
Die Menschen sehnen sich nach Rummel und Unterhaltung nach zwei Jahren Corona-Pause. Nach der Eröffnung am Freitag strömten auch am Samstag die Besucher der "Pingsthuekke" auf die Kirmesmeile. © Stephan Schütze
Skandal und Mord: Dortmunder Traditions-Kirmes erzählt viele Geschichten
Pingsthuekke in Huckarde
„Pingsthuekke“: Das Dorf feiert, die Menschen erzählen Geschichten. Davon lebt der Traditions-Rummel. Ein Gerücht deutet auf einen waschechten Skandal hin. Und von Mord ist auch die Rede.
Pingsthuekke 2022, die Traditionskirmes feiert ihre Wiedergeburt nach Corona. „Huckarde hat viel gefehlt in den drei Jahren“, sagt Christian Oecking. „Das Dorf lebt davon, dass die Leute sich noch kennen“, erklärt der Vorsitzende des Gewerbevereins. „Wenn wir hier über die Kirmes gehen, treffen wir Menschen, die wir vielleicht das ganze Jahr über nicht gesehen haben.“
Und von diesen Begegnungen gibt es wohl viele an diesem Pfingst-Wochenende. Schon am Freitagabend. Der Marktplatz mit den großen Fahrgeschäften und die „Fressbuden“ in den Straßen sind Hotspots. „Wahnsinn“, sagt Gerd Hendler, Chef der Interessengemeinschaft Huckarder Vereine (IHV). „So voll war‘s noch nie am Freitag.“
Die Sehnsucht nach Normalität nach zwei Jahren Corona. Wie bei anderen Traditionskirmessen auch, waren und sind die Bierstände „die“ Treffpunkte. Vor allem die der Vereine und Gruppierungen: Sie sind die Klammer, die Dorfgemeinschaft und die Kirmes im schaustellerischen Sinn verbinden.
Gerücht: nur eine Bratwurstbude
Am Freitagabend macht ein „Gerücht“ die Runde. „Es soll nur eine Bratwurstbude geben“, erzählt die CDU-Politikerin Claudia Brückel. Das hätten Kirmes-Besucher von ihrem Bummel über die gut 500 Meter lange Budengasse auf Rahmer Straße, Huckarder Straße, Marienstraße und Am Dieckhof berichtet. Einzige Bude sei der Streetfood-Stand auf der Rahmer Straße.
Unglaublich: eine Traditionskirmes, nicht irgendeine, sondern in Dortmund – der von Schausteller-Chef Patrick Arens kurz zuvor ausgerufenen Hauptstadt der Traditionskirmessen im Ruhrgebiet überhaupt. Es riecht nach Skandal. Der keiner ist, wie wenig später eine „akkribische“ Recherche dieser Redaktion ergibt. Ein kleiner Bummel genügt.

Das Dach von Fichnas Imbissbude spricht eine deutliche Sprache und macht den vermeintlichen „Skandal“ von nur einer Bratwurstbude zunichte. © Stephan Schütze
Die zweite Oase der Revier-Kulinarik liegt nur wenige Meter vom Streetfood-Wagen entfernt. Gegenüber der Einmündung Marienstraße verspricht nur der erste Blick auf die Bude von Schausteller Leo Fichner „Backfisch“. Tatsächlich liegen hinter der Theke auch Bratwurst an Bratwurst auf dem Rost, schmoren Schaschlicks im Sud.
Bratwurstmann fehlt Personal
„Noch eine echte Kirmesbude“, nennt sie Michael Ortwald. Das Gerücht sei aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Ein Stand fehle tatsächlich, erzählt der Pfarrer beim Bier am Stand des Pfadfinderstammes seiner katholischen Urbanus-Gemeinde. Ein Schausteller habe bis 2019 einen Bratwurst-Stand in der Marienstraße betrieben.
Dem fehle nun, nach Corona, das Personal. Deshalb müsse sich der Schausteller mit einem Team auf eine parallel stattfindende Kirmes konzentrieren. Personalmangel: ein Los, das viele Gastronomen teilen. Eine Corona-Folge auch auf der Kirmes, die so befreit wirkt nach all den Einschränkungen.
Zur Pandemie und zur Pingsthuekke gehört auch diese Geschichte. Fester Bestandteil ist die Prozession der Urbanusgemeinde am Pfingstmontag. Sie geht zurück auf eine Begehung des Essener Klosters im späten Mittelalter. Dienstag nach Pfingsten hielt das Kloster Gericht in Huckarde.
Prozession zum Tatort
Es überprüfte mit den Landwirten aus Dorstfeld und Huckarde die Flurgrenzen der Felder. Die Gerichte lockten Händler zu einem Jahrmarkt – der Urspung der Pingsthuekke.
Die großen Prozessionen mit der Gemeinde fielen in den letzten zwei Jahren aus. Nicht aber die Tradition: Die Urbanusgemeinde baute die vier Segensstationen trotzdem auf. An Pfingstmontag zog Michael Ortwald früh mit seinem Vikar durch die Straßen, zündete eine Kerze an und betete.
Kerze und Gebet: 2020 sprach ihn an der ersten Station auf der Huckarder Straße ein Passant an, ob in dem Haus jemand ermordet worden sei. Aktuell nicht, erklärte Ortwald. Allerdings: Die Station der Prozession an der ehemaligen Bäckerei Reinoldsmann legte ein Vorgänger Ortwalds fest, nachdem ein Geselle seinen Meister erschlagen hatte. Noch eine kleine Geschichte einer großen Kirmes.
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
