
Cem Erdogdu führt den Unverpacktladen „Pur“ an der Dortmunder Saarlandstraße. © Joscha F. Westerkamp
Unverpackt-Läden in der Krise: Wie Cem Erdogdu seinen Laden retten will
Letzte Hoffnung
Deutschlandweit befinden sich Unverpackt-Läden in der Krise. In Dortmund musste die Hälfte der Anbieter bereits schließen. Cem Erdogdu (52) versucht die Rettung jetzt über ein Abo-Modell.
„Ich glaube, wir wären richtig steil gegangen. Hätten sogar einen zweiten Laden gehabt. Alles hat dafür gesprochen am Anfang“, sagt Cem Erdogdu (52), Inhaber des „Pur - Loses und Feines"-Unverpacktladens an der Dortmunder Saarlandstraße.
Doch wie die meisten seiner Kollegen steht er jetzt in der Krise. Überall schließen Unverpacktläden, in Dortmund zuletzt die „Füllbar“ an der Kaiserstraße und die „Öke-Möke“ in Aplerbeck.
Es seien einfach zu wenige Kunden gekommen, hatte „Öko-Möke“-Inhaberin Carina Kosmowski Anfang dieses Jahres erklärt, als sie ihren Laden schon nach anderthalb Jahren wieder schließen musste. Der Aufwand sei einfach zu hoch gewesen für die wenigen Einnahmen, heißt es auf Nachfrage der Redaktion von den Füllbar-Betreibern.
Cem versucht die Ladenschließung gerade noch zu vermeiden. „Wir sind im September 2018 voll im Trend gestartet“, sagt er, „doch innerhalb kürzester Zeit waren wir aus dem Trend.“
Große Baustelle, Corona und Krieg
Ungefähr alles habe ihn getroffen, was einem das gute Geschäft zerstören könne. Zuerst: eine riesige Baustelle vor der Tür. „Die hat uns den ersten richtigen Wachstumsschub gekostet.“
Dann – natürlich – Corona. „Das kam noch auf die Baustelle. Als Lebensmittelhändler hatten wir die ganze Zeit auf, aber das wusste kaum einer.“
Die staatlichen Hilfen hätten ihm damals auch nichts gebracht. „Die hätte man erst bei 40 Prozent weniger Umsatz bekommen. Aber ich wär schon bei 30 Prozent weniger pleite gewesen.“

Auch Seifen, Spülmittel und Duschgels können im "Pur" unverpackt gekauft werden. © Joscha F. Westerkamp
Was Schlimmeres als Corona, habe er gedacht, könne gar nicht passieren. „Währenddessen mussten schon unzählige Unverpacktläden schließen. Wir haben uns irgendwie durchgehangelt – und dann kam der Krieg.“
Altbewährtes statt Neues in der Krise
In der Krise, das wisse Cem natürlich, setze man nun mal auf Altbewährtes. Das könne er schon verstehen, dass man da nicht sein ganzes Einkaufsverhalten umstellen wolle. „Supermärkte waren bis vor Kurzem die großen Gewinner. Aktuell sind es Discounter. Aber keine Unverpacktläden.“

Besonders viel Wert legt Cem auf die Qualität der Produkte, die er ausgewählt hat. © Joscha F. Westerkamp
Bei ihm einzukaufen, das brauche nun mal mehr Zeit als im Supermarkt. „Ich habe den Laden vor allem, um möglichst hohe Qualität zusammenstellen zu können. Bei mir ist alles Bio, vieles die beste Ware, die man kriegen kann.“
Ob Haferflocken, Paprikagewürz, Feigen oder Sesamöl – in seinem kleinen Laden hat Cem so einiges. Das Grundprinzip des losen Einkaufens kenne er noch aus seiner Kindheit von den Märkten in der Türkei.
Trend wirkt viel größer, als er ist
„Der Trend der Unverpacktläden wirkt aber viel größer, als er tatsächlich ist. Ganz viele finden die gut, das hört man immer wieder. Aber kaum einer geht hin.“ Das hänge wohl auch mit einem großen Vorurteil zusammen: dem hohen Preis.
Denn die Krise der Unverpacktläden habe verschiedenste Gründe – aber nicht, dass viele sich Nachhaltigkeit aktuell nicht mehr leisten könnten.

