
Als das Ferrari-Volk im „Number One“ mit Champagner-Runden unterm Alten Markt feierte
Dortmunder Disko-Legenden
Mit dem Number One hielt 1977 die Party-High-Society Einzug in Dortmunds Nachtszene. In der Keller-Disko unterm Alten Markt und ihren Nachfolgern feierte man bei teurem Champagner.
Die Nachtleben-Szene in Dortmund ist traditionell eher bodenständig. T-Shirt, Jeans oder Rock, Turnschuhe – mehr braucht es in Dortmund selten, um in einen Club zu kommen. Drinnen ist dann meist Bier das Getränk der Wahl. Kein Schi Schi, dafür kostengünstig, und knallen tut es allemal. Das ist heute so – und war es erst recht vor 40 Jahren.
Die Disko hingegen, die am 7. 7. 1977 unterm Alten Markt eröffnete, passte so gar nicht in dieses Muster. Das Number One platzte ins Dortmunder Nachtleben wie ein Rolls Royce, der ein paar VW Käfer mit Lichthupe auf dem Standstreifen überholt.
Marmorböden und ein Wasserfall an der Tanzfläche
So etwas wie Number One hatte Dortmund noch nicht gesehen: Marmorböden, ein Wasserfall am Rand der Tanzfläche, orange-brauner Teppich an den Wänden, Kellnerinnen, die Gäste mit Cocktails und Champagner für über 100 Mark versorgten, manchmal auch auf Rollschuhen.
„Wir wollten die Düsseldorfer Szene nach Dortmund holen“, sagt Hubert Breuer. Der heute 65-jährige gebürtige Aachener schmiss damals den Laden. Angestellt hatte ihn Toni Gronen, seinerseits eine Legende des Düsseldorfer Nachtlebens. Gronen, der gerne Ledermäntel trug, die zwei- bis dreitausend Mark kosteten, hatte bereits ein Number One in seiner Heimatstadt. Der Laden lief so gut, dass er den Erfolg mit einem Ableger nach Dortmund exportieren wollte.
„An dem Number-One-Türsteher vorbeizukommen, war ein Ritterschlag“
Die Aura des Exklusiven umhüllte das Number One. „Wir waren die erste Dortmunder Disko mit einer Luke in der Tür“, erinnert sich Breuer. Um im Number One feiern zu können, musste man an der Tür der Disko, die zum Betenhof hinter dem Alten Markt hinausging, klopfen oder klingeln. Die Luke ging auf und der Türsteher musterte von innen den Bittsteller sorgfältig. Dann der Moment der Wahrheit: Entweder man bestand den Test – oder die Klappe schloss sich wieder und man blieb geknickt draußen.
„An dem Number-One-Türsteher vorbeizukommen, war ein Ritterschlag“, sagt Thomas Gehrmann, der später selbst eine zentrale Figur der Dortmunder Ausgehszene wurde und unter anderem das Ostwallfest organisierte. „Es wurde ganz viel Wert auf Schein und nicht auf Sein gelegt.“
Da half es durchaus, mit einem dicken Mercedes oder Porsche vorzufahren, was damals auf dem Betenhof noch möglich war. „Wenn der Türsteher deinen Wagen schon durch die Luke bewunderte, war das schon die halbe Miete.“ Entsprechend nobel war der Fuhrpark vor dem Number One.
Auch der flippige Bademeister des Volksbades kam ins Number One rein
Ganz auf das Protz-und-Prunk-Image will Ex-Chef Breuer sein Number One aber auch nicht reduzieren lassen: „Ich hab nicht nur die Lackschuhe hineingelassen, sondern auch die Flippigen. Du musstest Witz haben!“
Da sei dann auch mal der Bademeister des Volksbads reingekommen. „Der hatte ein gelbes Hemd und eine rote Hose an, sah aus wie ein Papagei, hatte aber die richtige Ausstrahlung“, erinnert sich Breuer, der auch das „Oma Rock“ an der Brückstraße aufmachte und heute das „Hubert’s“ an der Hansastraße betreibt.
Das Number One war ein Magnet für Leute mit Geld
Wer es rein schaffte, feierte gediegen: „Der Laden war edel, es gab einen großen Spiegel und viel Chrom“, erzählt Gehrmann. „Er war ein Magnet für Leute mit Geld.“ Drinnen tummelten sich Autoverkäufer und Boutiquen-Inhaber, Schauspieler und Models. „Da wurde der Bedienung auch gerne mal vorab ein Hunni gegeben, für extra guten Service“, sagt Breuer.
