Sky-Doku liefert neue Hinweise zu Norman Franz Hat er sich nach Südafrika abgesetzt?

Doku über Fünffachmörder Norman Franz startet: Neue Hinweise in dem Fall
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In hochverdichteten 98 Minuten erzählt Regisseurin Annika Blendl die ganze Geschichte des aus Dortmund stammenden fünffachen Raubmörders Norman Franz, der sich seit 1999 international auf der Flucht vor der Justiz befindet. Es ist auch die Geschichte seiner damaligen großen Liebe Sandra C., die für diesen Film erstmals in aller Offenheit Einblicke in ihr Innenleben und ihr privates Foto- und Videoarchiv gewährt.

Für den Film interviewt die Regisseurin auch Franz‘ Sohn Mike F., der auf der Flucht nach dem ersten von zwei Gefängnisausbrüchen seines Vaters geboren wurde, sowie frühere Weggefährten von Franz und in dem Fall ermittelnde Polizisten. In der zweiten Hälfte des Films werden Rechercheergebnisse präsentiert, die selbst für das Landeskriminalamt neu und hilfreich sind. Achtung, dieser Text verrät viele Details des historischen Falls.

Ein „herzensguter Freund“

Der 1,77 Meter große und 25-jährige Franz lernt 1995 die damals noch 16-jährige Sandra C. auf einem Spielplatz an der Flurstraße, unweit des Borsigplatzes kennen. Schon damals betreibt er Zigarettenschmuggel und dreht andere krumme Dinger mit seiner Gang.

Franz’ früherer Gang-Kollege sowie sein späterer portugiesischer Zellennachbar charakterisieren ihn als herzensguten Freund, Sandra C. nennt ihn „einfühlsam“ und „auf Augenhöhe“. Dortmunds Oberstaatsanwalt Carsten Dombert wird in dem Film Franz’ Auftreten später als unscheinbar beschreiben.

Mike F. und Sandra C. sitzen auf einer Couch und gucken in die Kamera.
Mike F., der Sohn von Norman Franz, und Sandra C,. Mikes Mutter und Ex-Frau von Franz. © Mateusz Smolka/argon film/Sky

Annika Blendl verwebt Hochglanz-Interviews von Franz‘ Weggefährten mit Fernsehausschnitten aus den 90ern, Bildmaterial aus der Schatulle von Sandra C. und eigens für die Doku nachgespielten Szenen, die die Jugendjahre von ‚Bonny und Clyde vom Borsigplatz‘ wiedergeben. In einem alten Video ist Franz als Schüler dabei zu sehen, wie er in einer Schulaufführung einen Polizisten spielt, der ein Auto anhält. Eine Szene, die sich in seinem echten Leben wiederholen sollte, diesmal mit vertauschten Rollen.

Franz tötete fünf Menschen

Franz tötete 1995 zwei Zigarettenschmuggler auf einer Landstraße zwischen Hohensyburg und dem Autobahnkreuz Dortmund-Süd, ein dritter konnte schwerverletzt entkommen. Die polnischstämmigen Männer hatten Franz‘ Bande wegen ausstehender Schulden gedroht. Die vorgetäuschte Geldübergabe war eine Todesfalle – gezeigt in nachgestellten Szenen auf Tatortniveau. Im Film zeigt eine Texteinblendung: Franz‘ Opfer heißen Wojciech P. und Jaroslaw W.

Frontal- und seitliches Porträt von Norman Franz
Das Bundes- und Landeskriminalamt fahndet nach wie vor nach Normen Franz. Diese Fotos stammen von seiner Festnahme in Portugal 1998. Damals war er 28 Jahre alt. © Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen

Sandra C. gibt sich auch heute noch rückblickend naiv, habe diese Tat nicht kommen sehen, obwohl sie die Waffen in seinem Keller kannte. Im Interview beschreibt sie, wie Norman Franz nach seiner Tat in ihre Wohnung zurückstürmt und sich die beiden überhastet auf die Flucht begeben, über Mallorca, die Niederlande und wieder Deutschland.

