Radweg auf der Schützenstraße erfüllt seit Jahren Sicherheits-Kriterien nicht

Radweg auf der Schützenstraße erfüllt seit Jahren Sicherheits-Kriterien nicht

rnToter Radfahrer

Nach dem tödlichen Unfall an der Schützenstraße vom 6. August kritisieren Radfahrer-Organisationen die Stadt. Der ADFC hatte schon vor 30 Jahren auf Gefahren auf dem Radweg hingewiesen.

Dortmund

, 15.08.2018, 16:58 Uhr / Lesedauer: 6 min

Am 6. August 2018 erfasste ein von der Schützenstraße nach rechts abbiegender Lkw-Fahrer einen 85-jährigen Radfahrer. Der Senior starb eine Woche später im Krankenhaus, wie die Polizei berichtete.

Der Unfall ereignete sich am Radweg einer Kreuzung, an der der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) in Dortmund schon vor Jahren ein hohes Unfallrisiko für Radfahrer erkannt hat. Der ADFC-Vorsitzende Werner Blanke: „Als vor 30 Jahren der neue Radweg eröffnet wurde, sind wir von der Stadt Dortmund zu einer Jubelfeier eingeladen worden. Aber wir haben damals gesagt, dass wir nicht zum Jubeln kommen werden, sondern haben vor den Gefahren auf der gesamten Schützenstraße gewarnt. Dann hat man uns nicht mehr eingeladen.“

Radweg mit Unfallgefahren

Der damals neue Radweg auf der Schützenstraße habe eine „städtebauliche Wende“ im Straßenbau darstellen sollen, berichtet Werner Blanke, „die Stadt Dortmund war ganz stolz darauf, wie sie den Radweg geführt hat. Doch die Nutzungspflicht für Radfahrer ist aufgehoben worden, weil der Radweg nicht sicher genug ist.“

Tatsächlich erfüllt der gepflasterte Radweg seit Jahren schon die Kriterien nicht. Die Führung ist unübersichtlich. Radfahrer werden schlecht gesehen. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 2010 (in einem anderen Fall) musste die Stadt Dortmund die „Radweg-Benutzungspflicht“ aufheben, weil das Radfahren auf der Straße sicher sei. Radfahrer dürfen auf der Schützenstraße also die Fahrbahn nutzen.

Vorwurf: Gegen Radfahrer abgeschottet

Vier getötete Radfahrer im Großstadtverkehr seit Februar 2017, also in nur anderthalb Jahren - geht das in so kurzen Abständen weiter, geraten Verkehrspolitiker und Stadtplaner weiter unter Zugzwang. Radfahrer-Organisationen äußern schon lange Kritik an der Stadt, weil sie Autofahrern volle Vorfahrt einräume und Radfahrer in der Verkehrspolitik nicht ausreichend mitreden lasse. Ein Beispiel dafür sei die Kinderunfallkommission der Stadt, wo auch die Polizei mit am Tisch sitzt. Die Kommission habe sich „bewusst nach außen abgeschottet“, kritisiert Werner Blanke, „wir vom ADFC sollten da nicht rein. Die wollen unter sich bleiben.“

In Nahmobilitäts-Arbeitskreisen der Stadt genieße der Pkw-Verkehr höchste Priorität, bemängelt der ADFC-Vorsitzende: „Man ist in Dortmund stolz darauf, dass die Autos schnell durch die Stadt kommen. Ich sehe das aber so: Je besser Autos durch die Stadt kommen, desto schlechter ist das für Radfahrer.“

Immer mehr Fahrzeuge in Dortmund

Verkehrsplaner und -politiker betonten in den vergangenen Monaten immer wieder, dass der Radverkehr in der Stadt höhere Prioritäten bekommen solle. Zugleich nehmen motorisierte Fahrzeuge in Dortmund immer mehr Raum ein. Allein bei den Pkw ist die Zahl seit 2008 um 36.599 auf 283.701 Fahrzeuge gestiegen.

