
Rudolf Mintrop (r.), langjähriger Geschäftsführer des Klinikums Dortmund, ist vom Vorwurf der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen freigesprochen worden. Zu recht, sagt unser Autor, kritisiert aber zugleich Mintrop sehr deutlich. © Kiwit/ Menne
Prozess um Ex-Klinikum-Chef: Rudolf Mintrop oder das empörende Schweigen eines Siegers
Meinung
Freispruch für Rudolf Mintrop. Der Ex-Chef des Klinikums Dortmund ist zurecht freigesprochen worden, sagt unser Autor. Aber er attestiert ihm auch erbärmliches Verhalten.
Rudolf Mintrop ist freigesprochen worden. Man könnte jetzt den Prozess gegen den Ex-Chef des Klinikums Dortmund mit dem Spruch „außer Spesen nichts gewesen“ abhaken. Das aber würde einen völlig falschen Eindruck hinterlassen. Zudem war das Verhalten von Mintrop vor Gericht zumindest in einem Punkt unerträglich. Auch das muss ausgesprochen werden.
Doch der Reihe nach. Zunächst muss die Frage beantwortet werden: War dieser Prozess, der fast acht Monate gedauert hat, für die Katz? Die Antwort: definitiv nicht. Erstmals standen Klinik-Verantwortliche vor Gericht, weil ein ihnen unterstellter Mitarbeiter Patienten ermordet hat.
Das allein ist ein Signal an alle Klinik-Beschäftigten. Es lässt sich so übersetzen: „Ihr könnt euch nicht darauf verlassen, dass es in diesem aufopferungsvollen Pflegeberuf nur Menschen mit lauteren Absichten gibt. Ihr müsst genau hinschauen. Ihr seid verantwortlich, auf Unstimmig- und Auffälligkeiten zu achten. Ihr müsst solche Dinge melden – nicht nur den Vorgesetzten, sondern auch Polizei und Staatsanwaltschaft. Tut ihr es nicht, landet ihr vor Gericht.“
Warum keine Krankenpflege-Schülerinnen und -Schüler als Zuschauer?
Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass an den meisten Verhandlungstagen der Zuschauerraum fast leer blieb. Warum saßen da nicht ganze Kurse von Krankenpflege-Schülerinnen und -Schülern? Der Besuch eines einzigen Verhandlungstages hätte sie mehr über ihre Verantwortung gelehrt als zig Stunden theoretischen Unterrichts. Eine vertane Chance.
Der Prozess hat offengelegt, dass im System Krankenhaus etwas Grundsätzliches falsch läuft. Es wurde klar, dass es durchaus Klinik-Mitarbeiter in Oldenburg und Delmenhorst gab, die sich mit verdächtig erscheinenden Beobachtungen und Befürchtungen an ihre Vorgesetzten gewandt haben und die Polizei einschalten wollten. Sie wurden von ihren Vorgesetzten, ausdrücklich auch von Rudolf Mintrop, gestoppt und mit einem Maulkorb versehen.
Ein Insider berichtete mir in diesen Tagen, das System Krankenhaus sei maximal hierarchisch strukturiert. Hier herrsche wie beim Militär „Befehl und Gehorsam“. „Wer als Pfleger gegen seinen Stationspfleger oder als Arzt gegen seinen Chefarzt aussagt, dessen Karriere ist zu Ende.“
Solange es nicht eine von den Kliniken unabhängige Stelle gibt, an die man sich bei Verdachtsfällen wenden kann, dürfte sich daran wenig ändern, denn: Die Chefs im Wirtschaftsunternehmen Klinik müssen stets nicht nur an das Wohl ihrer Patienten, sondern auch an das ihres Hauses denken. Da kommt es zu Interessenkonflikten. Und die können tödliche Folgen haben.
Das Urteil des Gerichts ist gerecht und richtig
Damit kein falscher Eindruck entsteht, muss ich eines klarstellen. Ich halte das Urteil des Gerichts für gerecht. Mintrop und Co. wurden freigesprochen. Nicht, weil man ihnen kein vorsätzliches Handeln nachweisen konnte, sondern, weil sie erwiesenermaßen nicht vorsätzlich gehandelt haben. Das ist ein großer Unterschied.
Die Verteidigerin eines Chefarztes brachte es auf den Punkt. Es sei absurd zu glauben, dass ein Chefarzt, der im OP stundenlang um das Leben eines Patienten kämpfe, diesen anschließend in die Obhut einer Station überlasse, wo er davon ausgehe, dass dort ein Pfleger seinen Patienten tötet. Das sei schlicht nicht nachvollziehbar. Ich gebe ihr recht.
So klar der Freispruch auch ist, so deutlich wurde auch, dass Mintrop und Co. schwere Fehler gemacht haben. Sie stehen in strafrechtlicher Hinsicht mit weißer Weste da, menschlich tun sie das nicht. Sie hatten lediglich das Glück, dass ihre Versäumnisse erst mehr als 20 Jahre nach den Taten vor Gericht zur Sprache kamen. So waren Fahrlässigkeits-Delikte längst verjährt. Grund, jetzt in Triumphgeschrei ob des Freispruchs auszubrechen, besteht also weder für Mintrop noch für einen der anderen sechs Freigesprochen.
Und damit kommen wir zum letzten Punkt. Mintrop hat 28 Tage lang vor Gericht geschwiegen. Am 29. Tag sagte er in seinem Schlusswort einen einzigen persönlichen Satz: „Ich bin froh, wenn es zu Ende ist.“ Das ist erbärmlich, nimmt voller Selbstmitleid nur seine persönliche Belastung durch den Prozess in den Blick.
Das nahezu vergessene Leid der Opfer und Angehörigen
Selbstverständlich hat Mintrop das Recht, vor Gericht zu schweigen. Aber bei seinem Schlusswort, als längst klar ist, dass er freigesprochen wird, hätte ich erwartet, dass er zumindest jetzt ein Wort an die Opfer richtet. Högel ermordete mindestens 87 Menschen, wahrscheinlich, das machte Richter Sebastian Bührmann klar, viel, viel mehr. Und sie seien nicht die einzigen Opfer.
Das seien auch die vielen Hundert Angehörigen. Bührmann rief das Leid dieser Angehörigen, das während des ganzen Verfahrens so gut wie keine Rolle gespielt hatte, in seiner Urteilsbegründung mit höchst emotionalen Worten in Erinnerung.
Ein Formulierungsvorschlag für Rudolf Mintrop
Mintrop aber schwieg ebenso wie seine Mitangeklagten. Kein einziges Wort des Bedauerns oder gar der Entschuldigung. Dabei wäre es so einfach gewesen. Ich hätte da einen Formulierungsvorschlag gehabt:
„Ich werde freigesprochen. Ich habe wirklich niemandem helfen wollen, einen Patienten zu töten. Ja, es gab damals Misstrauen gegenüber dem Pfleger Niels Högel. Heute weiß ich, dass ich darauf anders hätte reagieren müssen. Damals wusste ich es nicht. Ich bedaure zutiefst das Leid für so viele Menschen, für das ich heute eine große Mitverantwortung fühle. Diese Last werde ich mein Leben lang zu tragen haben. Ich bitte daher alle Betroffenen aus tiefstem Herzen um Entschuldigung für das, was ich versäumt habe.“
Solche oder ähnliche Worte hätten menschliche Größe im Angesichts des Sieges gezeigt. Mintrop schwieg. Ich empfinde das als empörend.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
