Straße vorerst nicht nach Nazi-Verfolgtem benannt So reagiert sein Sohn auf die Dortmunder Entscheidung

„Verwunderte“ Reaktionen aus Berlin nach Bezirksvertretungs-Votum
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Die Bezirksvertretung Scharnhorst hat die Entscheidung, eine neue Stichstraße in Grevel nach dem Nazi-Verfolgten Kurt Julius Goldstein (1914-2007) zu benennen, wie berichtet, zunächst aufgeschoben. Die AfD hatte moniert, dass Goldstein auch eine SED-Vergangenheit hatte, woraufhin Jürgen Focke (CDU) den letztlich erfolgreichen Antrag stellte, diesen Punkt zunächst zu klären, um die Entscheidung zur Straßenbenennung dann in der nächsten Sitzung im Dezember zu fällen.

Das hat den Sohn Goldsteins, André Goldstein (69), auf den Plan gerufen, der in Berlin lebt. Just am Geburtstag seines Vaters, dem 3. November, habe er unsere Berichterstattung zur Sitzung in Scharnhorst per Google im Internet gefunden und an das Internationale Auschwitz-Komitee weitergeleitet, dessen Ehrenpräsident Kurt Goldstein war.

Vom Komitee kommt nun eine Presseerklärung. Zitiert wird darin Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees: „Von einem Vertreter der AfD denunziert zu werden, ist für jeden Demokraten eine Ehre: Kurt Goldstein hätte es gegraust, mit den Stimmen der AfD auf einem Straßenschild seiner heimatlichen Welt zu landen, die er nie vergessen hat und von deren Geschichte er in vielen Berichten als Zeitzeuge immer wieder erzählte. Kurt Goldstein wurde von Auschwitz-Überlebenden in vielen Ländern hoch geachtet, weil er jenseits von unterschiedlichen politischen Einstellungen immer der Auffassung war, dass es eine gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten sei, Rechtsextremen und neuen Nazis nie mehr die Straßen und die Köpfe der Menschen zu überlassen. Dafür hat er fast bis zum letzten Tag seines Lebens gearbeitet. Das sollte auch die Bezirksvertretung in Dortmund-Scharnhorst verstehen.“

In Hamm wurden Stolpersteine zu Ehren der Familie Goldstein verlegt
In Hamm wurden Stolpersteine zu Ehren der Familie Goldstein verlegt. © Goldstein

Wenn er selbst seine Reaktion auf den Vorfall in der Bezirksvertretung beschreiben solle, so André Goldstein, so sei gar nicht mal „Verärgerung“ die richtige Vokabel, sondern eher „Verwunderung“. Er sehe, dass die jüngst von CDU-Chef Friedrich Merz beschriebene „Brandmauer“ immer löchriger werde. Wenn man das gesamte Leben seines Vaters betrachte, sei die SED-Vergangenheit lediglich eine Facette. Goldstein habe nach seiner Übersiedlung in die DDR 1951 als politischer Mitarbeiter der Westabteilung des Zentralkomitees der SED mitgewirkt - allerdings nur bis 1956. Dann wechselte er zum Rundfunk der DDR, wo er bis zu seiner Pensionierung 1978 als Funktionär in leitender Stellung tätig war.

Der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, ehrte am 20. Mai 2005 Kurt Julius Goldstein im Auftrag des Bundespräsidenten mit dem „Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“. Bis zu seinem Lebensende berichtete er unermüdlich in Zeitzeugengesprächen, bevorzugt an Schulen, über die NS-Zeit. 2018 wurde in Hamm ein Stolperstein zu seinen Ehren verlegt.

Im Juli 1942 wurde Goldstein aus Frankreich an das Deutsche Reich ausgeliefert und über das KZ Drancy nach Auschwitz (Häftlings-Nr.: 5 88 66) verschleppt. Bei der Zwangsarbeit in den Kohlengruben des Außenlagers Jawischowitz erhielt er von der SS den Spitznamen „Judenkönig“. Goldstein überlebte 30 Monate im Konzentrationslager und im Januar 1945 den Todesmarsch nach Buchenwald.

Diese Stichstraße, die von der Straße In der Liethe abgeht und ein kleines künftiges Wohngebiet in Grevel erschließt, soll den Namen Kurt Goldsteins tragen. Das haben CDU und AfD vorerst verhindert
Diese Stichstraße, die von der Straße In der Liethe abgeht und ein kleines künftiges Wohngebiet in Grevel erschließt, soll den Namen Kurt Goldsteins tragen. Das haben CDU und AfD vorerst verhindert. © Andreas Schröter

In Scharnhorst war Kurt Goldstein 1914 geboren worden, lebte dort allerdings nur bis 1923, als seine verwitwete Mutter mit der Familie nach Hamm zog. Nach dem Krieg - von 1946 bis 1951 - lebte er noch einmal in Dortmund.

Die Gedanken André Goldsteins sind in diesen Tagen allerdings nicht nur bei seinem Vater, sondern naturgemäß auch beim Gaza-Konflikt. Es zerreiße ihm das Herz angesichts der Gräueltaten der Hamas. Allerdings kämpfen zwei Seelen in seiner Brust. Denn andererseits müsse dieser Konflikt nun endlich einmal zu einem Ende kommen. Er habe allerdings keine Idee, auf welche Weise das geschehen könnte. Ein Teil seiner Verwandtschaft - unter anderem Cousins und Cousinen - leben in Israel.

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