Mehr als 70 Menschen stehen an einem warmen Juni-Tag am Grab von Günter Link und singen. Der Dortmunder starb am 16. Mai 2023 im Alter von 82 Jahren.
An seinem Grab stimmen sie einen Kanon an, zur Melodie von „Hejo, spann den Wagen an“. Link hatte hierzu einen Text geschrieben, in dem es um den Wunsch nach Frieden geht. Dass sein letztes kreatives Projekt vor seinem Tod einmal gesungen wird, war sein großer Wunsch.
„Frieden, Frieden braucht das Land, darum Freunde reicht Euch jetzt die Hand. Für Frieden und für Liebe. Für Frieden und für Liebe“, lauten die Zeilen, die Freunde und Angehörige singen. Sie vollenden Günters Idee.
„Das war festlich und würdig. Es tat unserem Sohn und mir sehr gut“, sagt seine Lebensgefährtin Regina Fehring.
Mitbegründer des Domicil
Der Abschied schmerzt alle, die ihm nahestanden. Und doch sei bei der Trauerfeier noch einmal das spürbar gewesen, was sein Leben immer ausgemacht habe, sagt Regina Fehring.
„Er wollte die Menschen zusammenbringen, ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen.“ Er hat damit ein Stück Dortmunder Geschichte mitgeschrieben.
1968 sitzt er mit Jimmy Horschler, Albert Schimanski, Wolfgang Körner, Horst Stölzig und Werner Panke an einem Tisch in der „Hansa-Carré-Passage“. Die Männer begründen hier einen kreativen Dortmunder Ort, den es bis heute gibt: den Jazz-Club Domicil.
Aufräumen im „Birds Club“
Ein Jahr später merkt er zum ersten Mal, dass er noch mehr bewegen kann. Er übernimmt von Ruud van Laar die Leitung des „Birds Club“ in der Dortmunder Innenstadt. Verbunden mit dem Ziel, aufzuräumen; meint: die Drogenszene aus dem beliebten Laden zu vertreiben.
Das gelingt ihm mit einer Mischung aus Restriktionen (sogar Kaugummi kauen soll eine Zeit lang verboten gewesen sein) und neuen Party-Formaten. Die ersten Sätze der Legende von „Lord Link“ sind geschrieben.

Ungewöhnliche Party-Mittel
Im gerade erst erwachenden Dortmunder Nachtleben macht er sich in den folgenden Jahren einen Namen. Das liegt laut Beobachtern dieser Zeit zum einen an seinem exzentrischen Äußeren, was ihm auch seinen Spitznamen einbringt.
Und zum anderen an einer inneren Einstellung, die jeden Abend begleitet. „Es sollte immer eine totale Party sein“, sagt Regina Fehring.
Dazu wählt er ungewöhnliche und kreative Mittel. Es gibt eine Zeit mit „Clubkarten“, als so etwas noch niemand kennt. Manchmal nimmt der Disko-Betreiber seine Gäste mit an den Fluss Stever, um dort im Freien zu feiern. So etwas verbindet die Gäste. Bis heute.
Beliebte Diskothek „Holiday“
Er veranstaltet eine Wahl zu Maikönigin, an der nur Männer teilnehmen dürfen. In einer „Chaos-Nacht“ bauen vier Frauen eine kleine Holzhütte auf der Tanzfläche – und zertrümmern sie dann mit Vorschlaghämmern.
Eine ganze Weile funktioniert es für ihn sehr gut. Das trifft besonders auf die Zeit zu, in er das „Holiday“ an der Geschwister-Scholl-Straße betreibt. Die Disco-Ära geht in die 80er-Synthie-Pop-Phase über – und das „Holiday“ nimmt diesen Schwung mit.
Es entsteht eine der ersten „Mainstream“-Diskotheken in Dortmund, in der es gleichzeitig exzentrische Outfits und ausgefallene Aktionen zu sehen gibt.
Alles ist knallbunt. In einer Ecke steht eine Holztribüne, die mit lila Teppich bespannt ist, an der Wand prangt das Holiday-Logo, ein gelbes Flugzeug, aus dessen Propeller Noten fliegen.
„Holiday“-Gemeinschaft besteht
Immer noch gibt es heute gelegentlich Feiern im Soundgewand der damaligen Dortmunder „Clubs“ und Austausch in einer Facebook-Gruppe. Bei der Beisetzung treffen ehemaliges Theken-Personal, der damalige Türsteher und der Geschäftsführer aus traurigem Anlass zusammen.
Im (Nacht)-Leben ist nichts für ewig. 1985 endet die Legende von „Lord Link“, weil es finanziell nicht mehr passt. Günter Link beginnt ein zweites Leben, in der er sich auf ganz andere Weise in die Gesellschaft einbringt.
Sein zweites Leben
Er bildet sich in Anthropologie, Soziologie und Psychologie weiter. Er arbeitet als Autor für das WDR-Radio und andere Medien, bringt dort vor allem sozialkritische Beiträge unter, etwa zu Medienkonsum oder der Rolle der Frau in der Werbung.

Er lernt 1992 Regina Fehring kennen und findet die Frau, mit der er alt wird. 1998 wird sein Sohn Mario geboren, da ist er schon 58 Jahre alt.
„In den über 30 Jahren, die ich mit ihm und wir später zu dritt zusammen waren, ist noch einmal so viel dazugekommen. Ich kenne ja die Disco-Zeit nur von Bildern und Berichten“, sagt Regina Fehring.
Verrücktheit mit Herz
Sie sagt: „Bei aller Verrücktheit musste die Grundlage immer sein, dass es ,mit Herz’ und friedlich sein muss.“
Link bleibt bis an sein Lebensende ein politisch denkender Mensch, jemand, der über den Sinn des Mensch-Seins nachdenkt und spricht.
Noch zwei Tage vor seinem Tod unterhält er sich in der Dortmunder Volkshochschule mit anderen Interessierten über philosophische Fragen im Alltag. In dem Philosophie-Café, das er 1998 gegründet hatte, um Menschen zusammenzubringen.
„Ich frage mich: Wie schafft man es, so viel in einem Leben unterzubringen?“, sagt Regina Fehring.
Dortmunds verschwundener Party-Keller
Als das Ferrari-Volk im „Number One“ mit Champagner-Runden unterm Alten Markt feierte
Dortmunds Diskoszene, wie wir sie kennen, stirbt – aber das ist nicht schlimm