Nach nur wenigen Wochen, im Mai 1995, findet die Polizei sie in Osnabrück. Die minderjährige Sandra C. wird von ihrer Mutter vom nächstgelegenen Rastplatz abgeholt, Norman Franz wird im März 1996 wegen doppelten Mordes mit besonderer Schwere der Schuld zu lebenslanger Haft verurteilt.

Flucht aus Hagen

Die große Liebe hält auch durch die Gefängnismauern hindurch. Sie schreiben sich seitenlange Briefe. Nur ein Jahr später sollte Norman Franz bereits die Flucht aus der Justizvollzugsanstalt Hagen gelingen und das unter ungeklärten Umständen. Mehrere Beobachter von damals, Gerichtsreporter Helmut Ullrich und Franz‘ Mitinsasse Jörg Kimmel, sind sich sicher: Die offizielle Version der Polizei kann nicht stimmen.

Schon in der JVA Wuppertal fliegen hineingeschmuggelte Sägeblätter bei Franz auf. Nach seiner Verlegung nach Hagen erhält er dennoch keine Sonderbewachung. Angeblich soll er dort mit Gefängnisbesteck sein Fenstergitter durchsägt haben und so geflohen sein. Ullrich und Kimmel sind sich sicher: Franz hatte Hilfe von Gefängniswärtern. Franz‘ Frau Sandra C. gibt später zu, erneut kleine Sägeblätter mit Tesafilm an ihrer Halskette befestigt ins Gefängnis geschmuggelt zu haben.

Franz öffnet damit wohl die Gitterstäbe, knotet Bettlaken zu einer 15-Meter-Leiter zusammen und lässt sie durch sein Fenster von einem Komplizen auf Dachs ziehen, auf welches er dann klettert. Über die Regenrinne soll er aus dem Gefängnis gelangen, wo seine Mutter und seine Frau schon mit einem Fluchtauto und Waffen auf die warten.

Raubmorde im Osten

Die beiden Geliebten fliehen durch Deutschland, er 27, sie 19 Jahre alt. Auch bei Fanz‘ nächstem Raubmord im März 1997 in Weimar will Sandra C. nicht geahnt haben, was ihr Norman im Schilde führte. Er erschießt einen Bankboten und flüchtet mit 5000 Deutschen Mark. Zu dieser Zeit wird Sandra C. von Norman Franz schwanger.

Erst bei dem nächsten Vorfall drei Monate später sieht sich Sandra C. erstmals wirklich als Mittäterin, erzählt sie angespannt in dem Filminterview. Franz schießt in Halle an der Saale zwei Geldtransportfahrern in den Kopf und das Paar flüchtet mit Geldkassetten im Wert von 500.000 DM. Seine Opfer heißen Rudolf T., Gerd K. und Peter S. Dombert erinnert daran, dass Franz mehrere Leben ausgelöscht und Familien zerstört hat. Sandra C. sagt, sie war hin- und hergerissen, aber ihre Liebe war stärker als ihr Moralempfinden.

15 Monate Ruhe in Portugal

Ihr neuer Fluchtpunkt, ein Örtchen an der Südküste Portugals. Dort führen sie 15 Monate lang so etwas wie ein normales Leben, trotz des Wissens um die polizeiliche Suche nach ihnen. Sie stecken ihr Beutegeld in Immobilien, Franz beginnt, als Makler zu arbeiten, ihr Sohn Mike wird geboren. Sandra C. beschreibt diese Zeit als die schönste ihres Lebens.

Norman Franz trägt seinen etwa ein Jahr alten Sohn Mike auf den Schultern und lächelt in die Kamera. Norman Franz trägt ein weißes T-Shirt und steht anscheinend auf einem Balkon in Portugal bei Dämmerung.
Norman Franz hat auch seinen Sohn Mike F. zuletzt 1999 gesehen. © Sandra C.