Wer die Stufen zum Number One hinabstieg, den empfing eine große Tresen-Insel mit integriertem DJ-Platz, um die man fürs Sehen-und-gesehen-werden seine Runden drehen konnte. Neben der Tanzfläche mit dem Wasserfall gab es an der Wand auch noch eine kleine Empore mit Zweier- und Vierertischen.
Ein Ferkel erleichterte sich auf dem Schoß eines Models
Wild feiern konnte die Upper-Class durchaus. An einem Silvesterabend organisierte Breuer eine „Fang die Sau“-Party. Der Titel war wörtlich zu nehmen: „Wir hatten drei echte kleine Ferkel in der Disko“, erzählt Breuer. „Wer eines fing, bekam eine Flasche Moet & Chandon [eine edle Champagner-Marke] aufs Haus.“ Das gelang einem Model, dessen Freude über den Fang aber nur kurz währte, da sich das aufgeregte und verängstigte Tier auf den Schoß der jungen Frau erleichterte.
Als Breuer nachschauen wollte, ob es ihr gut ging, erwischte er das Model splitternackt auf der Frauen-Toilette, als es versuchte, das behelfsmäßig gewaschene Kleid mit dem Handfön zu trocknen.
Eine Faust flog durch die Luke
Ein Laden, in dem Menschen mit Geld feiern, zieht immer auch die Halbwelt an. So führte das Number One einen ständigen Kampf gegen das Milieu. Breuer erzählt gerne die Geschichte, wie einmal zwei muskelbepackte Zuhälter vor der Tür standen: „Als ich denen sagte, dass sie nicht reinkommen, flog eine Faust durch die Luke. Ich konnte mich gerade noch wegducken.“ Er verrammelte den Eingang, während die erbosten Zuhälter von draußen gegen die Tür hämmerten. Es folgte eine einstündige Belagerung, während derer Breuer seine Gäste unten in der Disko mit gratis Champagner bei Laune hielt.
Ende der 80er-Jahre – Breuer hatte sich mittlerweile aus dem Number One zurückgezogen – hielt das Milieu stärker Einzug in den Laden. Das tat der Disko nicht gut. Sie öffnete an immer weniger Tagen, bis sie 1990 vollständig schloss.
Holiday-Besitzer machte aus dem Number One das Sinatra‘s
Das blieb auch so – bis Michael Kalies kam. Der heute 58-jährige Dortmunder war damals eine Szene-Größe in der Stadt: Der DJ betrieb seit einiger Zeit erfolgreich das Holiday, den Vorläufer des Kellers an der Geschwister-Scholl-Straße. Er übernahm den leerstehenden Laden und gab ihm einen neuen Namen. Im April 1991 eröffnete die Disko als „Sinatra’s“ neu.
Zuvor hatte Kalies die Disko komplett umgemodelt: Das Sinatra’s war viel heller als sein Vorgänger. Dafür sorgten auch griechisch anmutende Steinsäulen, die Kalies in den Raum stellte. Er ließ einen zweiten Cocktail-Tresen an der Tanzfläche bauen, das DJ-Pult kam daneben hin. Die Kellner trugen weißes Hemd und Fliege. Und von den Wänden blickte Disko-Namensgeber Frank Sinatra von Bildern und Filmplakaten auf die Gäste herab.

Im April 1991 eröffnete in den alten Räumen des Number One das Sinatras. © Privatarchiv Falk Bickel
Denen gefiel es: „Der Laden ging ab wie die Feuerwehr“, sagt Kalies. Vor dem Sinatra‘s standen wieder Ferraris, Lamborghinis und Porsches. Anwälte, Ärzte, BVB-Profis – alle kamen. Der Dortmunder Musiker Winnie Appel spielte jeden Donnerstag. „Wir haben da ganz schön Champagner durchgehauen“, erzählt Kalies. Da kamen an einem Abend auch schon mal 15.000 Mark Umsatz zusammen – ziemlich viel für einen Laden, in den laut Kalies nur 150, maximal 180 Leute hineinpassten.
Das Sinatra’s war noch einmal einen Tick exklusiver als das Number One: Kalies verkaufte Club-Mitgliedschaftskarten in Silber und Gold, die eine für 250, die andere für 500 Mark. Ihre Inhaber bekamen eine VIP-Behandlung am Eingang und an der Bar. Die Mitgliedschaft musste erneuert werden, wenn der bezahlte Betrag vertrunken war – letzten Endes war es also nichts anderes als eine im Voraus bezahlte Verzehrkarte.
