
© Uwe von Schirp
Sonder-Impfaktion: „Ich möchte einfach meine Freiheit wieder haben“
Coronavirus
Menschen aus Bodelschwingh, Nette und Westerfilde können sich am Wochenende (28. bis 30.5.) gegen Corona impfen lassen. Der Andrang am ersten Nachmittag war groß, die Motivation vielfältig.
Thorsten Weber sitzt in einem Campingsessel mitten auf dem Bürgersteig der Dörwerstraße in Dortmund-Nette. Auf den Knien ein Kreuzworträtselheft, an seiner Seite Ehefrau Elisabeth. Es ist Freitag (28.5.), 13.45 Uhr. In einer Viertelstunde startet die Sonder-Impfaktion der Stadt Dortmund für die Stadtteile Bodelschwingh, Westerfilde und Nette.
Rund 16.000 Erwachsene leben in den drei Sozialräumen. Die Corona-Infektionszahlen sind hier im Vergleich zum städtischen Durchschnitt deutlich überhöht. Darum findet an diesem Nachmittag sowie am Samstag und Sonntag die Sonderaktion statt.
2000 Dosen des Vakzins von Johnson & Johnson stehen zur Verfügung – für jeden der fünf Zeitblöcke an den drei Tagen jeweils 400. Sie stammen aus einem Sonderkontingent des Landes NRW für Menschen in sozialen Brennpunkten mit einem hohen Infektionsgeschehen.
Mit dem Wohnmobil in die Fränkische Schweiz
Bis Thorsten Weber und seine Frau an der Reihe sind, wird es noch eine ganze Zeit dauern. Geschätzt 150 Menschen stehen, hocken oder sitzen vor ihnen. Webers gehören zur Impf-Priorisierungsgruppe 3. „Mir ist Astrazeneca angeboten worden“, sagt der 64-Jährige. „Darüber habe ich aber so viel Negatives gehört und ‚nein danke‘ gesagt.“
Jetzt steigen die Temperaturen. Da will das Ehepaar mit seinem Wohnmobil los. „Der Vorteil bei Johnson & Johnson ist der eine Pieks, und nach zwei Wochen giltst du als vollständig geimpft“, sagt der Westerfilder. Schon bald soll es in die Fränkische Schweiz gehen.

Die ersten Impfwilligen stellten sich schon um 9 Uhr vor den Seiteneingang des Heinrich-Heine-Gymnasiums. © Uwe von Schirp
Gut 120 Meter vor ihnen ist der Einlass in das Impfzentrum auf Zeit. Jennifer Potthoff steht schon seit 9 Uhr dort – ganz vorne und gleich für ihren Ehemann und ihre Tochter mit. Beide arbeiten am Morgen noch und treffen am Mittag ein.
Die Familie lebt im Bodelschwingher Unterdorf. Bei einem Fußpflegetermin am Donnerstag hat Jennifer Potthoff von der Impfaktion erfahren. „Ich arbeite im Einzelhandel“, erzählt sie. „Da laufen so viele Leute rum, mit einem Impfschutz fühle ich mich besser.“
Sohn feiert Hochzeit
Hinter ihr steht André Kühler in Arbeitshosen. „Ich habe früher Feierabend gemacht“, erzählt der Westerfilder. „Eigentlich war es vom Betrieb aus geplant, aber dann war nicht genug Impfstoff da.“ Seine Impfmotivation: „Ich möchte einfach meine Freiheit wieder haben.“
Ebenfalls vorn in der Schlange ist Claudia Sternkopf. Sie lebt mit ihrem Mann in der „ruhigeren Ecke“ von Westerfilde am Rahmer Wald, wie sie sagt. „Man kriegt ja keinen Impfstoff“, erklärt die 56-Jährige. Auch ihre Motivation sind mehr Freiheiten.
Wenn ihr Sohn Anfang Juli heirate, würden sie und ihr Mann bei einer möglichen Beschränkung der Größe der Festgesellschaft nicht mitzählen. Zudem würden die ständigen Tests wie noch am Donnerstag im Baumarkt entfallen. Und: „Wir haben ein Ferienhaus auf Teneriffa“, verrät Claudia Sternkopf.
Ist es am Vormittag hier vor der Tür noch ein kleiner Kreis von erst 30, dann 70 Impfwilligen, wächst die Schlange bis zur Öffnung der Türen in den Mittagsstunden schnell an. Gut 350 Meter sind es um 14 Uhr. Die Menschen stehen auf Abstand und tragen Maske. Mitarbeiter des Ordnungsamts beobachten das Geschehen.
Vor dem Pieks ein Schluck aus der Flasche
Die Stimmung ist entspannt. Ein junger Mann sitzt vor der Sporthalle mit einem Laptop auf den Knien. Einige haben vorausschauend Campingstühle mitgebracht. Manche Gesichter glühen in der Sonne, die endlich wieder intensiv scheint. Ein Mann trinkt erst einmal ein Bier.

