weil es in der Praxis informelle Sanktionen geben kann, wenn man Kollegen anzeigt oder gegen sie aussagt.“

Unabhängig von diesen zwei Kritikpunkten: Ein Teil der Anzeigen sei auch schlicht nicht begründet, z. B. weil Bürger Befugnisse der Polizei unterschätzen.

Polizeipräsident betont neutrales Verfahren

Wie reagiert der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange auf diese Kritik? „Ich bin der Überzeugung, dass wir mit Strafverfahren über die neutrale Behörde Staatsanwaltschaft, Anfangsermittlungen über eine neutrale Polizeibehörde und gegebenenfalls einem unabhängigen Gericht gut aufgestellt sind.“ Belege für Zweifel an der Neutralität der Dortmunder Staatsanwaltschaft sieht er nicht. Die hohe Einstellungsquote spricht aus Sicht des Polizeipräsidenten dafür, „dass die Polizeibeamten, die im Einsatz tätig werden, das in der Regel rechtmäßig tun.“

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Fälle, in denen Polizisten, die gegen Kollegen ausgesagt haben, zum Beispiel gemobbt wurden, seien in Dortmund nicht bekannt. „Wenn es solch ein Fehlverhalten gäbe, ist es klar, dass man so etwas nicht dulden würde, sondern dass man auch dagegen vorgehen würde.“

Beobachtung der Wache Nord durch Sozialwissenschaftlerin

„Die Polizei setzt jeden Tag vielfach Gewalt ein, in der Regel im Rahmen der rechtlichen Befugnisse“, betont Professor Tobias Singelnstein. Er sieht jedoch ein strukturelles Problem bei der Fehlerkultur: „Natürlich kommt es dabei auch zu Fehlern - alles andere würde an ein Wunder grenzen. In der Selbstwahrnehmung der Polizei ist dies aber kaum verankert.“

„Wir müssen eine möglichst geringe Fehlerquote erzielen und mit unseren Fehlern selbstkritisch und transparent umgehen“, sagt Gregor Lange.




Die Wache Nord sei im Jahr 2021 wegen ihrer starken Beanspruchung mehrere Tage lang von einer externen Sozialwissenschaftlerin beobachtet worden. „Hinweise auf Frühindikatoren, die in eine problematische Entwicklung münden könnten, haben sich dabei nicht ergeben.“

Die Polizei Dortmund arbeite zudem mit Partnern wie beispielsweise dem multikulturellen Forum zusammen und sensibilisiere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Jahren intensiv im Bereich der Werteorientierung. Im Mai habe Professor Aladin El-Mafaalani bei einer Veranstaltung im Präsidium über die Entstehungsgeschichte und die Gegenwart von Alltagsrassismus gesprochen.

Werben um Vertrauen

„Mir ist wichtig zu unterstreichen, dass die Polizistinnen und Polizisten unser grundsätzliches Vertrauen verdient haben.“ So Polizeipräsident Gregor Lange. „Seien Sie sich dabei aber auch sicher: Gegen Personen in den eigenen Reihen, die dieses Vertrauen missbrauchen, werden wir hart vorgehen. Dafür sorge ich.“

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Das Verfahren gegen den 29-jährigen Polizisten, der die tödlichen Schüsse auf Mouhamed D. abgegeben hat, führt die Staatsanwaltschaft Dortmund gemeinsam mit der Polizei Recklinghausen. Für wann mit einem Abschluss der Ermittlungen zu rechnen ist, ist noch nicht klar.