Bei einer Razzia in Dortmund-Dorstfeld hat die Polizei einen Neonazi festgenommen. Er soll im Stadtteil Marten ein „Klima der Angst“ aufgebaut haben. Gestellt wurde er im „braunen Haus“.
Monatelang soll er mehrere Straftaten begangen haben, die laut Staatsanwaltschaft und Polizei darauf abzielten, „die Martener Bevölkerung einzuschüchtern“. Am Donnerstagmorgen kurz nach 6 Uhr wurde er in der Emscherstraße in Dorstfeld festgenommen: Gegen den 24-jährigen Neonazi Steven F. lag ein Haftbefehl vor. Er soll in die Untersuchungshaft. Der Justiz ist der Mann längst bekannt.
Lange hielt sich Steven F. in Marten auf. Dann fand er in Dorstfeld Unterschlupf. Bereitschaftspolizei und Staatsschutz drangen kurz nach 6 Uhr in das Wohnhaus an der Emscherstraße ein. 20 Minuten später wurde Steven F. in Handschellen abgeführt. Zeitgleich führte die Polizei 1000 Meter weiter südlich, in der Straße „Siepenmühle“ in Dorstfeld, zwei „Gefährder“-Ansprachen. Mit Neonazis, die als Komplizen von F. an den Taten in Marten beteiligt gewesen sein sollen. Die Polizei will die beiden Männer warnen und weitere Straftaten verhindern. Im Internet posiert F. bekleidet mit einem T-Shirt, das ein Maschinengewehr zeigt. Auf einem Gruppenfoto bekundet er seine Solidarität mit der inhaftierten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.

6.12 Uhr am Donnerstagmorgen: Polizisten dringen in das Haus an der Emscherstraße 2 ein. Sie werden den Neonazis Steven F. festnehmen und dessen Wohnung durchsuchen. © Peter Bandermann
Gewalttaten und Raubüberfall
Die Sonderkommission „Rechts“ des Dortmunder Staatsschutzes ermittelte schon länger gegen den 24-Jährigen, der seine Opfer auf der Straße auch mit Sturmhauben getarnt angegangen haben soll. Beweise und gute Zeugenaussagen führten schließlich zum Haftbefehl. Der nach einem Urteil unter Bewährung stehende Neonazi soll Gewalttaten, antisemitische Beleidigungen, Bedrohungen und in Lütgendortmund einen Raubüberfall begangenen haben. Kriminalpolizisten durchsuchten auch die Wohnung des Mannes in der Emscherstraße. In dem Haus wohnen Vorstandsmitglieder der Neonazi-Partei „Die Rechte“, die nach dem Verbot des „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) im Jahr 2012 gegründet worden ist. In dem Haus gehen mehrfach verurteilte Straftäter, darunter auch Gewalttäter, ein und aus. Das Haus ist zugleich Anschrift der Firma D.A.M.M.-Immobilien. Inhaber ist der Neonazi Matthias Deyda.

Polizeieinsatz auf der Emscherstraße in Dorstfeld. © Peter Bandermann
Rechtsextremer Intensivtäter
Polizeipräsident Gregor Lange bezeichnete Steven F. als „rechtsextremen Intensivtäter.“ Die Festnahme sei eine „klare Ansage des Rechtsstaates an die rechtsextremistische Szene in Dortmund und darüber hinaus.“ Staatsanwaltschaft und Polizei schöpften alle rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel aus, um den Strafverfolgungsdruck auf die Szene hoch zu halten.
Wehrhafte Martener Bürger
Propaganda, Hass und Gewalt: Spätestens seit 2016 wollen Neonazis in Marten ein Klima der Angst aufbauen. Die Festnahme von Steven F. ist in dem Stadtteil im Dortmunder Westen ein wichtiges Zeichen, denn Marten wehrt sich. Mit Erfolg. Die Sorgen begannen nach antisemitischen Farbschmierereien („Juden jagen“), die im Stil von Straßenkunst wirken sollten. Dann waren immer mehr Propaganda-Aufkleber der Neonazi-Partei „Die Rechte“ zu sehen. Unüberhörbar war rassistische Musik in der Straße „Sadelhof“ mitten in Marten : Rechtsextremisten führten spätestens ab 2016 in dem Stadtteil im Dortmunder Westen einen für diese Szene typischen Raumkampf.