Auch verschiedenste Gewürze hoher Qualität hat Cem verpackungsfrei im Angebot. © Joscha F. Westerkamp
„Ich weiß gar nicht, woher das kommt, dass alle denken, unverpackt wäre so teuer. Bei mir ist fast alles deutlich günstiger als verpackt im Biomarkt. Ich musste die Preise auch kaum erhöhen, ich bin also relativ gesehen sogar günstiger geworden.“
Außerdem sei man bei ihm nicht auf Packungsgrößen angewiesen, sondern müsse nur so viel kaufen, wie man tatsächlich braucht. „Das macht es auch noch mal günstiger.“
Und dennoch habe er seit einigen Monaten weniger Kunden als je zuvor. „Richtig schlimm wurde es, als die Lockerungen kamen. Dann haben die Leute angefangen, alles nachzuholen – waren im Theater oder im Urlaub. Aber fürs Einkaufen war dann erst recht keine Zeit mehr.“
Es reichen zehn Kunden mehr
Etwa 40 Kunden habe er zu den guten Zeiten pro Tag gehabt. Jetzt seien es dreißig. „Wieder zehn mehr, und alles wäre gut. Aber die kommen nicht.“
Bevor er den Laden eröffnet habe, habe er sich natürlich Gedanken darüber gemacht, ob das Modell zukunftsfähig sei. „Und ich habe gedacht: Lebensmittel braucht man ja immer. Bio: Das ist zwar klein, aber wächst beständig. Und Lebensmittel, die kauft man ja nicht online.“

Ob rote Linsen oder Haferflocken: Nahezu alle Trockenprodukte lassen sich unverpackt kaufen – und nicht nur die. © Joscha F. Westerkamp
Doch falsch gedacht. „Die Online-Konkurrenz ist während Corona immer stärker geworden. Es gibt Online-Bio-Händler, die sind erheblich teurer. Aber die Leute bestellen viel mehr da. Viele sagen mir sogar, dass sie eigentlich immer mal in meinen Laden kommen wollen, sind dann ein-, zweimal da – und dann doch wieder nicht.“
Abo-Modell als Rettung?
Lange habe er deshalb nach Konzepten gesucht, um seinen Laden zu retten. Eine Option: Spenden. „Bei einer Kollegin aus Essen ist dadurch einiges an Geld zusammengekommen. Aber kaum mehr Kunden.“

Um den Laden finanziell zu retten, hat Cem sich ein besonderes Abo-Modell ausgedacht. © Joscha F. Westerkamp
Deshalb habe er sich etwas Anderes überlegt: ein Abo-Modell. „Die Kunden zahlen monatlich einen vorher festgelegten Betrag. Für den können sie dann innerhalb des Monats bei mir einkaufen – und erhalten 10 Prozent Rabatt.“
Wie gut das funktioniert, zeige sich bald. Bei den Stammkunden sei er damit schon mal auf positive Resonanz gestoßen – „aber die kommen ja eh.“ Es sei auch ein Soli-Beitrag möglich, bei dem man einen Teil des Abo-Beitrags für andere übernimmt.
Erhältlich ist das Abo über Cems Website (pur-bio.de) oder direkt im Laden (Saarlandstraße 118). Geöffnet ist Montag bis Samstag von 10 bis 20 Uhr.
Gebürtiger Ostwestfale, jetzt Dortmunder. In der zehnten Klasse mit Journalismus und Fotografie angefangen. Liebt es, mit Sprache zu jonglieren – so sehr, dass er nun schon zwei Bücher übers Jonglieren geschrieben hat.