Das Paar begeht einen folgenschweren Patzer: Sein Auto ist immer noch der BMW, den beide zuletzt in Deutschland angemeldet hatten – mit deutschem Kennzeichen. Eine simple Verkehrskontrolle führt später zur Festnahme auf offener Straße. Sandra C. wird mit Sohn Mike nach Deutschland in die JVA Vechta gebracht, Norman Franz ins Zentralgefängnis Lissabon.

Nach nur neun Monaten, am 28. Juli 1999, gelingt Franz erneut ein Ausbruch – einen Tag, bevor er nach Deutschland ausgeliefert werden sollte. Seitdem fehlt jede Spur von ihm – bis zu den Recherchen des Filmteams um Regisseurin Annika Blendl.

Portugiesischer Journalist mit Erfolg

Auftritt João Nuno Assunção. Der portugiesische Journalist stößt Jahre später zufällig auf den Fall. Er sichtet Dokumente und spricht mit Wachleuten und Insassen des Lissabonner Gefängnisses von 1998. Seine erhärtete Theorie: Auch in Portugal soll Franz Wachleute bestochen haben, um zu entkommen. Eine filmreife Flucht mit durchgesägten Gittern, einer Puppe im Bett und einem Sprung in einen Müllwagen vor dem Gebäude soll er nur inszeniert haben.

Außerdem zeigt Assunção Indizien dafür, dass Franz sich nach Südafrika abgesetzt hat und, dass seine portugiesische Anwältin Matilde F. ihm bei der Vertuschung seiner Machenschaften geholfen hat. Sie streitet das in der Doku ab. Weitere Funde des Filmteams sowie Assunçãos haben es „aus ermittlungstechnischen Gründen“ nicht in den Film geschafft, erklärt eine Texteinblendung.

Von Reue keine Spur

Am Ende des Films übergibt die Regisseurin ihrer Kronzeugin noch einen Brief, den sie in Portugal aufgetan hat. Es ist der letzte, nie abgesendete Brief von Franz an seine Geliebte, datiert auf den 26. Juli 1999, zwei Tage vor seinem Ausbruch. Darin schreibt Franz: „Niemand auf der Welt hat so für seine Liebe gekämpft wie wir beide, aber wir scheinen verflucht zu sein.“

Sandra C. pustet Zigarettenqualm aus.
Sandra C. im Film „Das Phantom - Auf der Jagd nach Norman Franz“ bei Sky. © Mateusz Smolka/argon film/Sky

Sandra C. und ihr Sohn Mike wohnen immer noch in Dortmund. Mike ist klar, dass sein Vater schlimme Dinge getan hat, erzählt er im Interview, aber vielleicht ist der Film eine Möglichkeit, wie Norman Franz seinen Sohn einmal sehen kann. In Sandra C. mischen sich Wut und Sehnsucht.

Er hat seine große Liebe und seinen Sohn zurückgelassen, mit den Bildern im Kopf, mit dem Stigma und der ewigen Ungewissheit. Aber sie glaubt fest daran, dass ihr Ex-Mann noch lebt und sich irgendwann melden wird. „Ich würde alles wieder so machen“, sagt sie schon zu Beginn.

Fahndung läuft weiter

Heinz G. sitzt im Interview an seinem Schreibtisch. Sein Gesicht ist verdunkelt.
Heinz G., der für Norman Franz zuständige Fahnder des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, muss qua Beruf unerkannt bleiben. © Mateusz Smolka/argon film/Sky

Die Polizei sucht weiter. Das Bundeskriminalamt hat eine Internetseite mit allen Informationen über Norman Franz eingerichtet, auch eine Tonaufnahme seiner auffallend hellen Stimme. Wenn er noch lebt, ist er heute 54 Jahre alt. Für entscheidende Hinweise winken bis zu 25.000 Euro Belohnung. Das BKA warnt jedoch auch davor, dass Norman Franz weiterhin gewaltbereit sein könnte.

„Das Phantom – Auf der Jagd nach Norman Franz“ ist ab Donnerstag, dem 19. Dezember, exklusiv auf Sky und dem Streaming-Dienst Wow abrufbar und läuft am selben Tag um 20.15 Uhr auf Sky Crime.