Neue Nutzung für eine alte Landmarke Welcher Investor traut sich an den Siloturm im Hafen?

Nach Rückzug von Agravis: Welche Investor traut sich ans Hafensilo?
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Die Pflegemittel für Reitsport sind um die Hälfte reduziert. Auf Paletten lagern Beutel mit Mönchspfeffer und Maiscobs. Tomaten- und Gemüseerde gibt es in 15- und 40-Liter-Beuteln und „Kaminholz im Netzsack“. Landwirte, Hundehalter und Gartenliebhaber pendeln zwischen den Warensortimenten. Manche suchen vergeblich, sie sind zu spät gekommen. Viele Regale sind bereits leer. Es sind die letzten Tage im 435 qm großen Raiffeisenmarkt der Agravis Kornhaus Westfalen-Süd. Ausverkauf.

Am Freitag (28.2.) ist Schluss: Nach 88 Jahren wird der Markt an der Speicherstraße geschlossen. Das Agrarhandelsunternehmen Agravis gibt seinen Standort am Dortmunder Hafen komplett auf. Auch die Landwirtschaft sei von einem Strukturwandel erfasst, so Philip Rödelbronn, Geschäftsführer der Agravis Kornhaus Westfalen-Süd. „Die Anforderungen an eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur sind gewachsen“, sagt Rödelbronn. Nur böten die örtlichen Gegebenheiten am Hafen keine sinnvollen Erweiterungsmöglichkeiten. Daher habe man entschieden, das Angebot an anderen Standorten zu bündeln.

Übergabe der Gebäude Mitte 2025

Hier sind sie also vorgefahren, die Landwirt mit ihren Traktoren. Hier haben sie ihr Getreide abgeliefert, das für den Siloturm erst lagerfest gemacht und später per Schiff beispielsweise zu genossenschaftlichen Futtermittelbetrieben weitertransportiert wurde. Noch 2024 gab es die letzten Lieferungen. „Bis Mitte 2025 wollen wir den Standort übergeben“, sagt Theo Hartjes, Chef der Immobiliensparte von Agravis. Dann läuft der Pachtvertrag aus. Das Grundstück gehört der Stadt Dortmund.

Agravis-Geschäftsführer Philip Rödelbronn steht im Raiffeisenmarkt an der Speicherstraße in Dortmund.
Ausverkauf: Ende Februar ist Schluss im Raiffeisenmarkt an der Speicherstraße. © RN

Eigentlich hätte Agravis den gesamten Komplex abreißen und die Kosten allein tragen sollen, inklusive des 40 Meter hohen Silos. Das jedenfalls war der Vorschlag der Verwaltung an die Politiker in den Ratsausschüssen. Unterfüttert wurde der Vorschlag von einer „Machbarkeitsstudie“ aus dem Dortmunder Büro SHA Scheffler Helbich Architekten. Der Befund war niederschmetternd.

Den 61 Jahre alten und 11 Geschosse hohen Siloturm umbauen? Obwohl er „baufällig“ ist, Betonschäden hat, das Treppenhaus Fehlstellungen aufweist und die Fassade im Fall einer Neunutzung „zwingend gedämmt“ werden müsste? Und selbst wenn: Laut Bauordnung gilt das Silo als „Hochhaus“. Das bedeutet: Würde der Lagerturm zu einem Bürogebäude umgebaut, für Gastronomie genutzt oder sogar mit einer Aussichtsplattform versehen, müssten neben einem Feuerwehraufzug zwei separate Rettungswege oder ein Sicherheits-Treppenhaus eingebaut werden.

Verwaltung schlug Abriss vor

Folge: Die tatsächlich vermietbaren Flächen auf jeder Etage schrumpfen um ein Drittel. Ergebnis der Machbarkeitsstudie: Ein Erhalt des Turms sei „unter baulichen, energetischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht sinnvoll“. Die unausgesprochene Botschaft: Das wird nichts – ein Investor, der den Siloturm anfasst, verbrennt nur Geld. Wirklich lohnenswert sei ein Neubau.

Der Raiffeisenmarkt neben dem Siloturm im Dortmunder Hafen.
Der rechte Teil des Gebäudekomplexes neben dem Raiffeisenmarkt wird von der Borussia Brauerei als Lager genutzt. © RN

Ähnlich fällt die Bewertung für die Gebäudezeile aus. Tenor: Klar, sie könnte nach vorheriger Entkernung aufgestockt werden. Richtig wirtschaftlich sei das für einen Investor aber auch nicht. Die beste Lösung wäre auch hier: Abriss und Neubau. „Die vorhandenen Gebäude sind technisch und wirtschaftlich verbraucht“, schreibt die Verwaltung – und empfahl den Politikern im Rat, Gebäudeeigentümer Agravis aufzugeben, das Ensemble auf eigene Kosten abreißen lassen. Dazu kommt es nun nicht mehr – der Rat entschied mehrheitlich anders: SPD und Grüne plädierten fürs „Stehenlassen“ – die CDU für Abriss und Neuvermarktung der frei werdenden Flächen.

„Wir haben intensiv diskutiert, die Meinungen gingen auseinander“, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Jan Pogadl. Bemerkenswert dabei: Auch OB Westphal (SPD) legte sich für den Erhalt des Agravis-Ensembles ins Zeug – entgegen dem Vorschlag „seiner“ Verwaltung. Mit welchen Argumenten, bleibt unklar. Klar ist: Ein Abriss (insbesondere des Siloturms) hätte das hochgelobte Konzept des dänischen Architekturbüros Cobe für die Entwicklung des neuen Hafen-Quartiers an der Speicherstraße in dem Punkt torpediert. Die Cobe-Pläne sehen nicht nur den Erhalt vor: Ausgerechnet das Silo sollte einer von mehreren „Impulsgebern“ fürs neue Quartier sein. Die Rauheit des Bestandes soll den Ort „als industrielles Erbe und identitätsstiftende Landmarke in Szene setzen.“

Borussia Brauerei am Hafen?

