Utz Kowalewski ist Oberbürgermeisterkandidat seiner Fraktion für die kommende Kommunalwahl in Dortmund.

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Utz Kowalewski: Der linke OB-Kandidat brachte den Envio-Skandal ins Rollen

rnOB-Wahl 2020

Er wählte mal die Grünen, jetzt sitzt er seit über zehn Jahren für die Linkspartei im Rat. OB wird der OB-Kandidat nicht, hofft aber auf ein knapp zweistelliges Ergebnis für seine Fraktion.

Dortmund

, 20.06.2020, 07:35 Uhr / Lesedauer: 6 min

Er trägt ein rotes Che Guevara-Shirt unter seinem dunklen Sakko, was nur im ersten Moment verwundert. Utz Kowalewski, geboren am 14. Mai 1970 im Knappschaftskrankenhaus in Dortmund, kommt vom Dortmunder Flughafen in die Innenstadt. Er hatte sich dort mit einem Kamerateam des WDR getroffen. Sie wollten seine Meinung hören zur Besetzung des neuen Flughafen-Geschäftsführers, was eigentlich eine ganz andere Geschichte ist, aber einen faden Beigeschmack hat.

Die Macht der Bilder

Kowalewski ist Oberbürgermeisterkandidat der Linkspartei, in dieser Funktion kann er - anders als zum Beispiel sein SPD-Mitbewerber Thomas Westphal - kräftig austeilen. Und da Kowalewski schon gefühlte Ewigkeiten Sprecher seiner Fraktion ist und auch mal Fachjournalist war, weiß er um die Macht der Bilder und hatte sich den Che an den schlanken Oberkörper gewandet.

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Es hätte also ein gutes Paket abgeben können, draußen am Flughafen - nur ist Kowalewski nicht der Typ, der öffentlich mal einen auspackt und auf den Tisch haut. Er spricht eher leise, zurückhaltend, ab und an mal ein „Ähm“ zuviel in den Sätzen und wenn er von einem Skandal spricht, dann sagt er zwar „Skandal“, es klingt aber nicht ganz so schlimm, wie wenn andere das sagen. Kowalewski ist, und das ist nicht negativ gemeint, ein eher ruhiger Typ, fast weich wirkt er mit seinen langen grauen Haaren. Eigentlich könnte er als Diplom-Biologe auch bei den Grünen sein. Und nicht bei der Linken, die ihm die politische Heimat geworden ist.

Einzelkind aus der Arbeiterfamilie

Kowalewski, Einzelkind, der Vater Maler und Anstreicher, die Mutter Rechtsanwaltsgehilfin, trägt den Vornamen Utz. Eine Kurzform von Ulrich, weil seine Eltern ihm erstens einen kurzen Vornamen zu dem langen Nachnamen geben wollten und zweitens einen Namen gut fanden, der, wenn sie ihn aussprachen, nicht sofort fünf Kinder ansprechen sollte. Das ist, auch mit dem Abstand von 50 Jahren, gelungen.

In Scharnhorst wurde Kowalewski groß, der Stadtteil sei damals neu aufgezogen worden für Familien mit Kindern, und entsprechend viele Kinder habe es da gegeben. Ein Stadtteil für Besserbetuchte sei Scharnhorst ja nie gewesen, sagt Kowalewski, aber weniger problematisch als in der Gegenwart sei es dort damals schon gewesen. Schmal, wie er es heute noch ist, sei er damals schon gewesen und deutlich kleiner.

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Dass das keine gute Mischung ist, lernte Kowalewski dann spätestens auf dem Heisenberg-Gymnasium. Dort habe es eine Jugendclique gegeben, die Juweliergeschäfte ausgeräumt habe, und die habe ihn damals dabeihaben wollen. Warum, ist bis heute unverständlich, auf jeden Fall entschied sich Kowalewski gegen eine kriminelle Karriere und für einen Schulwechsel und kam auf die Gesamtschule. „Da habe ich“, sagt er in der Rückschau, „dann zum ersten Mal eine richtig gute Klassengemeinschaft erlebt“. Fußballplatz statt Juweliergeschäft.

Erste Politisierung Tschernobyl

Vor dem Abitur stand dann noch die erste Politisierung durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl an, die Kowalewski mit dem Eintritt in den Naturschutzbund quittierte, wo er heute noch Mitglied ist. Abitur, Zivildienst im Johanneshospital, Biostudium an der Ruhr-Universität Bochum, wo er dann wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde und eigentlich promovieren wollte.

Die wissenschaftliche Karriere in Trümmern

Die Episode mit der missglückten Promotion, die Kowalewski schildert, sagt etwas über den Mann aus, darum darf sie hier nicht fehlen. Kowalewski forschte über die „Schwerkraftwahrnehmung bei Einzellern“, das ist letztlich hochtechnisierte Grundlagenforschung in der Mikrogravitation, ein absolutes Nischenfach. In Erlangen, Bochum, Tokio und bei der Nasa beschäftigten sich Menschen damit.

