Das Schicksal von Sabine und Manfred Jockheck gehört zu den bewegendsten Geschichten unserer Stadt. Das bekannte und beliebte Ehepaar aus Dortmund-Nette kam vor zehn Jahren bei dem Absturz der Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf ums Leben. Die Tragik in der Tragödie: Das Paar buchte für den Rückflug eine frühere Maschine als die Gruppe, mit der es unterwegs war.
Am 24. März 2015 zerschellte der Airbus A320-211 an den französischen Westalpen. Niemand der 150 Insassen überlebte den Moment, als das Flugzeug um 10.41 Uhr im Bergmassiv einschlug. Wie sich wenig später herausstellte, hatte der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich in den Felsen manövriert. Neben Sabine und Manfred Jockheck saßen unter anderem vierzehn Schülerinnen, zwei Schüler der 10. Klasse sowie zwei Lehrerinnen des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See in der Unglücksmaschine.

Axel Kunstmann, langjähriger Wegbegleiter und Freund des Ehepaars, unterrichtete zum Zeitpunkt der Katastrophe an der Gustav-Heinemann-Gesamtschule in Huckarde. Erst Stunden später erfuhr der damalige Englisch- und Religionslehrer, dass seine Freunde an Bord der abgestürzten Germanwings-Maschine waren und nicht mehr lebten. „Ich war total schockiert, fassungslos und konnte es nicht glauben. Ich hielt es für einen schlechten Scherz“, erinnert sich der heutige Mengeder Bezirksbürgermeister an den Moment, als ihn die Nachricht von der bis heute größten Tragödie der deutschen Luftfahrtgeschichte erreichte.
Anwalt der Lärmgeplagten
Sabine Jockheck, die talentierte Tennisspielerin, wurde nur 46 Jahre alt, ihr Mann Manfred, Fotograf, Künstler, Dozent, starb mit 66 Jahren. Sie fanden die große Liebe im zweiten Anlauf, eine glückliche Patchwork-Familie mit insgesamt fünf Kindern. Kennen und lieben gelernt hatten sich die beiden auf einem Presbyter-Wochenende der evangelischen Kirchengemeinde Nette.
Das Ehepaar engagierte sich im Stadtbezirk Mengede vielfältig. Als Bezirksvertreter, für den Naturschutz, in der evangelischen Gemeinde, in den Schulen ihrer Kinder, als Eltern des Mengeder Heimatwalds. Ehrenamtlich, immer nah dran am Bürger. Legendär sind etwa die Bilder des ehemaligen Vize-Bezirksbürgermeisters Manfred Jockheck mit seinem privaten Lärmmessgerät. Er war Anwalt der Lärmgeplagten, der nicht locker ließ, bis die Lärmschutzwand an der Bahnlinie stand.

Axel Kunstmann und Manfred Jockheck lernten sich über die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ kennen. Aus Wegbegleitern und politischen Verbündeten im Stadtbezirk Mengede wurden im Laufe der Jahre Freunde. „Manfred Jockheck war ein unheimlich liebenswürdiger und fröhlicher Mensch. Seine Lebensfreude war ansteckend. Er hat Leichtigkeit in die gemeinsame Arbeit gebracht“, so der Mengeder Bezirksbürgermeister.
Anke von Kolken, eine enge Freundin von Sabine Jockheck, drückte es in einem früheren Interview ähnlich aus: „Die beiden waren zwei lebenslustige, hilfsbereite, liebe Menschen, die immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatten. Die aber auch immer ein offenes Ohr hatten und mit Rat und Tat zur Seite standen.“
Trauma durch Absturz
In Axel Kunstmanns Wohnung hängt ein Bild des Künstlers Manfred Jockheck. Abstrakte Malerei, weiße, wellenförmige Linien auf grünem Grund, ohne Namen, nur mit Signatur. Man könnte angesichts der Tragödie viel hineininterpretieren ... Manfred Jockheck hat Axel Kunstmann das Bild geschenkt, nicht ahnend, dass es viel zu früh ein Erinnerungsstück werden würde.
Axel Kunstmann sagt, der Absturz habe ihn traumatisiert. Nicht nur, weil er einen Freund und geschätzten Gesprächspartner verloren habe: „Früher hatte ich nie Angst vorm Fliegen. Seit dem Vorfall habe ich festgestellt, dass ich intensiv in Richtung Cockpit schaue und mich frage, was da gerade abläuft.“