Dem Vernehmen nach soll man bei Agravis über den Ratsbeschluss zum Erhalt geschmunzelt haben. Natürlich möchte Agravis-Immobilienchef Hartjes die Entscheidung nicht kommentieren. Das Unternehmen ist die Abrisskosten los – das Risiko liegt nun bei der Stadt. Sollte kein Investor bereit sein, für den Siloturm Geld in die Hand zu nehmen, müsste die Stadt das Bauwerk selber abtragen. Die Kosten werden auf 2,7 Mio. Euro geschätzt. Agravis selber muss nun „nur“ noch die Getreideannahme, die Düngelagerhalle und die und 50 Tonnen schwere Bodenwaage beseitigen.

Unterdessen bereitet die Entwicklungsgesellschaft d-port12 den nächsten Schritt vor: Ähnlich wie bei den anderen Grundstücken im „Entwicklungsquartier Speicherstraße“ soll in Kürze ein mehrstufiges Interessenbekundungsverfahren für Investoren anberaumt werden. Bei d-port21 hofft man auf tragfähige Konzepte, für die am Ende auch die Finanzierungen stünden, sagt d-port21-Geschäftsführeer Dominik Serfling. „Benötigt werden Finanzierungszusagen von Banken“, so Serfling. Läuft alles nach Plan, will d-port21 noch vor den Sommerferien mit ausgewählten Investoren in tiefere Gespräche einsteigen. Und: Wer immer sich bewirbt, muss auch ein Angebot bzw. Konzept fürs Silo vorlegen.

Jan Henrik Gruszecki, Gesellschafter der Borussia Brauerei.
Jan Henrik Gruszecki, Gesellschafter der Borussia Brauerei, erwägt, ins Rennen um die Nachfolgenutzung der Agravis-Gebäude einzusteigen. © RN

Wie von anderer Stelle zu erfahren war, sollen bereits erste Investoren Interesse angemeldet haben - bis dato natürlich völlig unverbindlich. Ihre Vorstellungen sollen in Richtung Büronutzung und Gastronomie gehen. Als offenes Geheimnis gilt, dass sich Jan Henrik Gruszecki, Gesellschafter der Dortmunder Borussia Brauerei GmbH, mit dem Gedanken trägt, in der Gebäudezeile unterhalb des Silos am Hafen künftig Bier auszuschenken.

Aktuell wird es in Berlin gebraut. Ideen soll Gruszecki auch für den Siloturm haben. Ob sie realisierbar sind, ist vorläufig offen. „Ja, wir können uns vorstellen, beim Interessenbekundungsverfahren mitzumachen“, sagt Gruszecki. „Was tatsächlich machbar ist, müssen die Ausschreibungsunterlagen zeigen.“

Ausschank als Interimsnutzung?

Möglicherweise werden die Gebäude (allerdings ohne das Silo) auch schon früher genutzt: Sowohl OB Westphal als auch d-port21-Geschäftsführer Serfling haben bereits angedeutet, sich nach dem Rückzug von Agravis dort eine Interimslösung vorstellen zu können. Möglicherweise einen Ausschank? „Einen solchen Gedanken hatte ich auch schon“, sagt Gruszecki, ohne bereits konkreter zu werden.

Interesse am Hafen meldet auch die Bergmann-Brauerei, die dort vor vielen Jahren ihr erstes Bier gebraut hat. Man schaue sich nach Standorten um, sagt Marketing-Mitarbeiterin Anna Pusch. Ob es auf eine Stehbierhalle hinausläuft, einen Kiosk-Verkauf oder auf einen Biergarten sei aber noch offen und hänge von der Fläche ab. Es sei ein langfristiges Ziel. Der Siloturm aber dürfte ganz sicher nicht gemeint sein.

Wer Deutschland-weit nach Beispielen für umgebaute und neu genutzte Silos sucht, wird relativ schnell fündig. Das Problem ist nur: Kaum ein Beispiel taugt als Vorbild. Die meisten Gebäude werden inzwischen als Wohnungen genutzt – Wohnen aber ist und bleibt wegen der Nähe zur Industrie am Dortmunder Hafen ausgeschlossen. Anders in Düsseldorf, wo das Silo einer früheren Mühle nach dem Umbau von einer radiologischen und einer orthopädischen Klinik genutzt wird – aber auch das dürfte wohl kein Beispiel für Dortmund sein. Einen ganz anderen Einfall hatten sie in Kapstadt (Südafrika): Dort wurde ein ausrangiertes Silo in ein Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst („Zeitz Mocaa“) umgewandelt.

Zum Thema

Wer ist Agravis?

Die Agravis Raiffeisen AG ist ein Agrarhandelsunternehmen mit mehreren Sparten wie etwa Agrarprodukte, Tiernahrung, Pflanzenbau und Agrartechnik.

Überdies ist Agravis in den Bereichen Energie und Raifeisenmärkte einschließlich Baustoffhandlungen sowie im Projektbau tätig.

Mit mehr als 400 Standorten ist die Gruppe überwiegend in Deutschland aktiv.

Sie hat rund 6.800 Beschäftigte und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 8,8 Milliarden Euro.

Der Unternehmenssitz von Agravis ist Münster.