
© Christian Rothenberg
Too Strong und die „Silo Nation“: Wie Dortmund den deutschen Hip-Hop nach vorne brachte
Serie: Legendäre Dortmunder Bands
Diese Dortmunder haben Rap-Geschichte geschrieben: Too Strong sind seit 30 Jahren im Geschäft. Darum ist die Rap-Crew immer noch relevant – ganz ohne übertriebene Bling-Bling-Geschichten.
Es ist ein Abend im Spätsommer 2019, der zeigt, wie stark die Marke Too Strong immer noch ist. Auf dem Gelände des Junkyard in der Dortmunder Nordstadt haben die Rapper Pure Doze und Der Lange mit DJ Rocksta zur 30-Jahr-Feier geladen. Fast 1500 Leute sind gekommen, um drei Jahrzehnte Hip-Hop-Kultur in Dortmund und ein bisschen auch sich selbst zu feiern. Es wird ein denkwürdiger Abend mit einem ganz speziellen Dortmund-Gefühl.
Einige Tage vor dem Konzert. „Verdammte Scheiße, wo sind die ganzen Jahre hin?“, sagt Pure Doze mit einem Lachen zum Einstieg in das Gespräch. Und gibt sich dann selbst die Antwort: Sie stecken im Too-Strong-Projekt, das „lebensfüllend und wegweisend“ war und weiterhin ist. Doze ist 48, „Der Lange“ ein Jahr jünger. „Aber die Haut fühlt sich noch geschmeidig an. Hip-Hop hat uns jung gehalten.“
Jung bleiben und positive Emotionen immer wieder reaktivieren: Das ist einer der Hauptgründe, warum Menschen zu Konzerten gehen. Das ist im Junkyard an diesem September-Abend nicht anders.
Den Muff aus der dem alten Kapuzenpulli gewaschen
Viele haben die alte Cap ausgepackt, den Muff aus dem Kapuzenpulli gewaschen, und kommen in biertrinkenden und Rauchschwaden produzierenden Gruppen auf dem Gelände an. Andere haben die schwarzen Pullis an ihre Söhne oder Töchter weitergegeben. Das Junkyard ist an diesem Tag ein Rap-Culture-Wonderland, mit MCs auf der Bühne und frei gestaltbaren Graffiti-Wänden und Jams auf der Bühne.
Die Musik von Too Strong funktioniert über punktgenaue Beats, gute Texte über echte Themen wie Haltung, Freundschaft und Verzweiflung. Vorgetragen in einem Dortmunder Klang mit langgezogenen Vokalen und kehligen „l“-Laute. Gäbe es so etwas wie Dortmunder Mundart-Rap und würde man das wollen: So klänge es. Aber wir sind ja hier nicht Köln.
Den „Langen“ übermannen am Geburtstagsabend die Emotionen. „Was ich mit diesem Typen hier erlebe“, sagt er ins Mikro und umarmt Pure Doze. „Das hat länger gehalten als jede Beziehung.
Wie Kirchhörde zum Dortmunder Compton wurde
Er erzählt die Geschichte von der ersten Begegnung mit Doze, die am damaligen Hip-Hop-und Sprayer-Treffpunkt gegenüber dem „Coast“-Laden an der Treppe an der Reinoldikirche spielt. Hier hängt „Der Lange“ in dieser Zeit ab, gemeinsam mit Größen der Graffiti-Szene wie „Zodiac“ oder „Shark“. Die Verbindung von Too Strong zur international anerkannten Dortmunder Graffiti-Szene ist von Anfang an eng.
„Der Lange“ bekommt ein Tape von „No ID“, der Rap-Crew von Pure Doze, in die Hände. Schaut sich an, wie „die paar Kinder aus Kirchhörde“ so drauf sind. Die Chemie stimmt. Und Kirchhörde wird zum Dortmunder Compton, also der Geburtsstätte einer musikalischen Bewegung.
1989 gründen Pure Doze und DJ Zonic Too Strong; „Der Lange“ und DJ Brocke stoßen kurz darauf dazu. Hip-Hop in Deutschland findet gerade erst seine Nische. „Das war damals nicht gerade angesagt“, sagt Doze. Doch im Ruhrgebiet gibt es viele, denen das egal ist. Die Lust haben, der US-amerikanischen Musik eine Entsprechung in der Sprache des Ruhrpotts zu geben. In Dortmund und den umliegenden Städten geht sehr früh schon eine ganze Menge.
In kleinen Dortmunder Studios produzieren Too Strong erste Tapes. Aus einer Geburtstagslaune am Dortmunder Hafen heraus bekommt die Bewegung von Freunden, die den Hip-Hop und seine Ideale lieben, sogar einen Namen: „Silo Nation“. Angelehnt an die „Zulu Nation“, mit denen sich Menschen in den USA von Engstirnigkeit und Gewalt abgrenzten, die den Hip-Hop anfangs prägte.
