Im Firmenumfeld wurden erhöhte PCB-Werte festgestellt.

© Oliver Volmerich

Erhöhte PCB-Werte - Hunderte Anwohner und Kleingärtner betroffen

rnSchadstoffbelastung

Man denkt sofort an den Envio-Skandal: Im Umfeld eines Betriebs wurden erhöhte PCB-Werte festgestellt. In der Nähe gibt es Anwohner wie auch Kleingärten. Stadt und Firma ziehen Konsequenzen.

Dortmund

, 05.06.2020, 17:45 Uhr / Lesedauer: 3 min

Unwillkürlich kommt einem der Envio-Skandal in den Sinn, wenn man von PCB-Belastungen in der Umwelt hört. Umgebung und Mitarbeiter der Entsorgungsfirma im Dortmunder Hafen waren mit extrem hohen Mengen einer als krebserregend geltenden Chlorverbindung belastet worden.

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Davon ist man im aktuellen Fall wohl weit entfernt. Aber auch an der Hannöverschen Straße wurde im Umfeld der Firma M+S Silicon jetzt eine erhöhte Belastung mit PCB hergestellt: Die Konsequenz: Die Stadt empfiehlt wie vor Jahren am Hafen den Gärtnern in der Nachbarschaft, auf den Verzehr von bestimmten Gemüse- und Salatsorten vorerst zu verzichten.

PCB-Verbindungen gelten als weniger gefährlich

Immerhin: Der Ursache für die PCB-Belastung ist man schnell auf die Spur gekommen. Bei M+S Silicon werden aus Silikonkautschuk unter anderem Formteile und Bauelemente etwa für Busse und Bahnen, aber auch für medizinische Geräte hergestellt. Dabei werden chlorhaltige „Vernetzer“ eingesetzt - sie sind Quelle für bestimmte PCB-Verbindungen, die über die Abluft freigesetzt wurden.

Glück im Unglück: Die festgestellten Verbindungen PCB 47, 51 und 68 gelten als weniger gefährlich, wie der Leiter des städtischen Gesundheitsamtes Dr. Frank Renken berichtet. Sie sind aber auch noch wenig erforscht.

Landesweite Untersuchungen

Ausgangspunkt für die Untersuchungen war ein Fall in Ennepetal. Dort war in einem Betrieb bei der Herstellung von Silikon PCB freigesetzt worden. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) untersuchte daraufhin alle Silikonhersteller in NRW und wurde in Sachen PCB auch in Dortmund fündig.

An drei Standorten rund um die Firma M+S wurden Proben an Löwenzahn-Pflanzen genommen; zwei davon wiesen Werte oberhalb des Orientierungswertes von 1,7 Mikrogramm pro Kilogramm. Gemessen wurden 13 Mikrogramm am Rande der Kleingartenanlage Frohes Schaffen an der Hannöverschen Straße beziehungsweise 4,8 Mikrogramm am östlichen Rand der Gartenanlage Nordost.

Die Stadt wurde daraufhin schnell aktiv: „Wir gehen nicht von einer akuten Gefährdung aus, aber sehen uns veranlasst, vorsorglich zu handeln“, sagte Umweltdezernent Ludger Wilde bei einer Pressekonferenz im Rathaus. Zu dieser Vorsorge gehört die Empfehlung, großblättriges Gemüse aus dem eigenen Garten wie Grünkohl, Mangold oder Spinat und bestimmte Salatsorten nicht in größeren Mengen zu essen. Gesundheitsamtsleiter Dr. Frank Renken sprach von „vorbeugendem Gesundheitsschutz“.

Kleingärtner sind geschockt

Die Unruhe bei den Kleingärtnern ist auf jeden Fall groß. Im Umfeld gibt es vier Anlagen mit rund 550 Gärten „Die Gartenfreunde sind geschockt und getroffen“, berichtet Günter Mohr vom Stadtverband der Gartenvereine.

„Man sieht es nicht, man riecht es nicht, man schmeckt es nicht. Deshalb ist uns die Gefahr nicht geheuer“, beschrieb Mohr das Unbehagen. Es sei zwar positiv, dass die Gefahr jetzt bekannt sei, die große Frage sei aber, mit wie viel PCB man in der Vergangenheit in Kontakt gekommen sei. „Da werden jetzt die Spekulationen losgehen“, prophezeit Mohr.

Produktion wird umgestellt

Getroffen ist auch die Geschäftsführung der Firma M+S. Man sei von der PCB-Belastung „völlig überrascht worden“, erklärte Unternehmensgründer Jürgen Siedler, der sich bei den betroffenen Nachbarn ausdrücklich entschuldigte.

Und er versprach schnelle Abhilfe: Der kritische Vernetzer werde gegen eine chlorfreie Alternative ausgetauscht. Ein Drittel der Fertigung sei bereits umgestellt. Ein weiteres Drittel folge bis August. Bis Jahresende wolle man 90 Prozent der Produktion umstellen. Außerdem wird in Kürze ein Elektrofilter eingesetzt, um mögliche PCB-Belastungen aufzufangen. Auch eine finanzielle Entschädigung für die betroffenen Gartenvereine deutete Siedler am Freitag an.

Die Stadt kündigt ihrerseits weitere Untersuchungen von Luft, Boden und Pflanzen im Umfeld an. Im Internet wird unter pcb-koerne.dortmund.de über Hintergründe und aktuelle Entwicklungen informiert. Ein Info-Flugblatt wird an Kleingärtner und Anwohner verteilt. Ob es auch Blutuntersuchungen von Anwohnern und Kleingärtnern geben werde, hänge von den Ergebnissen schon laufender Untersuchungen in Ennepetal ab, erklärte Renken.

Keine auffälligen Blutergebnisse

Siedler konnte hier die Nachbarn immerhin schon etwas beruhigen. Bei Blutuntersuchungen von M+S-Mitarbeitern habe es keine Auffälligkeiten gegeben, berichtete er.

Alarmiert ist auch schon die Politik - auch wenn das Problem „nicht so heftig zu sein scheint“, wie der Sprecher der Fraktion Die Linke/Piraten im Rat, Utz Kowalewski es formulierte. Der Diplom-Biologe hatte sich seinerzeit schon bei der Aufklärung des Envio-Skandals engagiert. Jetzt fordert Kowalewski eine ausführliche Berichterstattung in der Sitzung des Umweltausschusses des Rates am 10. Juni (Mittwoch) und eine Infoveranstaltung für die betroffenen Anwohner.

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