Stehenlassem oder abreißen? Das ist die Grechtenfrage, die der Rat der Stadt in der Sitzung am Donnerstag (12.12.) beantworten muss. Die Verwaltung schlägt vor, sowohl den 39 Meter hohen Agravisturm als auch das zweigeschossige Nachbargebäude abzureißen, um das Grundstück später an potenzielle Investoren zu verkaufen.
Als Fundament für das Vorgehen stützt sich die Verwaltung auf eine Machbarkeitsstudie des Dortmunder Büros Scheffler Hellbich Architekten.
Dessen Befund: Sowohl der Turm als auch der Anbau mit dem Verkaufsraum seien in einem Zustand, der den Erhalt der Immobilien kaum zulasse. Nebauten seien deutlich wirtschaftlicher. Die Architekten des dänischen Büros Cobe, Ideengeber für die Entwicklung des kommenden Speicherstraßenquartiers, zeigen sich alarmiert – und wollen retten, was noch zu retten ist. „Wir sind entsetzt“, heißt es in einem ausführlichen Schreiben an die Ratsfraktionen.
Kein Wunder. Cobe hat die oft gelobte Vorlage für das neue Hafenquartier an der nördlichen Speicherstraße entwickelt – und erwartet, dass sich eine Ratsmehrheit für den Erhalt entscheidet. „Wir als Planungsteam fordern Sie auf, für den Erhalt des Silos zu kämpfen!“, schreibt Architektin Carolin Nagel. Der Raiffeisenturm habe ein „Riesenpotenzial für öffentlich einladende Funktionen im Erdgeschoss sowie einzigartige Räume für besondere Nutzungen im Turm“. Es sei die Hauptidee der Rahmenplanung, die Geschichte des Ortes fortzuschreiben.
Cobe plädiert für neue Studie
Das 1959 in Betrieb genommene Silo sei „ein wichtiges Aushängeschild des alten und vor allem des neuen Quartiers. Dessen Identität beruhe ja gerade darauf, die wichtigsten charakterisitschen Industriebauten zu erhalten, argumentiert Cobe. Dabei spiele der Turm als industrielles Erbe eine zentrale Rolle. Seine markante Höhe mache ihn zu einer „einzigartigen Landmarke“ – ein Status, der durch einen Neubau nicht wiederhergestellt werden könne.
Die Einwände von Cobe kommen quasi auf den letzten Metern vor der Entscheidung. In den verbleibenden Wochen bis zum Jahresende (31.12.2024) muss Noch-Eigentümer Agravis ein Signal von der Stadt haben: Abriss – ja oder nein? Entscheiden sich die politischen Gremien für den Abriss, muss Agravis bis zum Auslaufen des Vertrages Ende 2025 die Bagger anrollen lassen. Sollte die Entscheidung pro Silo fallen, geht das Gebäudeensemble laut Erbbaurechtsvertrag ins Eigentum der Stadt über.
Cobe jedenfalls schlägt vor, die Stadt (oder der Quartiersentwickler d-port21) möge eine weitere Machbarkeitsstudie zur Zukunft der Immobilien erstellen lassen. Es solle eine „kreative, aber auch realistische Studie“ sein, mit der die Potenziale des Getreidesilos widergespiegelt würden. Als mögliches Beispiel verweisen die Architekten auf ein Beispiel am Kopenhagener Nordhafen.
Ratsmehrheit doch für Erhalt?
Dort ist ein früheres, 62 Meter hohes Getreidesilo („The Silo“) in ein 17-geschossiges Wohnhaus mit Restaurant und Aussichtsplattform umgebaut worden. Eine solche Variante allerdings wäre im Dortmunder Hafen nicht machbar: Wohnen ist und bleibt ausgeschlossen. Unabhängig davon betrachten die Cobe-Architekten einen Abriss des Agravis-Speichers als „Riesen-Wagnis“.
Nun sind die Ratsfraktionen am Zug. Und tatsächlich scheint sich eine Mehrheit für den Erhalt herauszuschälen. Denn: SPD und Grüne tendieren dazu, den Vorschlag der Verwaltung abzulehnen und das Ensemble stehenzulassen. „Wir möchten, dass die Gebäudezeile in die weiteren Planungen einbezogen wird und möglichst erhalten bleibt“, sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Jan Pogadl auf Anfrage.
CDU schüttelt den Kopf
Sollte sich später herausstellen, dass kein wirtschaftliches Konzept zu entwickeln sei, könne das Ensemble immer noch abgerissen werden. Ähnlich die Grünen: Sowohl der Erhalt des Turms als auch der Zeile seien wesentliche Bestandteile des Cobe-Entwurfs, sagt Fraktionssprecherin Katrin Lögering. „Nicht nur die Bedeutung des Hochpunktes, sondern auch der Erhalt und Umbau ehemaliger Industriegebäude machen den Charme des künftigen Quartiers aus“, so Lögering.
Die CDU positioniert sich anders: „Wir folgen dem Vorschlag der Verwaltung und wünschen eine Neuentwicklung der Fläche“, erklärt Fraktionsvize Uwe Waßmann mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit. Zuvor sei das Thema lange im Vermarktungsbeirat diskutiert worden. Da sei die SPD-Haltung aber noch eine andere gewesen, wundert sich Waßmann.