Crack-Experte zur Drogenszene in Dortmund „Wenn man es ernst meint, muss man einiges Geld in die Hand nehmen“

Suchtforscher zur Drogenszene: „Man muss Geld in die Hand nehmen“
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Er ist Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Universität Frankfurt am Main. Prof. Dr. Heino Stöver hat mitgewirkt an den „Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Crack-Konsum“, die das Bundesgesundheitsamt für Kommunen in Deutschland hat zusammenstellen lassen. Wir haben mit ihm telefoniert.

Es wird von einem „Crack-Tsunami“ gesprochen, der in Dortmund angekommen ist. Auch in anderen deutschen Großstädten wie Düsseldorf, Köln, Hannover, Bremen, Hamburg oder auch bei Ihnen in Frankfurt gibt es eine Crack-Welle. Wie ist das Drogenhilfesystem in all diesen Städten darauf eingestellt?

Die massiven Auswirkungen des Konsums übersteigen zum Teil die Kapazitäten in den niedrigschwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe und die Vorgaben und Zugangsregelungen der Drogenkonsumräume. Viele Einrichtungen verfügen nicht über die notwendigen Angebote für diese Zielgruppe (Rauchräume, Tages- und Nacht-Ruheräume/-betten) sowie über ausreichend ausgeweitete Öffnungszeiten.

Zürich als Musterbeispiel

Letzteres passiert tatsächlich gerade in Dortmund - die Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums am Grafenhof in der City werden ausgeweitet. Das darf aber wohl nicht die einzige Maßnahme bleiben. Die Händler in Dortmunds City klagen bitterlich über eine immer größer gewordene, offene Drogenszene, die ihnen die Kunden vergrault. Es wird auf offener Straße Crack aufgekocht und gedealt, es tummeln sich viele verwahrloste Drogenabhängige auf dem Westenhellweg und das Betteln wird immer aggressiver. Was kann eine Stadt wie Dortmund dagegen tun?

Den Stein der Weisen habe ich da nicht. In unseren Handlungsempfehlungen konfrontieren wir die Kommunen mit Zürich als Musterbeispiel. Dort in der Schweiz wurde aber viel Geld in die Hand genommen und ein Sozialarbeits- und Sicherheitsbezugssystem mit 70 Fachkräften aufgebaut. Auf jeden Fall sollte mit Ordnungs- und Sicherheitsbehörden bzw. der Polizei ein kontinuierlicher Austausch zur Situation im öffentlichen Raum hinsichtlich einer Balance zwischen sozialen, medizinischen, ordnenden und sanktionierenden Maßnahmen hergestellt werden.

Auch die Weiterentwicklung niedrigschwelliger Angebote zur bedarfsgerechten Versorgung von Crack-Konsumierenden ist dringend notwendig – zentral in innerstädtischen Lagen, aber auch in anliegenden Stadtteilen dezentral auf mehrere Orte verteilt. Drogenkonsumräume, Tagesruhemöglichkeiten, Notschlafstellen und eine hygienische Grundversorgung (Essen, Trinken, Toilette, Basishygiene) müssen dort etabliert werden, wo Konsumierende sich aufhalten bzw. bewegen, also zumeist an zentralen Plätzen oder in Bahnhofsnähe.

Die Drogenszene in der Dortmunder City ist zunehmend zu einem Problem für Bewohner, Händler und Besucher geworden. „Die massiven Auswirkungen des Konsums übersteigen zum Teil die Kapazitäten in den niedrigschwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe“, stellt Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver fest.
Die Drogenszene in der Dortmunder City ist zunehmend zu einem Problem für Bewohner, Händler und Besucher geworden. „Die massiven Auswirkungen des Konsums übersteigen zum Teil die Kapazitäten in den niedrigschwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe“, stellt Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver fest. © privat

Verstehe ich Sie richtig: es braucht aus Ihrer Sicht mehr als einen Drogenkonsumraum für die gut 100 Drogenkonsumierenden, es braucht eine engmaschige Begleitung und Einrichtungen auch außerhalb der City?

Ja, man kann eine Drogenszene nicht zerschlagen, wenn man keine Alternativen schafft. Um den öffentlichen Raum zu entlasten, wäre es denkbar, Drogenkonsumräume von Frauen für Frauen (z.B. wie in Hamburg „Ragazza“), oder niedrigschwellige Crack-Konsumräume/-zonen einzurichten, oder so genannte Pop-Up-Drogenkonsumräume (die aber rechtlich noch nicht zulässig sind), um sie in bestimmten Szenen einzusetzen.

Wenn man es ernst meint, muss man also einiges Geld in die Hand nehmen für die jeweils rund 100 bis 150 Menschen in Dortmund und anderen Großstädten, die näher am Tod sind als am Leben. Die Kommunen brauchen da Unterstützung. Im Moment kommen mir die Regulierungsbehörden aber so vor wie ein Boxer, der angeknockt in den Seilen hängt.

