„Transformation wird uns massiv Personal kosten“ Westfalenhütte droht harter Kahlschlag

„Transformation wird uns Personal kosten“: Westfalenhütte droht Kahlschlag
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Die Zentrale von Thyssenkrupp Steel in Dortmund kommt einer Villa gleich. Früher tagten in einem der Räume noch die Vorstände von Stahlhersteller Hoesch, der 1992 von Krupp übernommen wurde. An der Wand hängen die Porträts der alten Hoesch-Chefs – von Gründer Leopold bis Gerhard Neipp. Heute sitzt in einem der sanierten Büros die Betriebsratschefin von Thyssenkrupp Steel vom Standort Dortmund, Kristin Zeidler. Sie sitzt auch im Aufsichtsrat der Stahlsparte von Thyssenkrupp.

Das Unternehmen will die Stahlsparte an den tschechischen Milliardär Daniel Křetínský verkaufen, dem bereits 20 Prozent gehören. In Dortmund wird zwar kein Stahl mehr gekocht, doch hier wird der Stahl aus Duisburg zu Blechen für Autos verarbeitet. 70 Prozent der Kunden des Dortmunder Stahlstandorts kommen aus der kriselnden Autoindustrie. Neben dem Kampf um die Zukunft von Thyssenkrupp Steel und der klimaneutralen Transformation kommt also eine schwache Auftragslage hinzu.

Die Betriebsratschefin Zeidler erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum sie besorgt ist und trotzdem an die Zukunft von Stahlverarbeitung in Dortmund glaubt. Doch viele der letzten 1300 Dortmunder Stahlarbeiter dürften nach der Transformation des Geschäfts nicht mehr übrigbleiben. Dortmund droht, die letzten Überreste seiner über 150-jährigen Stahlgeschichte zu verlieren.

Thyssenkrupp AG will kein Geld ausgeben

Frage: Der Mutterkonzern, die Thyssenkrupp AG, prüft derzeit, ob die Transformation der Stahltochter auf klimaneutrale Stahlproduktion noch sinnvoll ist. Das gefährdet jetzt die Direktreduktionsanlage, also die Anlage, mit der künftig über grünen Wasserstoff Stahl produziert werden soll. Kommt die Anlage noch?

Antwort: Ich glaube schon, dass die Direktreduktionsanlage gebaut wird, aber ich glaube nicht, dass es noch weitere Anlagen geben wird. Auch diese Anlage zu bauen, wird noch ein harter Weg. Dafür werden wir noch viele Klinken putzen müssen.

Die Pläne vom Konzernvorstand um Chef Miguel López deuten ja schon darauf hin, dass der das Projekt einstampfen will und bereit ist, die bereits zugesagten Subventionen der Politik von zwei Milliarden Euro zurückzuzahlen. Was stimmt Sie denn so optimistisch?

Wir haben die Politik da im Moment an unserer Seite, sowohl die Bundesregierung als auch hier die Landesregierung in NRW und die Oberbürgermeister aus Dortmund, Duisburg und anderen Städten. Die Politik hat schon 500 Millionen Euro überwiesen. Das Thema wurde auch im Bundestag von der Dortmunder SPD-Abgeordneten Sabine Poschmann in einer Plenarsitzung angesprochen und von Jens Peick in den Ausschüssen vorangetrieben. Das alles unterstützt unsere Sache und setzt natürlich auch den Konzernvorstand politisch unter Druck, sich an seine Zusagen zu halten.

In dem alten Besprechungsraum des Vorstands hängen noch die Bilder der damaligen Hoesch-Chefs und Gründer.
In dem alten Besprechungsraum des Vorstands hängen noch die Bilder der damaligen Hoesch-Chefs und Gründer. © Dennis Pesch

Aber wäre es für den Mutterkonzern Thyssenkrupp nicht deutlich günstiger, die 500 Millionen Euro zurückzuzahlen, als weiterhin ein verlustreiches Stahlgeschäft zu unterstützen?

Konzernchef Miguel López will natürlich so wenig Geld wie möglich ausgeben. Aber wenn wir in der Stahlproduktion bleiben wollen, müssen wir zwangsläufig auf grünen Stahl umstellen. Ich frage mich mittlerweile, ob denn auch unser eigener Unternehmensvorstand im Stahlgeschäft überhaupt noch Stahl kochen will oder ob wir billigen Stahl aus dem Ausland zukaufen und den dann an den Standorten nur noch weiterverarbeiten.