Gedanken, mit denen der Mengeder sicherlich nicht alleine ist. Vor allem in diesen Tagen, rund um den zehnten Jahrestag der Flugzeugkatastrophe, sind nicht nur die Absturz-Bilder allgegenwärtig, sondern auch die Vorstellung der letzten Minuten an Bord. Als der Kapitän der Unglücksmaschine verzweifelt von außen an die verschlossene Tür des Cockpits klopft, aber den Selbstmörder nicht von seinem tödlichen Tun abhalten kann.
Weder ein Flugzeug noch der evangelische Friedhof in Mengede, wo sich das Urnengrab von Sabine und Manfred Jockheck befindet, seien für ihn geeignete Orte, um den Verstorbenen nah zu sein, sagt Axel Kunstmann. Einer seiner bevorzugten Erinnerungsorte sei der Maximilanpark in Hamm. Denn hier stehen etliche Kunstwerke von Manfred Jockheck, zum Beispiel die 1,80 Meter hohe Holzarbeit „Windenergie, dreiteilig“ am Glaselefanten oder der „Energietropfen“. „Meine Frau stammt aus Hamm, wir sind häufig dort.“ Ein Spaziergang im Maximilanpark gehöre zu jedem Besuch dazu.
200 Trauergäste bei Trauerfeier
Künstlerische Spuren hat Manfred Jockheck auch in seiner Heimatstadt hinterlassen. Auf dem Gelände des Schulzentrums Nette beispielsweise oder im Netter Kirchsaal, den der in der Kunstszene weit vernetzte Objekt-Künstler unter anderem mit einem Lichterbaum gestaltet hatte. Hier fand im Juni 2015 die Trauerfeier statt. Sein Lichterbaum vor der Kanzel war von unzähligen Kerzen umgeben, die die Trauergäste aufgestellt hatten. Auf Wunsch ihrer Kinder wurden Sabine und Manfred Jockheck still und leise beigesetzt – vor allem ohne großen Medienrummel. Während einer bewegenden Trauerfeier nahmen rund 200 Verwandte, Freunde und Weggefährten Abschied.


Anwesend war auch die Notfallseelsorgerin, die zwei Tage nach dem Unglück die Angehörigen der Opfer nach Frankreich an die Unglücksstelle begleitet hatte. Sie brachte einen Stein aus den französischen Alpen mit nach Dortmund, als Verbindung zwischen der Familie der Verstorbenen und dem Ort der Katastrophe in Le Vernet.
Das größte Vermächtnis von Sabine und Manfred Jockheck für Dortmund dürfte der Heimatwald am Eckei in Mengede sein, in dem Bürger zu verschiedenen Anlässen eigene Bäume gepflanzt haben. Vorbild war der Hochzeitswald in Hamm. Bis ihr Traum Realität wurde, musste ein langer bürokratischer Weg bewältigt werden. Doch von Rückschlägen ließen sie sich nicht ausbremsen. Freude und Stolz waren groß, als am 29. April 2010 endlich der erste Baum auf der Wiese am Volksgarten gepflanzt werden konnte.
Gedenkfeier im Heimatwald
Im darauffolgenden Jahr erlebten Sabine und Manfred Jockheck weitere große Momente: Im Mai 2011 überreichte ihnen die damalige Bürgermeisterin Birgit Jörder für ihre Heimatwald-Initiative den Dortmunder Umweltpreis. Im November folgte die nächste Auszeichnung: Dr. Gerd Bollermann, zu diesem Zeitpunkt Regierungspräsident, übergab den Jockhecks den Naturschutzpreis der Bezirksregierung Arnsberg. Beide Male strahlten sie glücklich in die Kamera.
Keine Frage, für die erste Gedenkfeier im Mai 2015 hätte es keinen besseren Ort als den Heimatwald geben können. Axel Kunstmann, zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender der Interessengemeinschaft Mengeder Heimatwald, hatte sie federführend organisiert. Nicht nur der Himmel weinte, als zur Erinnerung an die Verstorbenen vier Amberbäume in Kreuzform gepflanzt wurden – ganz eng beieinander, damit sie sich später als Einheit in alle vier Himmelsrichtungen ausrichten konnten.



Ebenso berührend war der Moment, als ein Engel aus Fundholz für die beiden Absturz-Opfer aufgestellt wurde. Detlef Bechinie von Lazan, ein Künstlerkollege Manfred Jockhecks, hatte ihn angefertigt. Der Engel fand zunächst einen Platz neben dem Walnussbaum, den Sabine und Manfred Jockheck bei der ersten großen Pflanzaktion gemeinsam gepflanzt hatten. Eineinhalb Jahre später wurde an gleicher Stelle ein Stele mit Gedenktafel installiert. Detlef Bechinie von Lazan hatte sie mit bunten Keramiksteinen bestückt.
In seiner Rede während der Gedenkfeier erinnerte Axel Kunstmann auch an das Jahr 2014, als Manfred Jockheck sein Leben neu ordnete. Er verabschiedete sich von der politischen Bühne und gab den Vorsitz der IG Mengeder Heimatwald ab. Er habe seinen Ruhestand ganz der Familie und der Kunst widmen wollen, so Axel Kunstmann.


Viel Zeit war ihm dafür mit seiner Frau Sabine an seiner Seite nicht mehr vergönnt. Denn bis zum Absturz der Germanwings-Maschine mit dem Ehepaar an Bord waren es nur noch wenige Monate. Doppelt tragisch: Normalerweise wären die beiden Dortmunder einen Tag länger in Barcelona geblieben. Doch aus privaten Gründen beendeten sie die gemeinsame Reise mit einer internationalen Künstlervereinigung einen Tag früher – und stiegen so in ein Flugzeug, das ein Selbstmörder steuerte und nie am Zielort ankam.
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