Er warf eine Handgranate in ein vollbesetztes Auto und flüchtete spektakulär über die Regenrinne aus dem Hagener Gefängnis. Auf der Flucht erschoss er über mehrere Monate drei Wachleute, um Geld zu rauben. Wieder kam er ins Gefängnis, wieder konnte er entkommen. Seit 25 Jahren sucht die Polizei den Dortmunder Norman Volker Franz. Der Fall Norman Franz ist so spektakulär, dass er im Dezember eine neue Doku bekommt.
1970 in Arnsberg geboren, in Dortmunds Nordstadt aufgewachsen: ein Geldräuber, Auto-, Waffen- und Zigarettenschieber - und schließlich fünffacher Mörder.
Die „Warschauer Allee“
Deutschland nach der Wende: Die Grenzen zum bislang abgeschotteten Osteuropa sind offen. Die Unterwelt nutzt das. Russische, polnische, deutsche Mafiosi dealen mit gestohlenen Autos und unversteuertem Tabak. Alleine zwischen 1990 und 1995 war der Handel mit illegalen Zigaretten weltweit um 73 Prozent gewachsen. Berlin ist ein Brennpunkt des Milliardengeschäfts, weiter westlich ist es das Ruhrgebiet.
Mitten durch Dortmund verläuft die Schmuggelachse von Russland nach Großbritannien, die Autobahn A2. Zollfahnder sprechen von der „Warschauer Allee“. Im östlichen Ruhrgebiet rivalisieren polnische und deutsche Banden miteinander. Norman Volker Franz vom Borsigplatz, der aus kleinen Verhältnissen stammende hochintelligente Schüler des Westfalenkollegs, der in Mathe eine 1+ abliefert, mischt nach Schulschluss in dieser Konkurrenz mit.
Tief im Süden der Stadt verbindet die wenig befahrene Reichsmarkstraße den Ortsteil Hohensyburg mit der B54 und dem Autobahnkreuz Dortmund-Süd. Felder. Wälder. Ein Golfplatz. Gegen Mitternacht am 15. Mai 1995, einem Dienstag, reißen eine laute Explosion und mehrere Schüsse die Anwohner Syburgs aus dem Schlaf.
Eine Stichflamme erhellt den Nachthimmel. Die alarmierte Feuerwehr findet auf der Reichsmarkstraße einen VW Golf. Er brennt lichterloh. Über dem Steuer hängt eine zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche, im Graben liegt ein zweites Opfer mit abgerissenem Fuß. Es ist schwer verletzt worden durch einen Kopfschuss. Auch diesem Mann kann der Notarzt nicht mehr helfen. Er stirbt.

Der dritte Autoinsasse, wie seine Komplizen ein illegal eingereister Pole, war von Pumpgun-Schüssen getroffen worden. Er konnte zunächst vom Tatort fliehen und hat überlebt. Als er in der Klinik aufwacht, schildert er den Hergang des Überfalls. Vor allem: Er nennt den Ermittlern die Namen der Täter.
Die Erzählung des Schwerverletzten ergibt das Bild eines brutalen Bandenkriegs: Danach haben Norman Volker Franz und ein Kumpan den polnischen Rivalen eine nächtliche Falle gestellt. Das verabredete Treffen in dem abgelegenen Flecken Dortmunds geriet zum Blutbad, als Franz durch das offene Seitenfenster des Golf eine Handgranate jugoslawischer Herkunft warf. Sie explodierte. Noch aus dem Fluchtfahrzeug heraus feuerte Franz auf den Kopf des Mannes im Graben.

Es sind seine Morde 1 und 2, die Norman Volker Franz im Dortmunder Süden begangen hat. „Vorsicht! Franz ist gewalttätig und bewaffnet. Er macht rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch“, warnt das Bundeskriminalamt auf seiner Website der meistgesuchten Verbrecher noch 25 Jahre später. Nur eine hat das 1995 nicht so gesehen oder nicht sehen wollen oder können: Sandra, die damals 16 Jahre junge Freundin.