Betriebsratschefin: Dortmund hat Alleinstellungsmerkmal

Was bedeutet das alles denn nun für den Stahl-Standort in Dortmund?

Vor einigen Jahren war ich immer recht entspannt, was Dortmund betrifft. Mittlerweile mache ich mir schon Sorgen. Ich sehe vor allem Probleme bei den Randbereichen, also für Mitarbeitende, die nicht direkt in der Produktion arbeiten, sondern eher Tätigkeiten übernehmen wie den Werkschutz oder die Forschung.

Sorgen Sie sich, dass das ausgelagert wird?

Es ist die Frage, ob sich das Unternehmen noch Bereiche leisten wird, in denen Menschen arbeiten, die in der Produktion nicht mehr arbeiten können – sogenannte Leistungsgewandelte. Das betrifft dann Bereiche wie die Gärtnerei hier, den Werkschutz oder die allgemeine Verwaltung – alles Bereiche, die auch von externen Dienstleistern übernommen werden könnten. Das sind aber oft Menschen, die hier 30 bis 35 Jahre hart gearbeitet haben. Um die sorge ich mich.

Sehen Sie den Standort nicht insgesamt in Gefahr?

Wir verarbeiten hier den Stahl, der in Duisburg gekocht wird. Ich kann Stahl auch aus anderen Ländern zukaufen. Wir haben hier erst vor zwei Jahren eine neue Feuerbeschichtungsanlage bekommen. Natürlich kann man die auch abbauen und woanders hinstellen. Gerade sind alle Standorte infrage gestellt. Wir haben in Dortmund aber einige Alleinstellungsmerkmale, wie zum Beispiel eine sogenannte Conti-Glühe, die keinen Leerlauf hat. Diese Anlagen bereiten das Blech für unsere neuen Beschichtungsanlagen vor; diese veredeln bzw. beschichten sie dann.

„Das macht mir schlaflose Nächte“

Ist der Standort Dortmund hier noch ein profitables Geschäft?

Ja, aber wir sind abhängig von der Automobilindustrie. Daran krankt es gerade in der gesamten Republik. Wir haben ein paar Stillstände hier durch Materialmangel. Das liegt auch an der schlechten Auftragslage in Duisburg. Dazu kommt noch, dass die Aufträge durch die Krise in der Autoindustrie gesunken sind. Wenn die Automobilhersteller keine Autos verkaufen, braucht man auch kein Blech von Thyssenkrupp. 70 Prozent unserer Kunden kommen aus der Autoindustrie.

Die Betriebsratschefin steht im alten Besprechungsraum des Hoesch-Vorstands.
Die Betriebsratschefin steht im alten Besprechungsraum des Hoesch-Vorstands. © Dennis Pesch

Dortmund hat eine über 150 Jahre alte Stahltradition. Die Biografien von tausenden Menschen sind generationenübergreifend durch Hoesch geprägt, ein Unternehmen, das es schon seit 1992 nicht mehr gibt. Was bedeutet dieser Niedergang der Stahlindustrie für Dortmund?

Ich glaube, dass es uns noch geben wird, aber wahrscheinlich viel kleiner. Ich weiß noch, dass wir mal 18.000 Menschen an drei Standorten waren, hier waren zur Fusion noch 6000 Leute beschäftigt. Die Transformation wird uns hier massiv Personal kosten. Die ersten Jüngeren verlassen auch schon das sinkende Schiff und einige junge Ingenieure haben auch offen die Frage an den Vorstand gestellt, warum sie noch hierbleiben sollten. Es wird noch harte Auseinandersetzungen geben. Das wird auch schwer für die Stadt werden und wird dann auch ein politisches Problem, Stichwort: Rechtsruck.

Wie fühlt sich das für Sie an?

Das macht mich traurig und erinnert mich daran, als das letzte Stahlwerk in Dortmund Ende der 90er Jahre geschlossen wurde. Da habe ich viele Männer weinen sehen. Ich sehe vor allem die Menschen, und kenne ihre Geschichte und schiebe nicht nur Zahlen hin und her wie Herr López. Ich kenne viele Familien, die hier seit Generationen arbeiten. Das belastet mich und macht mir schlaflose Nächte. Viele Fragen mich, wie es jetzt weitergeht. Ich habe da auch oft keine Antworten und das ist sehr unbefriedigend.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 24. Oktober 2024.