Schulmüde 14-Jährige lernt wieder zu lernen

Programm für Schulverweigerer in Dortmund

Keinen Bock auf Schule? So einfach ist es nicht, wenn Jugendliche über längere Zeit nicht zum Unterricht erscheinen. Die Ursachen sind vielfältig. Durch das Programm „Train of Return“ sollen Schulverweigerer zurückfinden in den Schulalltag. Manche von ihnen sind einmal gern zur Schule gegangen. Doch dann passierte irgendetwas.

Dortmund

, 28.02.2018, 05:50 Uhr / Lesedauer: 4 min
Nach den letzten Sommerferien hat Aleyna (14) ihrer alten Schule endgültig den Rücken zugekehrt.

Nach den letzten Sommerferien hat Aleyna (14) ihrer alten Schule endgültig den Rücken zugekehrt. © Stephan Schuetze

Aleyna, so möchte das Mädchen, um das es geht, in diesem Artikel heißen. „Der Name gefällt mir.“ Aleyna weiß, was sie will und was nicht: Von ihren Fehlzeiten in der Schule erzählen ja, ihren echten Namen dafür nennen nein.

Solche Entscheidungen musste die 14-Jährige erst lernen. Früher hatte sie Probleme, zu ihrer Haltung zu stehen und sich durchzusetzen. In der Schule wurde sie gemobbt, von denen, die den Ton angeben und bestimmen, dass alle, die anders sind, nicht dazugehören. Damals konnte Aleyna sich nicht behaupten gegen die, die andere Musik hören, sich anders anziehen und andere Filme gut finden als sie. Es wurde für sie immer schwerer, zur Schule zu gehen. Wenn sie zu spät kam, traute sie sich nicht mehr, die Tür zum Klassenraum aufzumachen. Stattdessen ging sie wieder. Und fehlte unentschuldigt. Damit fing es an.

Die Bauchschmerzen wurden immer häufiger. Dazu ein Hämmern im Kopf, schließlich Migräne. Ein fataler Kreislauf kam in Gang. Irgendwann standen 115 Fehlstunden auf ihrem Zeugnis, davon 30 unentschuldigt.

Zwischenstation Krankenhaus

Im Krankenhaus wird eine stressbedingte Migräne diagnostiziert. Damit lassen sich die Fehlstunden entschuldigen. Eine Lösung ist das jedoch nicht. Die bahnte sich an, als beim Elternsprechtag ein Berater der Grünbau GmbH Kontakt aufnimmt.

Grünbau kümmert sich gemeinsam mit der Dobeq GmbH um schulmüde und schulverweigernde Jugendliche. Seit den Sommerferien nimmt Aleyna an einem Programm teil, dass als Ersatz für den Schulbesuch anerkannt wird. Dort lernt sie, wieder mit einer normalen Teilnahme am Unterricht zurechtzukommen.

Aleynas Schule hatte das Hilfsangebot angestoßen. Da hatte das Mädchen bereits einige leidvolle Monate hinter sich. „Dabei bin ich eigentlich gerne zur Schule gegangen“, erzählt sie. „Zuhause war mir langweilig.“

Rückkehr an die Schule ist das Ziel

Seit den Sommerferien nimmt Aleyna an dem Verbundprojekt teil. „Train of Return“ heißt das Angebot. Jeweils fünf schulmüde Jugendliche zwischen 12 und 14 Jahren nehmen die Partner für einige Monate in dieses Training auf – Mädchen und Jungen, die seit Monaten keinen Klassenraum von innen gesehen haben. In dem Programm sollen sie sich wieder an einen regelmäßigen Tagesablauf gewöhnen, an das Zusammensein in der Gruppe und an Regeln. „Unser Ziel ist, sie zurückzuvermitteln an die Regelschule, damit sie dort einen Abschluss machen“, sagt Angela Dietz, Bereichsleiterin für schulbezogene Angebote bei Grünbau.

Mindestens drei Monate lang gehen die Teilnehmer in Absprache mit der Schule und den Eltern zum Training, das als Ersatz für den Schulbesuch anerkannt ist. Täglich zwischen 8.30 und 12 Uhr stehen dort neben den Kernfächern Deutsch, Mathe, Englisch auch kreative und theaterpädagogische Angebote sowie Sozialtraining auf dem Stundenplan.