Bonnie and Clyde des Ruhrgebiets
Auch Sandra stammt aus der Dortmunder Nordstadt. „Er war immer lieb und nett zu mir“, hat sie viel später ZDF-Reportern für eine detaillierte Dokumentation erzählt, die der Sender 2007 ausgestrahlt hat. Sie ist nach dem Massaker an der Reichsmarkstraße bei Norman geblieben und hat ihn auf seiner Wahnsinnsflucht begleitet als seine Geliebte, als seine in der Wuppertaler Haftanstalt angetraute Ehefrau und als Mutter seines Kindes.
Medien haben schnell den Vergleich mit dem berüchtigten amerikanischen Gangsterpärchen der 1920er-Jahre gezogen. Norman und Sandra werden zu „Bonnie and Clyde“.

Mai 1995. Norman und Sandra setzen sich nach der Blutnacht ab. Ihr Weg führt sie über Mallorca und die Niederlande zurück nach Deutschland. In einer „XY-Sendung“ werden der Name und die Personenbeschreibung öffentlich - und vier Tage danach klicken in Osnabrück die Handschellen für Franz.
Am 12. März 1996 verurteilt ihn das Dortmunder Landgericht wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft. Acht Wochen später gibt er Sandra in der Vollzugsanstalt Wuppertal das Ja-Wort. Anfang 1997 wird der Doppelmörder in die Haft nach Hagen verlegt. Da stricken Norman und Sandra längst heimlich den Ausbruchsplan.
Grober Schnitzer der Sicherheitsleute
Sandra trägt gerne ihre metallene Halskette. Bei den Besuchen in der Hagener Haft wird das Stück anfangs immer genau überprüft. Doch Aufseher kennen die Angehörige bald und winken sie durch. Ein grober Schnitzer. Am 11. März, ein Jahr nach der Verurteilung, kommt es zur tollkühnen Flucht.
Franz nutzt Teile eines Eimers, Besenstiele - und kleine Metallsägen, die die Ehefrau in der Kette mit Tesa befestigt ins Gefängnis schmuggelt. So kann er über das Dach an die Dachrinne gelangen und rutscht dann in die Tiefe. Sandra wartet in einem roten Polo. Dann sind sie weg.
Der Weg der Gewalt
Das Paar braucht Geld. Wieder geht der jetzt 27-Jährige den Weg der Gewalt. Die Tatorte liegen in Ostdeutschland. Rücksichtslos erschießt Norman Volker Franz den Wachmann Rudolf Tamm in Weimar, der eine Geldkassette mit 15.000 D-Mark zur Bank bringen will.
Drei Monate später, im Juli 1997, sterben durch seine Waffe die Wachleute Gerd Koch und Peter Seidel, die die Einnahmen eines Metro-Marktes bei Halle abtransportieren. Die halbe Million D-Mark Beute reicht, um das Paar sorglos weiterleben zu lassen. Doch sie haben sich einen Fehler erlaubt.
Fehler bei Hotelbuchung
Bei Halle haben sie in einem Hotel gewohnt, in dem sich Norman versehentlich mit echtem Namen angemeldet hat. Die Ermittlungsbehörden addieren den Namen Norman Franz, den identifizierten roten Polo und Fahndungsbilder des Landeskriminalamtes NRW vom Mord an der Reichsmarkstraße. Sie wissen jetzt: Der Mörder von Dortmund mordet weiter. Doch noch fühlen sich die beiden sicher.
Ihre Flucht gelingt. Fluchtdomizil wird ein Haus im portugiesischen Albufeira. Während die Fahndung europaweit auf Hochtouren läuft, gönnen sie sich ein bürgerliches, ruhiges Jahr an der Atlantikküste. Sie gebiert einen Sohn. Er verdient als Immobilienmakler das Geld. Macht der Familienfrieden leichtsinnig?