Der Soundtrack des Sinatra‘s - zusammengestellt von Sinatra’s-DJ Falk Bickel:
Der Pöbel ohne Mitgliedskarte (nur die Männer, nicht die Frauen) musste 15 Mark Eintritt zahlen – wenn er denn reinkam. Denn die strenge Luken-Politik gab es immer noch. Die bekam einmal auch Kalies selbst zu spüren. Er kam von einer DJ-Schicht im Holiday und wollte in seinem anderen Laden nach dem Rechten schauen. Problem Nummer eins: Er hatte löchrige Jeans und lange Haare. Problem zwei: Der Türsteher im Sinatra’s war neu und kannte Kalies noch nicht. „Die Klappe ging kurz auf, ich bekam ein „ist voll“ zu hören, und schon war die Klappe wieder zu“, erzählt Kalies. „Dann hab ich einfach selbst aufgeschlossen.“
Nach zwei Jahren war dieser wilde Ritt für Kalies aber vorbei. Der DJ hatte sich mit zwei Diskos übernommen, auch finanziell. Er verkaufte beide. Das Sinatras existierte noch ein paar Jahre weiter, aber seine goldene Zeit war vorbei. Mitte der 1990er-Jahre verschwand es.
Justin‘s fasste als einzige Nachfolge-Disko richtig Fuß
Es folgten Jahre des Leerstands. Erst Mitte der 2000er-Jahre fasste wieder eine Edel-Disko Fuß im Keller am Betenhof: Das Justin’s führte die Tradition seiner Vorgänger fort und setzte voll auf Exklusivität – mit verglasten Säulen, einer diskreten VIP-Lounge und - natürlich - Champagner, der bis zu 2700 Euro die Flasche kostete. Das Justin’s hatte ein paar gute Jahre, heimste zum Beispiel die Auszeichnung „World’s Finest Clubs“ für Nobel-Clubs ein.
Hinter der glänzenden Fassade ging es jedoch ziemlich halbseiden zu. Wie sich später herausstellte, waren die Betreiber des Justin’s verwickelt in einen millionenschweren Betrug mit Schrottimmobilien in Hamm und Kamen. Außerdem hatten sie das 130.000-Euro-Startdarlehen der Warsteiner-Brauerei für das Justin’s zweckentfremdet und nicht zurückgezahlt. Sie wurden 2015 zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Im Prozess gegen sie wurde bekannt, dass das Justin’s bereits 2009 faktisch pleite war, weil das Finanzamt 60.000 Euro Umsatzsteuer nachforderte. Der Club hielt noch bis 2011 durch, dann war er Geschichte.
Video: Eine Partynacht im Justins 2011
Auch die Unterstützung von BVB-Star Marco Reus half nicht
Seitdem steht der Disko-Standort unter dem Alten Markt unter keinem guten Stern: Gleich drei Edel-Clubs – der Label-Club, das Chita und die Home Discotheque – versuchten sich hintereinander. Keiner hielt länger als zwei Jahre durch – trotz (wahrscheinlich teurer) Star-Gäste wie der englischen Soul-Sängerin Estelle oder Jimi Blue Ochsenknecht.
Selbst die angekündigte Unterstützung von BVB-Star Marco Reus für das Home half nicht. Ende 2017 machte der Club zu. Seitdem steht Dortmunds Schickimicki-Disko leer. Und laut dem Besitzer der Räume, dem großen Dortmunder Immobilien-Unternehmen Dreier, sieht es nicht so aus, dass sich daran so schnell etwas ändert. Es gebe aktuell keine Wiedervermietungspläne, sagt die zuständige Immobilien-Abteilungsleiterin Gabriele Roggenbach.
„Die High Society in Dortmund ist sehr begrenzt“
Die Edel-Disko-Nische in Dortmund ist derzeit nicht besetzt, findet Falk Bickel, Ex-Sinatra’s-DJ und heute Verleger des Lifestyle-Blattes „Top-Magazin Dortmund“. „So einen Club wie das Sinatra’s gibt es momentan nicht in Dortmund“, sagt der 58-Jährige. Und meint damit einen Laden für Menschen mit Geld, die mit anderen Menschen mit Geld feiern wollen. „Die wollen halt unter sich sein“, sagt Ex-Sinatra’s-Betreiber Michael Kalies. Gleichzeitig sagt er aber auch: „Die High Society in Dortmund ist halt sehr begrenzt.“
1984 geboren, schreibe ich mich seit 2009 durch die verschiedenen Redaktionen von Lensing Media. Seit 2013 bin ich in der Lokalredaktion Dortmund, was meiner Vorliebe zu Schwarzgelb entgegenkommt. Daneben pflege ich meine Schwächen für Stadtgeschichte (einmal Historiker, immer Historiker), schöne Texte und Tresengespräche.
