Der Laden "Donnerschlag" war das Zentrum eines kleinen Neonazi-Netzwerks an der Rheinischen Straße. Das Bild stammt aus dem Jahr 2006.

© Andreas Wegener (Archivbild)

Thor Steinar und das mahnende Beispiel der Rheinischen Straße

rnAnalyse

Die Stadt positioniert sich offensiv gegen den Modeladen Tønsberg (Thor Steinar). Das gehört nicht zum klassischen Handeln einer Verwaltung. Dass es passiert, könnte mit früheren Vorgängen zu tun haben.

Dortmund

, 06.08.2020, 18:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Man wolle „alles in unseren Kräften stehende tun, um zu verhindern, dass Thor Steinar in Dortmund Fuß fasst“ - mit diesen eindeutigen Worten antwortete die Stadt Dortmund am Eröffnungstag des Thor-Steinar-Ladens „Tonsberg“ im Brückstraßenviertel auf eine Anfrage unserer Redaktion.

Dass sich die Stadt derart offensiv gegen ein Modegeschäft positioniert, ist ungewöhnlich. Es gehört normalerweise nicht zum klassischen Handeln einer öffentlichen Verwaltung, die Ansiedelung von Klamottenläden verhindern zu wollen.

Was passiert, wenn man rechte Geschäfte ungestört lässt, weiß man in Dortmund

Doch zum einen ist Thor Steinar keine normale Modemarke: Das Label der in Brandenburg ansässigen Mediatex Gmbh ist seit seiner Gründung vor fast 20 Jahren wegen seines nordisch-germanischen Stils sehr beliebt in Neonazi-Kreisen. Die Klamotten sind laut brandenburgischem Verfassungsschutz ein „identitätsstiftendes Erkennungszeichen unter Rechtsextremisten“.

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Und zum anderen gibt es in Dortmunds Geschichte ein mahnendes Beispiel, was passiert, wenn man Geschäfte mit Bezug zur rechtsextremen Szene sich ungestört entfalten lässt.

Neonazis machten sich in der westlichen Innenstadt breit

Diese Geschichte führt zurück zum Anfang der Nullerjahre: Nach einer relativ ruhigen Phase wurde die Neonazi-Szene in Dortmund wieder aktiver. Der Rechtsextreme Michael Berger erschoss 2000 drei Polizisten und anschließend sich selbst. Es gab wieder vermehrt große Neonazi-Demos in der Stadt.

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Auch abseits der Schlagzeilen machten sich Rechtsextreme breit, vor allem am Rand der westlichen Innenstadt. Im von Leerstand und wirtschaftlichem Niedergang gezeichneten Dorstfeld entstanden Neonazi-Wohngemeinschaften.

Neonazi-Laden mit martialischem Namen „Buy or Die“

Etwas weiter östlich machte zum Jahreswechsel 2002/2003 ein neuer Laden mit dem martialischen Namen „Buy or Die“ („Kauf oder stirb“) auf. Das Geschäft an der Rheinischen Straße 135 verkaufte alles, was das Neonazi-Herz begehrte, etwa Klamotten von in der Szene beliebten Marken. Man bekam dort aber auch CDs einschlägiger Rechtsrock-Bands und rechtsextreme Aufkleber.

Widerstand gegen die Ansiedlung von Seiten der Stadtverwaltung habe es nicht gegeben, erinnert sich Ula Richter, Mitgründerin des „Bündnisses Dortmund gegen Rechts“: „Die Stadt hat sich damals nicht darum gekümmert. Die Gefahr von Rechts wurde unterschätzt.“

Laden wurde Anziehungspunkt für Neonazis aus der ganzen Region

Die rechtsextremistische Szene konnte in den Folgejahren im Schatten der Dorstfelder Brücke wachsen und sich etablieren.

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„Buy or Die“ und der Nachfolgeladen „Donnerschlag“ wurden Anziehungspunkte für Neonazis aus der ganzen Region. Man traf sich in den Läden und plante Aktionen. „Es war eine zentrale Kontaktbörse unter Neonazis“, sagt jemand, der die Szene Jahrzehnte beobachtet hat.

Gleichzeitig dienten die Einnahmen aus dem Verkauf der Waren der Finanzierung der Szene - ein Modell, das andere kopieren wollten. Gegenüber machte eine NPD-Aktivistin ein Tattoo-Studio auf, ein weiterer Rechtsradikaler wollte nebenan eine leerstehenden Kneipe mieten.

Stadt Dortmund reagierte erst Jahre später

2005/2006 reagierten Politik und Verwaltung auf das sich ausbreitende „Neonazi-Netzwerk“ - so nannte es die linke Tageszeitung taz - an der Rheinischen Straße: Der Vermieter der Kneipe konnte überzeugt werden, nicht an einen Neonazi zu vermieten, das Tattoo-Studio musste schließen, wohl wegen Hygieneauflagen des Ordnungsamtes, war damals zu hören.

Am längsten hielt sich das „Donnerschlag“: Es wurde Anfang 2007 nach einem langwierigen Rechtsstreit zwischen Mieter und Eigentümer geschlossen.

Doch die Neonazi-Strukturen an der Rheinischen Straße verschwanden nicht: In den alten Räumen des „Buy or Die“ an der Hausnummer 135 entstand stattdessen ein so genanntes „Nationales Zentrum“, in dem sich weiter Neonazis trafen.

Das Ende des Neonazi-Kapitels an der Rheinischen Straße 135: Die Razzia der Polizei im Zuge des Verbots des "Nationalen Widerstands Dortmund"

Das Ende des Neonazi-Kapitels an der Rheinischen Straße 135: Die Razzia der Polizei im Zuge des Verbots des "Nationalen Widerstands Dortmund" © RN-Archiv

Um die Rechtsextremisten von dort vertreiben zu können, kaufte die Stadt Dortmund 2010 schließlich das Haus. Doch selbst danach dauerte es bis zum Verbot der Neonazi-Organisation „Nationaler Widerstand Dortmund“ 2012, um sie endgültig aus dem Haus zu bekommen - fast zehn Jahre nach der Eröffnung von „Buy or die“ endete die Geschichte.

Großer Unterschied zwischen Thor Steinar und Neonazi-Läden

Es gibt allerdings einen großen Unterschied zwischen Thor Steinar und den Läden an der Rheinischen Straßen: Während „Buy or Die“ und „Donnerschlag“ aktive Teile der lokalen Neonazi-Szene waren, ist Thor Steinar eine kommerzielle Marke, die - egal ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt - die Vorlieben der rechtsextremen Szene bedient.

Dennoch eint sie die Nähe zur rechten Szene, meint Nazi-Gegnerin Ula Richter - und das mache eben auch den Thor-Steinar-Laden im Brückstraßenviertel problematisch: „Ein solcher Klamottenladen ist nie nur ein Klamottenladen, der ist auch ein Treffpunkt.“

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So wundert es nicht, dass die Stadtverwaltung nach den Erfahrungen der Rheinischen Straße im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten gegen Geschäfte wie jenes von Thor Steinar vorgeht. Bereits 2019 schloss sie den Vorgängerladen am Brüderweg wegen Verstößen gegen den Brandschutz.

Dieses Mal muss sie vielleicht gar nicht tätig werden: Der Vermieter hat nach eigenen Angaben den Mietvertrag gekündigt. Ob das reicht, ist indes noch nicht klar: Der Betreiber des Ladens hat angekündigt, rechtlich gegen die Kündigung vorzugehen.

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