Türkische Ultra-Nationalisten trafen sich mitten in Dortmund „Graue Wölfe“ sind hier sehr aktiv

Türkische Ultra-Nationalisten trafen sich mitten in Dortmund: „Graue Wölfe“ sind hier sehr aktiv
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Kurz nach Weihnachten gingen Bilder aus Dortmund durch die sozialen Netzwerke, geteilt zuerst von international tätigen Journalistinnen und Journalisten mit großer Reichweite.

Sie zeigen eine Veranstaltung vom 27. Dezember in den Fredenbaumhallen („Beyaz Saray“), einem großen Veranstaltungssaal in der Nordstadt.

Eine öffentlich verfügbare Foto-Galerie des Abends zeigt zunächst harmlos erscheinende Bilder von Menschen, die an Tischen sitzen, tanzen oder gemeinsam essen.

Kinder zeigen den „Wolfsgruß“

Dann sind mehrere Kinder zu sehen. Sie zeigen den „Wolfsgruß“, ein Erkennungszeichen der türkischen rechtsextremen Organisation „Graue Wölfe“.

Mehrere Personen jeden Alters zeigen auf weiteren Bildern den Gruß mit abgespreiztem Finger bei zusammengelegtem Daumen-, Mittel- und Ringfinger. Die Geste gleicht dem „Leisefuchs“, der in Schulen in Deutschland verwendet wird.

Außerdem sind Gruppenbilder von Männern mit Fahnen zu sehen, die Symbole der Gruppierung zeigen, etwa einen Wolf auf hellblauem und rotem Hintergrund.

Politische Propaganda

Das Familienfest ist politische Propaganda für eine Bewegung, die Kemal Bozay, Politikwissenschaftler aus Köln mit Schwerpunkt auf türkischem Nationalismus, als „extrem rechte Organisationsform“ bezeichnet.

Als ihre parteipolitische Entsprechung gilt die ultranationalistische Partei MHP, die in einem Bündnis mit der AKP des Ministerpräsidenten Recip Tayip Erdogan Teil der Regierung der Türkei ist.

Verfassungsschutz warnt

Zuletzt hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Strukturen des türkischen Rechtsextremismus in Deutschland in einem Bericht näher beleuchtet und vor einer Radikalisierung gewarnt.

Zentraler Bestandteil der „Ülkücü“-Bewegung (übersetzt: „Idealisten“) sei „eine Überhöhung des türkischen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Ethnien, Staaten und Religionen, vor allem aber der Juden, Israels und der Armenier“.

Kemal Bozay (Mitte) bei einer Diskussionveranstaltung in Dortmund im Herbst 2022.
Kemal Bozay (Mitte) bei einer Diskussionsveranstaltung in Dortmund im Herbst 2022. © Felix Guth (Archiv)

Veranstalter des nach außen als Kulturevent mit bekannten Künstlern verkauften Abends ist die Organisation „Turk Federasyon“ („Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland, ADÜTDF).

Laut Bundesamt für Verfassungsschutz handelt es sich hierbei „um die Auslandsorganisation der MHP, die von dieser nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam dirigiert wird“.

Netzwerke in Dortmund

Genannt werden weitere Organisationen, über die das Weltbild in europäische Länder transportiert werde.

Mindestens eine davon – die „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“ (Atib) – ist über einen Moscheeverein auch in Dortmund aktiv.

Atib hatte sich 2020 von Verbindungen zur „Ülkücü“-Bewegung distanziert und „zum Grundgesetz, zu den rechtsstaatlichen Prinzipien und dazu, dass kein Mensch Rassismus, Hass oder Diskriminierung erfahren darf“, bekannt.

Laut Kemal Bozay seien in Dortmund ebenso wie in anderen NRW-Großstädten mehrere Lokalitäten bekannt, die regelmäßig von den „Grauen Wölfen“ nahestehenden Gruppierungen genutzt wurden.

Bozay sagt: „Sie wollen eine gesellschaftspolitische Spaltungslinie ziehen und polarisieren mit Themen unter türkeistämmigen Menschen. Die Bewegung sei „kurdenfeindlich, alevitenfeindlich und gegen andere Minoritäten gerichtet“.

Für viele Menschen in der türkischen Community seien ihre Aktivitäten eine „konkrete Bedrohung“.

Wie sich das auswirken kann, hat sich in Dortmund bereits mehrfach gezeigt. Im Mai 2020 starb ein Mann kurdischer Herkunft nach einer Auseinandersetzung mit einem 39-Jährigen. Der Täter stellte seine nationalistische Gesinnung und Unterstützung der „Ülkücü“-Bewegung deutlich zur Schau.

Am selben Tag der Veranstaltung am Fredenbaum kam es zuletzt zudem zu Auseinandersetzungen am Rande einer Demonstration von Gruppen aus der kurdischstämmigen Community, der laut Polizei „Provokationen“ vorausgegangen waren.

„Konkrete Bedrohung“

„Es gibt einen Transfer von bestimmten Konflikten“, sagt Kemal Bozay. Dabei sei türkischer Nationalismus „kein Randgruppen-Phänomen“, sondern habe einen gewissen Rahmen. „Der Verbreitungsgrad ist immens hoch.“ Bundesweit gibt es rund 18.000 Personen, die der Szene zugerechnet werden.

Mehr Auftritte im Wahlkampf

Am 22. Januar findet in Köln eine Veranstaltung nach dem gleichen Muster wie in Dortmund statt. Die Häufung der Termine sind laut Kemal Bozay Resultat einer „nationalistischen Stimmung“ in der Türkei, nachdem Präsident Erdogan die Zusammenlegung von Präsidentschafts- und Parlamentswahl angekündigt hatte.

„Das wird noch eine andere Ebene bekommen, wenn die Wahltermine feststehen und dann Abgeordnete der MHP für Wahlkampfauftritte in Großstädte in NRW kommen“, sagt Bozay.

Die Polizei Dortmund hat keine Erkenntnisse zu der „privaten“ Veranstaltung. Die Stadt Dortmund bestätigte gegenüber „Der Westen“ die Kenntnis von ihrer Existenz, kündigte aber bisher keine konkreten Reaktionen an.

2018 hatte es in Dortmund schon einmal eine Veranstaltung der „Turk Federasyon“ in den Fredenbaumhallen gegeben.

Verbot soll geprüft werden

2011 und 2015 hatten vergleichbare „Graue Wölfe“-Veranstaltungen in der Essener Grugahalle und in der Arena in Oberhausen für viel Kritik und Proteste im Vorfeld gesorgt.

Der Deutsche Bundestag hat 2020 die Bundesregierung beauftragt, ein Verbot der Organisation zu prüfen. In Frankreich und Österreich ist ein solches Verbot bereits umgesetzt.

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