Mit Hass-Propaganda gegen politisch Andersdenkende setzen sie auf Empörung, um damit der Angst den Weg zu ebnen: Sie stellen und bedrohen vermeintliche politische Gegner und wenden Gewalt an. Zuletzt bauten sich zwei mit schwarzen Sturmhauben maskierte Männer am 10. November 2018 vor zwei BVB-Fans auf, weil einer von ihnen mit einem Rucksack-Aufnäher aufgefallen war. „Borussia verbindet alle Nationen“ war darauf zu lesen. Details zu diesem Fall stehen in diesem Artikel:
Mit Einschüchterung und Gewalt ein bedrohlich wirkendes Klima aufzubauen, ist eine bewährte Strategie von Neonazis im gesamten Bundesgebiet. „Man sieht sie und man hört sie, das ist ein Kommen und Gehen seit zwei Jahren“, sagt eine Nachbarin aus der Straße „Sadelhof“, wo zu später Stunde aus einer Erdgeschoss-Wohnung heraus harte Rechtsrock-Musik mit ausländerfeindlichen Texten hinaus auf die Straße dröhnte. „Die sind gegen Ausländer und das weiß man in Marten. Wir reden darüber – und auch ich habe Angst vor diesen Leuten“, sagt die junge Frau. Propaganda-Aufkleber oder -Schriftzüge („NS-Zone“) sollen Marten braun einfärben und als Nazi-Stadtteil markieren. Ähnliche Versuche wurden auch in Dorstfeld unternommen.
Der Bezug zum Kampfsport
In Marten aktiv ist der „Freundkreis Rechts“. Er wirbt für den „Kampf der Nibelungen“, eine von deutschen Hooligans gegründete Vereinigung (ein Motto: „Schweiß spart Blut“), in der auch der mehrfach verurteilte Gewalttäter Sven Kahlin von der 2012 verbotenen Skinheadfront Dorstfeld mitkämpft. Immer wieder setzte sich in Marten auch Mitglieder der „Aktionsgruppe Dortmund-West“ in Szene. Die Dortmunder Beratungsstelle für Wege aus dem Rechtsextremismus erkennt in ihr „subkulturelle Elemente“. Die Gruppe sei „interessant“ für Jugendliche, „die keine Lust auf Parteistrukturen haben“.
Martener Forum will Strukturen ertüchtigen
Aufmerksame Anwohner, im „Martener Forum“ vereinte Bürger und auch Opfer von Straftaten haben sich gegen das Schweigen entschieden. Jeder drehte zunächst unabhängig von anderen an seinem eigenen Rädchen. Über Monate hinweg bauten sich Kontakte auf. So ist ein Zahnradsystem entstanden. Es sollte den Rechtsextremisten den Nährboden entziehen. Der im Martener Forum aktive Jurist Joachim Schmittgen (72): „Die traditionellen Martener Strukturen haben in den vergangenen Jahren gelitten. Da ist ein Vakuum entstanden. Wir wollen diese Strukturen wieder ertüchtigen.“

Ehemals im Erdgeschoss von einem Neonazi bewohntes Mehrfamilienhaus am Sadelhof in Marten: Es begann mit Ruhestörungen. © Peter Bandermann
Zusammenhalt zahlte sich aus. Anwohner verständigten die Polizei bei Ruhestörungen durch ausländerfeindliche Rechtsrockmusik, abgespielt im Haus Sadelhof 7-9. Das „Martener Forum“ schaltete die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie bei der Stadt Dortmund ein und führte etliche Gespräche mit der Polizei. Auch, um dort für die Vorfälle in Marten eine hohe Priorität zu erhalten. Die Polizei nannte feste Ansprechpartner. Die Beratungsstelle für „Wege aus dem Rechtsextremismus“ (Coba-Yana) informierte im Martener Forum über das Auftreten des „modernen“ Nationalsozialismus, der seinem historischen Vorbild ideologisch in nichts nachsteht. Anschaulich führte die Koordinierungsstelle auch die über Jahre wirkenden Prozesse im Nachbarstadtteil Dorstfeld vor Augen. Rechtsextremisten treten dort und in Marten nicht mehr ausschließlich mit kahl rasierten Schädeln, Springerstiefeln und Bomberjacken auf:
„Das waren nicht die netten Nachbarn“
„Wir haben es ja eher mit dem Typ Schwiegersohn zu tun“, sagt Margarete Konieczny (68) vom Martener Forum über das Auftreten der Neonazis. Bei öffentlichen Terminen im „Meilenstein“-Raum des Forums hätten sich die unauffällig wirkenden Rechtsextremisten „dazwischen geschmuggelt“. „Aber das waren nicht die lieben netten Nachbarn. Man hat sie nicht sofort als Neonazis erkannt“, berichtet die Rentnerin. In dem Informationsgespräch mit der Beratungsstelle ging es um Symbole, Tätowierungen, Sprache und Strategien, um die Rechten besser erkennen zu können. Margarete Konieczny: „Drei oder viermal sind sie als nette Bürger aufgetreten. Dann haben sie uns ihre Parolen um die Ohren gehauen.“
Unter den ungebetenen Gästen war auch Michael Sascha Brück, nicht nur Mitglied der Partei „Die Rechte“, sondern bis 2012 auch beim damals vom NRW-Innenministerium verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ aktiv. Er ist einer der Bewohner des „braunen Hauses“ an der Emscherstraße / Thusneldastraße in Unterdorstfeld. In dem Quartier wohnen 25 Neonazis. Vorübergehend nimmt die Neonazi-Wohngemeinschaft auch Gesinnungs-Kameraden aus dem gesamten Bundesgebiet auf. Die eher kleine Szene in Dortmund gilt als Kaderschmiede für Neonazis aus ganz Deutschland. Im „Meilenstein“-Raum setzt das Forum die Hausordnung durch. Rechtsextremisten wie Brück müssen draußen bleiben.