Die Forschungsergebnisse, die Kowalewski erarbeitete und die ihm die Promotion bringen und im direkten Anschluss zum Leiter einer Arbeitsgruppe in Nijmegen machen sollten, widersprachen den Thesen seines Professors. Er sagte, er sollte die Ergebnisse auf Geheiß des Professors anpassen, was er nicht tat. Was bedeutete, dass die akademische Karriere zerstört und Kowalewski erst einmal „richtig am Boden war“. Und schlussendlich ins Hartz-IV-System rutschte.

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1998 kam der Jugoslawienkrieg, die Grünen stimmten dem Bundeswehreinsatz zu und für den bisherigen Grünen-Wähler Kowalewski wurden die Grünen Geschichte. Vielleicht wäre die SPD eine Partei für ihn gewesen, „wenn sie sich damals dem Lafontaine-Kurs angeschlossen hätte“. Was die Partei bekanntermaßen nicht tat, sie folgte dem „Genossen der Bosse“ und was das hieß, erfuhr Kowalewski als Hartz-IV-Empfänger quasi an der Basis des Systems.

Hartz IV als Grenzerfahrung

„Hartz IV macht ja was mit einem“, sagt Kowalewski in der Rückschau. Eine Grenzerfahrung sei das gewesen, ihm tue heute noch jeder leid, der das erleben müsse. Kowalewski erlebte das bis 2003 und fand den Absprung quasi selbst. Er besorgte sich eine Weiterbildung zum Fachjournalisten und PR-Mann, da er wusste: Mit dieser Weiterbildung konnte er Fachartikel für die Ärztekammer aufbereiten. Was er dann tat. Ein Mann, der mal auf dem Weg zu einer Professur gewesen war, bekam Zeilengeld, das ungefähr auf dem Niveau eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an der Uni lag. Auch als Studierter muss der Platz nicht an der Sonne liegen, so kann man das vielleicht interpretieren.

Zukunft in der WASG

Heute kennt ja kaum noch jemand die WASG, 2004 war das ein Verein, 2005 dann bereits eine Partei, das Kürzel stand einmal für „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ und dort sammelten sich die linken Kräfte und Sozialdemokraten, die vom Kurs des Kanzlers Schröder enttäuscht bis entsetzt waren. Eine andere Steuerpolitik sollte erreicht werden, die mehr nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit besteuert, die die ausgelaufene Vermögenssteuer zurückbringen und die von Rot-Grün gesenkten Steuersenkungen auf Kapitaleinkünfte von etwa Aktiengesellschaften rückgängig machen sollte.

Man kann, auch wenn die WASG natürlich eine Kleingruppierung war, heute noch gut ableiten, warum die einst stolze SPD in der Gegenwart so dasteht, wie sie dasteht: Mehr Vergangenheit als Zukunft. Was natürlich eine Katastrophe ist. Aber viele Menschen hatten damals das Gefühl, dass die Partei, die ihre Interessen vertreten sollte, um ein Gegengewicht zu setzen, genau das nicht mehr tat. Sie resignierten oder wandten sich anderen Parteien zu: Kowalewski zum Beispiel griff 2005 zum Telefon, war danach Schreiber für ein WASG-Blättchen und 2006 Sprecher. Damals war er 35 Jahre alt.

Die SPD „tödlich beleidigt“

Die WASG fusionierte 2007 mit der PDS zur Linkspartei, seit 2009 ist sie im Dortmunder Rat vertreten und seit dieser Zeit ist Kowalewski dabei. „Tödlich beleidigt“ sei die SPD damals gewesen, sagt Kowalewski. Eigentlich wäre die Stadt Dortmund mit all ihren Langzeit-Katastrophen – Armut, Armutsgefährdung, Kinder in Hartz IV – doch ein Feld, das brach liegt und nach sozialen Lösungen schreien müsste. Anders formuliert: Wenn es vielen Menschen in dieser Stadt so schlecht geht, wie es ihnen geht, warum kann die Linkspartei daraus kein Kapital schlagen?

Wenn man das Kowalewski fragt, dann sagt er: „Die, denen es besonders schlecht geht, interessieren sich kaum für Politik und wählen sehr wenig. Die, die betroffen sind, tun sich schwer und sehen die Linke eher als Selbsthilfegruppe, die ihr individuelles Problem löst.“

Aktuell hat der Rat der Stadt 94 Mitglieder, acht von ihnen gehören zur Fraktion von Linkspartei und Piraten, da sei es eben schwer, verändernde Politik zu machen. Einmal, hofft Kowalewski, müsse man den Durchbruch schaffen, um den Menschen zu zeigen, dass sich etwas verändern lässt. Nun ist die Hoffnung ja immer gut, aber selten ein verlässlicher Partner. Vier Prozent für Kowalewski als OB-Kandidaten, sieben Prozent für die Fraktion, so waren die Umfragewerte, die das Forsa-Institut für die Ruhr Nachrichten und Radio 91.2 erforscht hatten - das hört sich jetzt auch nicht unbedingt nach Aufbruch oder Veränderung an, geschweige denn nach Revolution.

