Schließung von Tagespflegen in Dortmund: Wer kümmert sich jetzt um Oma?

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Schließung von Tagespflegen in Dortmund: Wer kümmert sich jetzt um Oma?

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Wegen der Coronavirus-Krise mussten auch die Tagespflege-Einrichtungen für Senioren in Dortmund schließen. Ein echter Stresstest für hunderte Familien.

Dortmund

, 24.03.2020, 19:01 Uhr / Lesedauer: 2 min

Anfangs waren es nur Kleinigkeiten: Da wusste Christa manchmal einfach nicht, wie spät es gerade ist, verpasste Verabredungen. Vergaß, wo sie eigentlich hin wolle. Oder fuhr mit dem Auto über Rot. Als sich die Aussetzer häuften, ließ sie sich von einem Neurologen untersuchen. Diagnose: Hirnatrophie, umgangssprachlich Gehirnschwund genannt.

Heute, fünf Jahre nach den ersten Anzeichen, ist die 76-jährige Dortmunderin ein Pflegefall. Christa vergisst die eigentlich selbstverständlichsten Dinge, zum Beispiel Essen oder ob Tag oder Nacht ist. Sie wohnt immer noch in der eigenen Wohnung, viermal täglich kommt ein Pflegedienst, für die Medikamente, aber auch fürs Waschen, fürs Essen machen.

Tagespflegen sind Dreh- und Angelpunkt im Sozialleben

Dreimal die Woche bringt sie der Pflegedienst morgens in eine Tagespflege-Einrichtung. Dort trifft sie Freunde, ihr wird die Zeitung vorgelesen, manchmal wird gesungen und gebastelt, es gibt Tagesausflüge. Es ist der Dreh- und Angelpunkt von Christas Sozialleben. Oder war es bis vergangene Woche. Dann trat die Coronavirus-Krise in ihr Leben.

Christas Tagespflege musste wie die meisten anderen Tagespflege-Einrichtungen in Dortmund schließen - zu groß ist die Gefahr, dass sich in ihnen die Senioren mit dem Coronavirus anstecken, zumal die Sterblichkeitsrate bei Infizierten über 60 Jahren rasant steigt.

Lediglich sechs von 25 Dortmunder Einrichtungen blieben offen - analog zum Kita-System sind sie für jene aktuell 49 Ausnahme-Fälle da, deren Angehörige zum Beispiel Krankenpfleger sind und deshalb als systemrelevant gelten.

Zu dieser Gruppe gehört Bettina Pietsch nicht. Die 54-jährige Dortmunderin ist Christas Nichte. Pietsch kümmert sich um ihre Tante, organisiert ihr Leben - was ungleich stressiger geworden ist, seitdem die sowieso schon kippelige Balance in Christas Leben durch das Virus gestört wurde.

„Im Moment verbringe ich mehr Zeit mit meiner Tante als mit meiner 80-jährigen Mutter“, sagt Pietsch, „und dann hab ich ja auch noch ein eigenes Leben.“ Sie arbeitet Vollzeit als Filialleiterin einer Parfümerie, hat einen Ehemann und einen erwachsenen Sohn.

Bettina Pietsch (54) kümmert sich um ihre Tante Christa (76) - was nun angesichts der geschlossenen Tagespflege deutlich anstrengender ist.

Bettina Pietsch (54) kümmert sich um ihre Tante Christa (76) - was nun angesichts der geschlossenen Tagespflege deutlich anstrengender ist. © Privat

Kurzzeitpflege ist sehr begehrt - zu begehrt

Rund 400 Tagespflege-Plätze gibt es normalerweise in Dortmund. Was im Umkehrschluss heißt, dass sich nun auch hunderte Dortmunder Familien urplötzlich in der Situation befinden, sich um den pflegebedürftigen Opa, die demente Oma oder den gebrechlichen Onkel kümmern zu müssen.

Bettina Pietsch versuchte, für ihre Tante einen der über 500 Dortmunder Plätze in der Kurzzeitpflege zu organisieren, Christa also für einige Wochen in einem Altenheim unterzubringen. Doch sie bekam nur Absagen: „Wenn überhaupt, gab es frühestens im April oder Mai Plätze, aber nicht jetzt.“

Kurzzeitpflege ist sehr begehrt“, sagt auch Martin Kaiser, Geschäftsführer der städtischen Seniorenheime. Mehrere Wochen müsse man gegenwärtig auf einen Kurzzeitpflege-Platz warten. Eine gangbare Alternative dazu sei das Aufstocken des mobilen Pflegedienstes.

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Das hat auch Bettina Pietsch gemacht: Die Pfleger bleiben jeweils etwas länger bei Christa. „Der Pflegedienst bemüht sich wirklich sehr und kennt auch meine Situation. Die geben alles, um aufzufangen, was durch die Tagespflege wegfällt.“ Die sozialen Kontakte der Tagespflege ersetzt das aber nicht.

Sie hofft nun darauf, dass Christa möglichst bald in eine betreute Wohngruppe umziehen kann. Seit einem Jahr steht sie auf einer Warteliste einer Einrichtung, die Pietsch gefällt. „Ich könnte sie schneller in irgendeinem Verwahrheim unterbringen, aber ich will sie nicht einfach abschieben!“

Vielleicht kommt aber auch Entlastung von anderer Seite. Laut Kaiser wird derzeit geprüft, ob eine zentrale Not-Kurzzeitpflege in Dortmund eingerichtet wird.

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