Gut 350 Meter lang ist die Warteschlange in der Spitze gegen 14.30 Uhr. © Uwe von Schirp
Thorsten Weber hat eine Flasche Wasser dabei. „Ein schönes kühles Pils wäre besser“, sagt Ehefrau Elisabeth. „Nachher, erst impfen“, entgegnet er. Ausharren in der Frühsommer-Wärme. Und wenn die Blase drückt inmitten der Menschenmenge? „Dann hab ich ein Problem“, sagt der 64-Jährige. „Hier sind genug Büsche drum herum“, kontert seine Frau und lacht.
Um kurz nach 14 Uhr bewegt sich die Schlange langsam vorwärts. Das Impfteam hat den Seiteneingang des Heinrich-Heinrich-Heine-Gymnasiums geöffnet. Vor den Schließfächern der Schüler ist der Check-In. Dort bekommen die Impflinge Anmelde-, Anamnese- und Aufklärungsbögen.

Ein Umkleideraum der Netter Sporthalle ist am Wochenende eine Apotheke auf Zeit. Vier weitere Räume sind Impfkabinen. © Uwe von Schirp
Vor den naturwissenschaftlichen Fachräumen ist die Wartezone. Von dort geht es in den Umkleidetrakt der Dreifachsporthalle. Vier Räume sind Impfkabinen, ein weiterer die Apotheke auf Zeit. In einem Kühlschrank lagert das Vakzin. Nach der Impfung führt die Impfstraße in die Sporthalle zum Check-Out.
Durchlauf dauert 45 Minuten
In einem Geräteraum stehen Kopierer und Scanner. An vier Schaltern erfassen die Mitarbeiter des Teams, wer geimpft wurde. Abends übermitteln sie die Daten ans Robert-Koch-Institut. Zehn bis 15 Minuten müssen die Geimpften auf der Tribüne warten, ob sie eine allergische Reaktion auf das Vakzin zeigen.
„Der Durchlauf hat gut 45 Minuten gedauert“, berichtet ein 19-Jähriger, als er aus der Sporthallentür tritt. Mal hätte der eine oder andere noch mal zurück in die Impfkabine gehen müssen, weil die Chargennummer nicht in den Impfpass eingeklebt war. „Es schien aber, als hätte das Team eine gute Routine.“
#CoronaDO #InfoTweet zu mobilen Impfungen in #Dortmund-Mengede: Alle für heute verfügbaren Impfdosen sind vergeben ❗️
— Stadt Dortmund (@stadtdortmund) May 28, 2021
Bitte nicht mehr an der Sporthalle des Heinrich-Heine-Gymnasiums anstellen! Am Samstag und Sonntag stehen wieder Impfdosen zur Verfügung.https://t.co/ij1mW3kXZN
Um 16 Uhr twittert die Stadt: „Alle für heute verfügbaren Impfdosen sind vergeben. Bitte nicht mehr an der Sporthalle des Heinrich-Heine-Gymnasiums anstellen.“ Neue Gelegenheit: Samstagmorgen, ab 8 Uhr.
16.30 Uhr, Halbzeit: 220 Menschen aller Altersgruppen stehen in der immer noch 200 Meter langen Schlange. Auf der anderen Straßenseite wedelt ein Mann mit dem Impfpass – in der anderen Hand hält er eine Flasche Bier.
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