Dortmund rühmt sich obendrein als Logistik-Standort - die Zahl der Lkw ist seit 2008 um 3061 auf 15.562 gestiegen. Polizeisprecherin Cornelia Weigandt: „Zugleich sind immer mehr Bürger mit dem Rad unterwegs. Das kann dann zu einem anderen Unfallbild führen.“

Der tödliche Unfall auf der Schützenstraße / Ecke Mallinckrodtstraße dürfe nicht als Einzelfall betrachtet werden, sagte Werner Blanke, denn „die Sünden der Vergangenheit holen jetzt die Verkehrspolitik in Dortmund ein.“ Der Radweg auf der Schützenstraße sei so ein Sündenfall. Er verläuft etliche Meter versetzt parallel zur Fahrbahn:

  • Rechtsabbieger würden so spät nach mehreren Metern nicht mehr mit einem querenden Radfahrer rechnen.
  • Autofahrer, die von einer Seitenstraße auf die Schützenstraße fahren wollen, würden zu einem frühen Zeitpunkt nicht mit einem Radfahrer rechnen.
  • Der Abstand zwischen Radweg und Fahrbahn ist so groß, dass dazwischen parkende Autos den Radfahrer verdecken.

Dass der jüngste Unfall mit dem Muster „Lkw biegt rechts ab und erfasst Radfahrer“ kein Einzelfall ist, zeigt dieser Rückblick bis zum Anfang des Jahres 2017:

  • 2. Februar 2017 in Wambel: Ein Lkw fährt über eine Hautpstraße und erfasst auf der Rüschebrinkstraße einen 86-jährigen Radfahrer. Der Senior stirbt später im Krankenhaus.
  • 16. März 2017 in der Nordstadt: Auf der Bornstraße biegt ein Lkw nach Rechts auf die Mallinckrodtstraße ab und erfasst eine Radfahrerin. Die Frau überlebt schwer verletzt.
  • 29. November 2017 in der Nordstadt: Ein Lkw biegt von der Leopoldstraße nach rechts auf Mallinckrodtstraße ab und überrollt einen 11-jährigen Radfahrer. Der Schüler stirbt im Krankenhaus.
  • 13. Februar 2018 in der Nordstadt: Auf der Bornstraße biegt ein Lkw nach rechts in die Glückaufstraße ab und tötet einen 63-jährigen Radfahrer.
  • 6. August 2018 in der Nordstadt: Ein Lkw-Fahrer biegt von der Schützenstraße nach rechts in die Mallinckrodtstraße ab und überfährt einen 85-jährigen Radfahrer. Der Senior stirbt im Krankenhaus.

In der Stadt Essen (590.000 Einwohner) gab es 2017 und 2018 keinen einzigen getöteten Radfahrer. Die Verkehrsdichte in der Stadt ist vergleichbar hoch. Dort hat in dem Zeitraum kein einziger Lkw als Rechtsabbieger einen Radfahrer überfahren, wie die Essener Polizei berichtet. In Dortmund ist das mit Blick auf letzten Unfälle allerdings typisch.

Dazu ein Kommentar unseres Autors:

In unmittelbarer Nähe des Unfallorts Mallinckrodtstraße / Schützenstraße führt der Radweg zunächst auf den Treppenabgang einer U-Bahn-Station, schwenkt dann um 90 Grad nach links und 90 Grad wieder nach rechts, um dann zur Kreuzung zu führen. Eine große Werbetafel und an einer Bushaltestelle wartende Fahrgäste können für Auto- und Lkw-Fahrer die Sicht auf parallel fahrende Radler behindern oder einschränken, sodass Rechtsabbieger einen Radfahrer zu spät sehen. Die Leiterin des Dortmunder Tiefbauamtes, Sylvia Uehlendahl, sagt, dass die Stadt Dortmund bei solchen großen Werbetafeln an Vertragspflichten gebunden sei. „Es gibt eine ganze Reihe von solchen Werbe-Standorten, die ich so nicht genehmigen würde“, sagt sie. Warum Vertragspflichten mit Reklameanbietern wichtiger sind als die Verkehrssicherheit, bleibt im Verborgenen. Allerdings soll der Standort nun überprüft werden. Für den Unfall am 6. August 2018 soll die Werbetafel nicht relevant gewesen sein.

Einmal um 90 Grad links und dann um 90 Grad rechts: So führt der Radweg auf der Schützenstraße auf die Kreuzung zu.