„Sie war ein Häufchen Elend“

Donnerstag ist Aleynas Lieblingstag, dann kommt der Theaterpädagoge. „Er macht mit uns Sachen, die für den Kopf gut sind, Schauspieltraining und so etwas. Auch die kreativen Sachen machen Spaß.“ Betreuerin Petra Brügge blickt zufrieden auf ihren Schützling. „Als ich Aleyna kennenlernte, war sie ein Häufchen Elend und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Am Anfang war sie oft krank und hat häufig gefehlt. Aber sie hat sehr an sich gearbeitet.“

Eine dreiwöchige Kur brachte den endgültigen Umschwung. „Sie ist jetzt deutlich gestärkt und kann es formulieren, wenn sie Dinge stören“, sagt die Sozialpädagogin. Zickenkrieg nervt Aleyna immer noch, aber sie kann sich jetzt viel besser abgrenzen. Sie werde sich nicht ihren Lebensweg kaputtmachen lassen, ist Petra Brügge sicher. „Ich bin wirklich sehr stolz auf sie.“

So etwas wie damals würde ihr nicht mehr passieren, sagt auch Aleyna selbst. „Ich weiß jetzt, wie ich damit umgehen muss. Und ich habe meine Freunde und meine Eltern. Und Frau Brügge.“

Schulmüde gibt es an allen Schulformen

Rund 200 Jugendliche pro Jahr suchen Hilfe bei der Beratungsstelle an der Unnaer Straße in der Nordstadt. Die Zahl der Betroffenen sei aber ein Vielfaches höher, vermutet Angela Dietz. „Nicht alle gehen offen mit dem Problem um.“ Die Gründe für die Schulverweigerung sind so unterschiedlich wie die jeweilige Schulform und die Familien, aus denen die Betroffenen stammen: Vernachlässigte Kinder sind ebenso darunter wie überbehütete, sozial schwache wie gut situierte. „Die Ursachen sind sehr individuell.“ Mobbing kann eine Rolle spielen, soziale Ängste oder Leistungsdruck. „Jeder Fall ist anders.“

Die Probleme begännen teilweise schon in der Grundschule. Zunächst werden die Eckstunden blaugemacht. „Dann schleicht sich das langsam ein und manifestiert sich.“ Angela Dietz appelliert an alle Beteiligten, schneller einzugreifen, möglichst bereits nach den ersten unentschuldigten Fehltagen. Denn je früher Hilfe einsetzt, desto erfolgreicher kann sie wirken. Nach dem Trainingsprogramm bei Grünbau schaffen 75 Prozent die Rückkehr an ihre oder eine andere Regelschule.

Ziele und Wünsche sind ein gutes Zeichen

Wer im Train-to-Return-Programm nicht erscheint, fällt sofort auf. Die Mitarbeiter haken nach und holen die Betroffenen im Zweifelsfall zuhause ab. Die Jugendlichen merken, dass sie wahrgenommen werden. Und das sei schon ein wesentlicher Erfolgsfaktor, so Angela Dietz: „In der Schule gehen diese Kinder unter. Hier wissen sie, dass man sie ernst nimmt und sich immer jemand um sie kümmert.“ Das wirkt. Die Plätze in dem 2014 gestarteten Projekt sind immer ausgebucht.

Nach jahrelangen Misserfolgen bauen die Jugendlichen dort über kleine Erfolgserlebnisse langsam ihr Selbstbewusstsein wieder auf. „Hier wird ihnen gespiegelt, was sie können“, sagt Angela Dietz. Noten und Negativerlebnisse bleiben außen vor. Dafür können sie vieles ausprobieren und bekommen jederzeit Rückmeldung. „Hier ist es viel besser als in der Schule“, sagt Aleyna. Die Bauchschmerzen sind verschwunden. Trotzdem möchte sie gern wieder zur Schule gehen. Sie freut sich darauf, bald mit ihrer Familie umzuziehen und hofft, eine neue Gesamtschule zu finden. Dort will sie ihren Realschulabschluss machen und dann eine Ausbildung zur Erzieherin. „Wenn wieder Ziele und Träume da sind, ist viel gewonnen“, so Petra Brügge.

„Ich vermisse es, in der Klasse zu sitzen“, sagt Aleyna. Und wieder: „Ich bin eigentlich gern zur Schule gegangen.“ Sie hat bereits angefangen zu lernen, damit sie nach den Sommerferien an einer neuen Schule wieder einsteigen kann in die 9. Klasse. Aleyna ist ein Mädchen, das nicht Aleyna heißt, aber weiß, was es will.

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