Ein bisschen wie ein Zirkuspony

Kowalewski sagt, als linker OB-Kandidat habe man es generell schwer, und er mache den Wahlkampf aus einem Grund: um eingeladen zu werden zu Podiumsdiskussionen, Positionen klar und Werbung machen und dadurch möglichst viele Stimmen für die Ratsfraktion besorgen zu können.

„Sie sind quasi eine Art Zirkuspony?“

„Ja, ein bisschen ist das so.“

Der Kandidat in jungen Jahren: Utz Kowaleski

Der Kandidat in jungen Jahren: Utz Kowaleski © RN-Archiv

Kowalewski ist Vater von drei Kindern, dazu gibt es zwei Mütter, mit seiner Partnerin und der gemeinsamen Tochter lebt er zusammen, die anderen beiden Kinder sieht er an den Wochenenden. Er lebt von der politischen Arbeit im Rat, von Sitzen in Aufsichtsräten, insgesamt, sagt er, bekommt er 2.500 Euro brutto. Die Steuer würde ihm nicht zu schaffen machen, eher die Krankenkasse.

Gemeinhin gilt er als netter Kerl

In der Dortmunder Politiklandschaft gilt Kowalewski gemeinhin als netter Kerl, vielleicht zu nett. Dabei wird oft übersehen, dass er jetzt auch schon mehr als zehn Jahre dabei ist. Und dabei zum Beispiel den Envio-Skandal mit ins Rollen brachte, weil er, als damals die rätselhaft hohen PCB-Werte am Hafen nicht sanken, einfach in die Gelben Seiten schaute und danach im Rat der Stadt fragte, ob die hohen PCB-Werte vielleicht etwas mit dem Betrieb der Firma Envio zu tun haben könnten? Die bereitete schließlich PCB-haltige Transformatoren auf.

Kowalewski sagt, damals habe die Stadt nur knapp geantwortet, dass ein Zusammenhang bestehen könne. Aber einen Monat später noch habe das Umweltamt der Stadt der Firma Envio einen Preis verliehen. Und ihn selbst habe damals ein Mitarbeiter der Bezirksregierung bedroht. Heute gilt die Westfälische Rundschau als die Zeitung, die den Envio-Skandal aufgedeckt hat.

Überzeugung muss man mitbringen

Wenn man Kowalewski fragt, wie er sich motiviert, dann sagt er, dass man sich über das motiviert, was man erreichen kann. Und dass man sich die Überzeugung nicht wegen des Handelns holt, sondern sie mitbringt.

Was also hat er erreicht?

Envio nennt er. Und dass die Angemessenheitsgrenze von Hartz IV jetzt jedes Jahr angepasst werde.

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Aktuell läuft Dortmund, läuft Deutschland in eine Wirtschaftskrise hinein – oder steckt bereits mitten drin, das ist Ansichtssache. Sparen hält Kowalewski für das falsche Gebot, das habe schon unter dem damaligen Reichskanzler Heinrich Brüning nicht funktioniert. Der habe in der Krise Anfang der 1930-er-Jahre angefangen zu sparen und damit die Rechten erst stark gemacht. In der Tat gilt Brüning nach wie vor als „Hungerkanzler“, der mit seiner Sparpolitik die Folgen der Weltwirtschaftskrise in Deutschland verschärfte.

Nur ist es eben auch eine Erfahrung, dass die Menschen sich in komplexen Zeiten einfache Lösungen wünschen. Was meistens wenig zielführend ist und die Ränder stärkt. Vielleicht ist das ein wichtiger Grund. Dafür, warum Kowalewski den Che auf der Brust spazieren führt, warum er von besseren Ergebnissen für seine Fraktion träumt – „knapp zweistellig“ – und warum er glaubt, dass dann doch endlich mal eine Menge an Stimmen zusammenkommen könnte, mit der sich etwas verändern ließe. Zumindest ein bisschen mehr als bisher.

Wer soll das bezahlen?

Sozialer soll die Stadt werden, eine sozial-ökologische Wende soll es geben, um den Klimawandel zu bekämpfen. Gemeindewohnungen nach Wiener Vorbild soll die Stadt bauen, die dann sozialverträglich vermietet werden. Die DEW soll rekommunalisiert werden.

Und wer soll das alles bezahlen?

Auf die Diskussion solle man sich, sagt Kowalewski, gar nicht groß einlassen, denn in einer Volkswirtschaft sei die schwarze Null doch ungünstig für den Konsum.

Wer mit 18 kein Kommunist ist...

Kowalewski ist vermutlich kein Kommunist. Doch es gibt einen Spruch, demzufolge der, der mit 18 kein Kommunist ist, kein Herz hat. Und der, der mit 30 Jahren noch Kommunist ist, keinen Verstand hat. Wenn man das Kowalewski sagt, sagt er:

„Das sehe ich anders.“

„Wie denn?“

„Kein Mensch will den Stalinismus zurück haben, dem weint ja niemand eine Träne nach. Jetzt aber leben wir in einem System, das aus der sozialen Marktwirtschaft herausgerutscht ist und in dem die Ellenbogen immer weiter ausgefahren werden. Dem etwas entgegenzusetzen, das geht nur von links.“

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