Bei höherschwelligen und ausstiegsorientierten Angeboten, die man auf jeden Fall schaffen sollte, sollte eher auf eine szeneferne Lage geachtet werden, da bei Szenenähe die Wahrscheinlichkeit, bei Konsumierenden durch Verfügbarkeiten und Konsumorte Verlangen auszulösen, eher gegeben ist.

Shuttle-Bus in Frankfurt

Sie sagen also das, was die Händler in Dortmund schon lange sagen: Die Drogenhilfe sollte idealerweise nicht zentral an nur einem Ort in der City stattfinden, sondern dezentral organisiert werden. Ist das richtig?

Überlebenswichtige Angebote müssen im Zentrum bleiben, höherschwellige Hilfeangebote (wie Entzugseinrichtungen, Opioidsubstitutionsbehandlung etc.) in benachbarte Stadtteile ausgelagert werden. In Frankfurt existiert sogar ein Shuttle-Bus, der nachts oft obdachlose Drogenkonsumierende in ein großes Hilfeangebot im Osthafen mit Notschlafstelle, Konsumraum und Arbeitsmöglichkeiten („Eastside“) bringt.

In Bremen hat man mit einer so genannten Toleranzzone Erfahrungen gesammelt, die etwas vom Hauptbahnhof entfernt eingerichtet wurde, und wo Crack-Konsumierende von Sozialarbeitenden betreut werden können, und basale Hilfeleistungen stattfinden können.

Mit Absperrgittern vertreibt man an der Thier-Galerie die Drogenkonsumierenden aus den Sichtschutz gebenden Nischen. Das klappt bisher - eine Lösung im Umgang mit der Crack-Welle ist es für den Westenhellweg aber nicht.
Mit Absperrgittern vertreibt man an der Thier-Galerie die Drogenkonsumierenden aus den Sichtschutz gebenden Nischen. Das klappt bisher - eine Lösung im Umgang mit der Crack-Welle ist es für den Westenhellweg aber nicht. © Anne Schiebener

Viel wird darüber diskutiert, ob man Kokain legalisieren sollte. Was halten Sie von dieser Idee?

Als gestrecktes Rauschmittel ist Crack das Kokain der Armen. Crack ist ein rauchbares Kokain-Derivat das häufig zu einem übersteigerten Selbstbewusstsein und bei dem anschließenden Entzug zur sofortigen Leere und zu Depression führt. Dieser rasante Wechsel zwischen den Gemüts- und Gefühlszuständen sowie die starke Ich-Bezogenheit wirken sich nicht nur auf die psychische Gesundheit, sondern auch sozial sowie auf die körperliche Gesundheit negativ aus.

Häufig kommt es zu Konflikten der Konsumierenden untereinander sowie zu Schwierigkeiten bei der Einhaltung von Hausordnungen und Regelungen der Drogenhilfeeinrichtungen. Erkrankungen der Atemwege in Folge des Rauchkonsums, Infektionen aufgrund mangelnder Hygiene und

Abmagerung wegen Mangel- und Fehlernährung können weitere Auswirkungen des intensiven Konsums sein.

Ob eine Legalisierung von Kokain den Durchbruch in der Bewältigung des Crack-Tsunamis bringen würde, weiß ich nicht. Zumindest würde aber der kriminalisierende Umgang wegfallen, der auf jeden Fall zu einer Verschlimmerung des Problems führt, weil die Menschen strafverfolgt, inhaftiert und weiter unter Druck gesetzt werden. Am Ende steht eine Stigmatisierung und Diskriminierung, aus der sich Menschen schwer wieder herausarbeiten können.

Diskriminierende Prozesse

Zum Schluss noch diese Frage an den Suchtforscher: Was ist eigentlich die Ursache des „Crack-Tsunamis“, mit dem wir als Gesellschaft umgehen (lernen) müssen?

Die Crack-Szene geht oftmals aus der Heroin-Szene hervor. Bei den Crack-Konsumierenden handelt es sich meist um frühere Heroin-Konsumierende, die wieder eine stimulierende Wirkung erfahren wollen. Man muss sagen, es sind oft Menschen, die mit dem Tempo und den Anforderungen unserer leistungsbezogenen Gesellschaft nicht zurecht kommen.

Beispielsweise handelt es sich um Menschen mit einer HIV-Infektion oder Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen straffällig geworden sind und in Haft waren. Es sind diskriminierende Prozesse, die sie hin zu einer Scheiß-egal-Stimmung bringen.

Manche schlittern auch in die Abhängigkeit rein. Wenn drei Kollegen schon Crack rauchen und der Zugang zur Droge da ist, ist die Gefahr groß. Crack macht sehr schnell abhängig.

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