Seit Wochen bleiben Spaziergänger neugierig stehen. Radfahrer steigen ab und halten inne. (Hobby-)Fotografen haben ihre Kameras und Objektive mit großer Brennweite mitgebracht. Ihr aller Blick geht in die Höhe. Neun Meter über der Heckrinderweide im Naturschutzgebiet Siesack hat sich ein Storchenpaar niedergelassen.
Seit Donnerstag (20.4.) ist klar: Die Vögel brüten. Damit deutet sich eine kleine Sensation an: Erstmals überhaupt brüten Störche auf Dortmunder Stadtgebiet in freier Natur. Das bestätigt Dr. Erich Kretzschmar, Vogelexperte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Bislang gab es nur Nachwuchs der im Dortmunder Zoo lebenden Paare. Auch aus der Geschichte seien keine Aufzeichnungen oder Abbildungen im Stadtgebiet bekannt.
Schon Ende März hatten Spaziergänger die beiden Störche in Schwieringhausen gesichtet – und damit für reichlich Gesprächsstoff in Mengeder Facebook-Gruppen gesorgt. Das war ein gern gesehenes Naturereignis, aber nicht unbedingt neu. „Jedes Jahr waren dort Störche für eine kurze Zeit“, erklärt Dirk Lehmhaus im Gespräch mit unserer Redaktion.
Richtfest im Jahr 2012
Der Betriebsleiter im Dortmunder Grünflächenamt muss es wissen. Er wohnt nur ein paar hundert Meter vom Naturschutzgebiet Siesack entfernt. Und er hat vor elf Jahren zusammen mit dem Nabu den Storchen-Horst errichtet. Häufig hatten Vogelbeobachter des Nabu in Schwieringhausen Störche zuvor gesichtet.
Im Oktober 2011 begannen sie zusammen mit Lehmhaus mit dem Bau des Nestes. Am 7. März 2012 war Richtfest. „Wir hoffen, wenn sie ein Nest vorfinden, dass sie dann auch bleiben“, erklärte Gerd Schrader vom Nabu damals gegenüber den Ruhr-Nachrichten.
Basis für das Nest war und ist ein kreisrundes Metallgestell mit einem Durchmesser von 1,5 Metern, das die Naturschützer mit Weidenruten auslegten und verkleideten. Seitdem steht die Plattform in neun Metern Höhe auf einem Pfahl mitten auf der Weide. Drei Jahre passierte zunächst nichts. Nicht ungewöhnlich: Es dauert ein paar Jahre, bis Storchenpaare sich für einen Brutplatz entscheiden.

Mitte Mai 2015 war es dann so weit: Ein Paar Weißstörche ließ sich auf der Plattform nieder – recht spät allerdings für den Beginn der Brut. Möglicherweise sei es auf der Suche nach einem Nest für das kommende Jahr, vermutete Ornithologe Erich Kretzschmar seinerzeit. Oder sie hätten ihren vorherigen Nest-Standort aufgeben müssen.
Acht weitere Jahre vergingen. Zwischenzeitlich hatten Lehmhaus und der Nabu die Plattform erneuern müssen. „Jetzt ist es definitiv“, erklärte Kretzschmar am Donnerstagabend nach einem Besuch im Siesack. Der Blick durchs Fernglas ergab die Bestätigung. „Im Nest brütet ein Vogel.“ Vor Tagen hätten Vogel-Beobachter des Nabu die beiden Tiere bei der Paarung gesehen. „Das war das Signal, da passiert was.“
Bei der Brut wechseln sich Männchen und Weibchen ab. Der andere Vogel war während seines Besuchs womöglich bei der Futtersuche oder auf einem Baum, erklärt der Experte. Das Nest sei noch „relativ mickrig“. Das sei aber nicht ungewöhnlich für das erste Jahr. Zudem bauen die Vögel das Nest während der Brut regelmäßig weiter aus.

Einmal als Brutplatz akzeptiert, seien Weißstörche nest-treu und würden regelmäßig zurückkehren. „Wenn die Brut erfolgreich ist, kann man davon ausgehen“, erklärt Erich Kretzschmar. Störche brüten einmal im Jahr drei bis fünf Eier aus. Die Brutdauer beträgt 32 bis 33 Tage, die Nestlingszeit dauert etwa zwei Monate. Der Nabu-Experte dämpft aber allzu hohe Erwartungen. „Das große Problem sehe ich darin, dass sie es schaffen, ihre Brut zu ernähren.“
Ein ausgewachsener Storch benötige etwa 500 bis 700 Gramm Nahrung pro Tag, heißt es auf der Internetseite des Nabu. „Dies entspricht ungefähr 16 Mäusen oder 500 bis 700 Regenwürmern.“ Ein Jungvogel brauche für einen kurzen Zeitraum bis zu 1600 Gramm Nahrung pro Tag. Um eine Storchenfamilie mit zwei Storchenjungen zu ernähren, sei ein Vogel lange unterwegs. Immerhin liege der „tägliche Nahrungsbedarf einer ganzen Storchenfamilie bei etwa 4600 Gramm“.
Dr. Erich Kretzschmar betont aber: „Im Nahbereich des Siesack sieht es ganz gut aus.“ Er verweist auf die Heckrinder-Weide und eine weitere Weide gegenüber der Altmengeder Straße. Die Ernährung der Jungen sei aber auch witterungsabhängig. „Je trockener, desto schwieriger ist es.“

Dass sich die Störche im Dortmunder Norden und nicht im Süden der Stadt niedergelassen haben, freut ihn. Der Ornithologe sieht darin einen weiteren Beweis „für die Umweltqualität im Raum Mengede mit seinen Naturschutz- und Feuchtgebieten“.
Sorge, dass Spaziergänger, Radfahrer oder allgemein Schaulustige dem brütenden Paar zu nahe kommen, hat Kretzschmar nicht. „Der Horst-Standort ist gut“, sagt er. Die Heckrinder unter dem Nest böten Schutz. Außerdem könne man die Vögel ohnehin nicht beobachten, wenn man direkt unter dem Nest stehe. Und: „Störche sind Kulturvögel und haben grundsätzlich vor Menschen keine Angst.“
Eine spannende Frage sei es, ob einer oder beide Vögel beringt seien. „Darauf müsste man achten, wenn sie auf einer Wiese oder einem Acker sind“, erklärt der Vogel-Fachmann. „Eventuell kann man dann herausfinden, wo sie herkommen.“ Und dann eine weitere Geschichte über die Weißstorchen-Familie mit dem Nachwuchs „geboren in Dortmund“ erzählen.
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