Joachim Schmittgen, Margarete Konieczny und Monika und Ingo Rößler (von links) vom Martener Forum: Die ehemalige Volksbank-Filiale „In der Meile“ ist ein Ort der Demokratie. Von hier aus schieben sie Veränderungen im Stadtteil an. Dazu gehört auch die Initiative gegen Rechtsextremismus. © Peter Bandermann
Der ebenfalls im Martener Forum engagierte Fachinformatiker Ingo Rößler erkannte über Monate die „Raumkampf-Strategie“ der Rechtsextremisten. Das Forum musste Antworten finden, um den Raum nicht den Neonazis zu überlassen. „Wir wurden von verunsicherten Martener Bürgern angesprochen und waren anfangs unsicher, an wen wir uns überhaupt wenden können. Wir mussten lernen, welche Sprache wir sprechen und wie wir bei der Polizei auftreten.“ Manchesmal hätten sich Nachbarn des Hauses Sadelhof 7-9 bei Anrufen bei der Polizei nicht ernst genommen gefühlt. Das sei jetzt anders, betont das Martener Forum.
Gespräche mit der Polizei
Monika Rößler: „Der Informationsaustausch ist gut. Wir wollten mehr Polizei-Präsenz und wir haben jetzt mehr Polizei-Präsenz. Man kennt uns und wir müssen nicht mehr viel erklären“ Die Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz bezeichnet Ingo Rößler als „optimal“: „Wenn wir da anrufen, dann passiert was.“ Die Stadt Dortmund, auch der Oberbürgermeister, zeige „großes Interesse“ für Marten. Unterstützung kommt auch vom Runden Tisch gegen Rechtsextremismus aus dem Nachbarstadtteil Lütgendortmund. Das sind Ergebnisse, die das Forum als Folge seines Engagements für die lokale Demokratie bewertet.
Die Menschen haben Angst
„Das Problem ist, dass die Menschen auch Angst haben. Und das führt dann dazu, dass sie nicht zu uns kommen“, begründet die Pädagogin Monika Rößler. Das Forum schaltete immer wieder die Polizei ein und setzt auf Kooperationen auch mit den Kirchen im Ort. Der Volkstrauertag 2018 sollte laut Margarete Konieczny „kein Heldengedenken“ werden, wie es Neonazis in Dortmund durchzusetzen versuchen. Stattdessen verlas ein syrisches Mädchen im Gemeindesaal der katholischen Kirche einen sehr eindringlichen Text.
Zeugen reden mit der Polizei
Wie wichtig Zeugenaussagen von Opfern rechtsextremer Straftaten sind, zeigte sich auch nach der Bedrohung eines Paares am Abend des 10. November in der Straße „An der Wasserburg“. Die von maskierten Männern bedrohte 29-jährige Frau teilt ihre Reaktionen in zwei Phasen ein: „Wir haben spontan zum Telefon gegriffen, um die Polizei zu verständigen. Wir fühlten uns unsicher, da war also das Verlangen nach Schutz. Um dem späteren Ohnmachtsgefühl etwas entgegensetzen zu können, wollten wir die Staatsgewalt einschalten.“
„Ich wollte nicht still sein“
Dass die 29-Jährige und ihr Freund über die Akteneinsicht den Tatverdächtigen ihre Identität und sogar ihre persönliche Anschrift verraten, war beiden bewusst. Die 29-Jährige: „Die Anzeige war der einzige Schritt, mit dem ich mich zur Wehr setzen konnte. Ich wollte nicht als wehrloses Opfer dastehen, ich wollte nicht still sein, sondern aufstehen und mich gegen solche Bedrohungstaten zur Wehr setzen. Wir wollten Teil einer Summe sein, die es ermöglicht, dass der Staat gegen solche Menschen vorgehen kann und dazu unseren Beitrag leisten – obwohl uns auch deutlich davon abgeraten wurde, mit der Polizei zu sprechen.“ Die Aussagen der Frau und zwei weitere Zeugenaussagen belasteten den Festgenommenen Steven F. zusätzlich, so dass ein Haftbefehl erwirkt werden konnte.
Hier ein Videokommentar unseres Redakteurs Peter Bandermann:
Jahrgang 1967, geboren in Barop. Aufgewachsen auf einem Sportplatz beim DJK TuS Körne als Torwart. Lebt jetzt im Loh. Fährt gerne Motorrad. Seit 1988 bei den Ruhr Nachrichten. Themen: Polizei, Feuerwehr und alles, was die Großstadt sonst noch so hergibt. Mag multimediales Arbeiten. 2015 ausgezeichnet mit der "Goldenen Viktoria" für Pressefreiheit.