„Rabenschwarze Nacht“ ist bis heute ein beeindruckender Track
1993 erscheint die erste Single „Rabenschwarze Nacht“ – ein Song, der bis heute mit dem modulierten Darth-Vader-Intro und den klaren Lyrics Eindruck hinterlässt.
Die Dortmunder haben da schon miterlebt, wie 1992 mit den Fantastischen 4 der erste deutschsprachige Rap-Act kommerziellen Erfolg hatte. „Aber wir waren rougher. Das durfte man ja damals als realer Hip-Hopper nicht gut finden.“ Einige Jahre später profitieren Too Strong selbst davon, dass deutsche Reime plötzlich für die Musikindustrie so wertvoll wie Gold sind.
Es ist die Zeit um 1997, als unter anderem die Stuttgarter Formation Freundeskreis große Erfolge feiert, die Doze so beschreibt: „Die Majors haben damals alles gesignt, was nicht bei drei auf den Bäumen war.“ Too Strong sind nicht schnell genug oben – und haben plötzlich einen Label-Deal mit Virgin Records aus den USA in der Tasche.
Einige Jahre dürfen Too Strong vom großen Erfolg träumen
Die Alben „Die Drei vonne Funkstelle“ (1999) und „Royal TS“ (2001) erscheinen bei Virgin. Es kommt, wie es so oft kommt, wenn aus dem Jugendtraum, von der Musik zu leben, plötzlich Routine wird. „Wir konnten davon leben und vieles in Ruhe machen. Aber wir sollten irgendwann nur noch nach deren Pfeife tanzen. Da hat der Lange gesagt, er kann das so nicht, und hat die Gruppe verlassen“, sagt Doze. Die Devise: Lieber unangepasst und mit weniger Geld auf eigenen Wegen als nach den Vorstellungen anderer zu arbeiten, wenn man sich nicht wohl fühlt.
Too Strong pausieren einige Jahre, der Musik bleiben alle treu. Bei Reunion-Gigs ab 2005 spürt die jetzt nur noch dreiköpfige Crew, dass sie offenbar etwas Bleibendes hinterlassen hat. Die „Silo Nation“ ist zwar gealtert. Aber sie besteht noch.
Pure Doze: „Was wir machen, hat viel mit Dortmund zu tun“
Der Sound ist immer noch so rau, als käme er aus Kirchhörder Kinderzimmern, die Texte sind immer noch pures Dortmund. „Was wir machen, hat viel mit der Stadt zu tun. Es gibt hier so viele Leute, die was Gutes machen. Sie müssen nur mal aus dem Gebüsch kommen“, sagt Pure Doze.
An diesem Abend im Junkyard fühlt sich Dortmund jedenfalls richtig an. Too Strong feiern alte Zeiten und blicken auch nach vorn. Im Dezember erscheint eine limitierte Vinyl-Box mit neuen Tracks und zum 30. gönnten sich die Endvierziger auch noch weitere Konzerte (30.11. in Hannover).
Die Bestätigung für ihre Hip-Hop-Lebensleistung bekommen die Rapper bei der „Geburtstagspatty“ in der Nordstadt via Videoleinwand. Dort gratuliert die versammelte deutsche Hip-Hop-Beletage, von Trettmann über Curse bis zu Samy Deluxe, Afrob, den Stieber Twins und anderen.
Too Strong sind Teil der deutschen Rap-Geschichte geworden
Obwohl Too Strong der große kommerzielle Durchbruch verwehrt blieb, sind sie und die Dortmunder Szene Teil der deutschen Rap-Historie geworden. Sie stehen im „Kanon“ der frühen Jahre neben Namen wie Advanced Chemistry, Absolute Beginner oder Cora E und sind eine Referenz für viele andere Künstler.
Für die Szene vor Ort sind Too Strong - neben vielen weiteren Crews wie Ruhrpott AG, Anarchist Academy und anderen - identitätstiftend gewesen. Sie haben jungen Leuten gezeigt, dass Rap auch auf dortmunderisch geht. Das hat Türen geöffnet. Durch die bis heute viele talentierte Rap-Musiker gehen und Dortmund und das Ruhrgebiet zu wichtigen Orten im deutschen Hip-Hop machen.
Legendäre Dortmunder Bands
Dortmund ist reich an Musikgeschichte. In vielen Genres gibt es Pioniere und Meister ihres Fachs. Manche leben den Ruhm, viele haben nur daran geschnuppert, andere wollten nie nach ganz oben. Wir stellen legendäre Dortmunder Bands vor. Folge 1: die Hip-Hop-Formation Too Strong.Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