Polizeikontrolle ändert alles
Nach wie vor fahren sie den BMW, den ihnen ein Freund in Deutschland verkauft hat. Das Kennzeichen war wenige weitere Monate gültig. Aber auch im Herbst 1998 sind die Nummernschilder noch montiert. So fällt das Fahrzeug in einer Routinekontrolle der portugiesischen Polizei auf.

Eine Rückfrage beim deutschen BKA ergibt den Treffer. Nach einiger Zeit der laufenden Beobachtung wird der fünffache Mörder am 24. Oktober auf offener Straße verhaftet und ins Lissabonner Zentralgefängnis gebracht.
Seine Frau kommt in eine Frauenhaftanstalt. Zwar tricksen sie, kommunizieren über gleichzeitige Telefongespräche mit Normans Mutter. Er will sie noch einmal zur Flucht überreden. Aber Sandra entscheidet anders. Sie will beim Kind bleiben, nicht beim Mann. Sie entschließt sich zur Trennung. Der Schlussstrich.
Zweiter Gefängnis-Ausbruch
Norman Volker Franz schafft es alleine. Er bricht am 28. Juli 1999 zum zweiten Mal aus. Ein anderer Häftling muss ihm geholfen haben, das alles mit einem perfekten Timing. Franz verschwindet aus dem zentralen Gefängnis der Hauptstadt Portugals nur einen Tag, bevor er nach Deutschland ausgeliefert werden soll.
Seitdem ist er unauffindbar.
Ein Rucksacktourist will den Flüchtigen mal im australischen Outback gesehen haben. Belastbarere Hinweise führen eher in afrikanische Länder wie Marokko oder nach Südamerika. Franz hat zum Zeitpunkt der Flucht Deutsch, Französisch und Portugiesisch gesprochen.
Stimmprobe veröffentlicht
Wie sieht es mit der Spur des Geldes aus? „Der Verbleib des Geldes ist aufgeklärt“, sagte ein Fahnder im Jahr 2020. Unter anderem seien in Portugal Immobilien gekauft worden, nach der Flucht habe Franz weder einen tatsächlichen noch einen rechtlichen Zugriff darauf gehabt. „Er ist eigentlich ohne Geld geflohen“, hieß es.
Auf der Internetseite des Bundeskriminalamtes (BKA) ist auch 25 Jahre nach dem Ausbruch noch eine Beschreibung des Gesuchten zu finden, inklusive einer Aufnahme seiner Stimme. Norman Volker Franz ist männlich, 1,77 Meter groß, hat starke Körperbehaarung, braune Augen. 1999 hatte er hellblondes schütteres Haar und eine beginnende Stirnglatze gehabt. Sein Auftreten sei „charmant und freundlich, insbesondere gegenüber Frauen“.
Verschiedene Namen genutzt
Mehrfach habe er das Aussehen jedoch verändert, als Alias-Namen habe er bekanntermaßen Michael Stuever und Carsten Müller genutzt. Man konzentriere sich auf die Suche im Ausland, heißt es vom BKA. Bis zu 25.000 Euro Belohnung werden ausgelobt für entscheidende Hinweise, die zu einer Festnahme des Täters führen.
„Es gehen auch immer noch einzelne Hinweise auf mögliche Aufenthaltsorte oder Sichtungen von Norman Volker Franz ein“, teilt das Landeskriminalamt NRW auf Anfrage mit. Solchen Hinweisen gehe man dann auch nach. „Leider haben sich bislang noch keine konkreten Hinweise auf den tatsächlichen Verbleib des Gesuchten ergeben.“
Zwischenzeitlich war Franz sogar auf der Meistgesucht-Liste der europäischen Behörde Europol zu sehen. Dort werde aber fortlaufend priorisiert, was „im benannten Fall zugunsten anderer (aktuellerer) Fahndungen ausgefallen ist“, so das LKA.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 28. Juli 2024.