Einmal um 90 Grad links und dann um 90 Grad rechts: So führt der Radweg auf der Schützenstraße auf die Kreuzung zu. © Peter Bandermann

Wer sich 30 Minuten an die Unfallkreuzung stellt, erkennt allerdings immer wieder unaufmerksames Verhalten hinterm Steuer und rasante Rechtsabbieger-Manöver. Die Gefahr für Radfahrer ist allgegenwärtig, auch an anderen Orten: An der Ecke Mallinckrodtstraße / Leopoldstraße (wo im Februar 2018 ein Schüler überfahren und getötet worden ist), hätte am Dienstag (15.8.) ein nach rechts abbiegender Kleinwagen beinahe eine junge Radfahrerin überfahren, obwohl sie in seinem Sichtfeld unterwegs war. Die Radfahrerin konnte ausweichen.

Stadt Dortmund soll Radfahrer mit ins Boot holen

Der Dortmunder ADFC fordert die Stadt Dortmund auf, „endlich die Bürger mit ins Boot zu holen, damit frischer Wind in die Verkehrspolitik kommt. Sonst bleibt alles so, wie es ist.“ Der ADFC ist mit seinem Sachverstand nicht allein. Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD), die Selbsthilfe-Fahrrad-Werkstatt „VeloKitchen“ an der Bornstraße und die Initiative VeloCityRuhr treten für Radfahrer-Interessen in die Pedalen. Konrad Tischler aus der VeloKitchen rät dazu, an gefährlichen Kreuzungen die Ampeln komplett anders zu schalten.

Tischler: „So lange in Dortmund die Ampelschaltungen nur für den maximalen Verkehrsfluss optimiert werden und geradeaus fahrende Radfahrer und Rechtsabbieger gleichzeitig grün haben, wird es immer zu kritischen Situationen kommen.“

Grün nur für Fußgänger und Radfahrer

Konrad Tischlers Ampel-Vorschlag: „Den motorisierten Verkehr komplett anhalten und Fußgängern und Radfahrern in allen Richtungen gleichzeitig grünes Licht geben. Darüber hat hier aber noch niemand nachgedacht. Man muss es einfach mal ausprobieren.“ Ampeln, Spiegel für Lkw-Fahrer wie in Münster oder technische Assistenzsysteme würden das Problem jedoch nie grundlegend ändern. „Man muss an die Wurzeln ran“, sagt der Radfahrer.

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Über fest installierte Spiegel speziell für Lkw und von Sensoren gesteuerte Lichtreflexe, die Lkw-Fahrer warnen sollen, hat auch der Deutsche Städtetag beraten. Experten geben diesen Systemen keine Chance. Sylvia Uehlendahl: „Es gibt Städte, die Spiegel wieder abgebaut haben, weil sich an Kreuzungen trotzdem Unfälle ereignet haben.

Radfahrer-Sicherheit muss Chefsache sein

Zugleich müsse der öffentliche Nahverkehr in Dortmund mit kürzeren Takten fahren, seine Kapazitäten ausbauen und finanziell attraktiver werden. „In Wien kostet eine Jahreskarte 365 Euro“, sagt Konrad Tischler. Also einen Euro am Tag. In Dortmund kostet ein „Ticket 2000“ in der günstigsten Preisstufe 51,32 Euro pro Monat.

In anderen deutschen Städten oder auch in den Niederlanden sei die Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr von Oberbürgermeistern oder der nationalen Regierung zur „Chefsache“ erklärt worden. In Dortmund fehle so eine Initiative. „Da können wir in Dortmund so viel radfahren wie wir wollen. Wenn es von oben herab keine Bereitschaft gibt, etwas zu verändern, wird sich nichts verändern.“

Ghost-Bike steht auf einem Dachboden bereit

Der 13. August 2018 um 19.30 Uhr in einem Innenhof an der Bornstraße. Die Presseinformation der Dortmunder Polizei über den Tod des 85-jährigen Radfahrers ist fünf Stunden alt, da geht Roland Tischler von der Radfahrer-Selbsthilfe „VeloKitchen“ in die siebte Etage eines Mehrfamilienhaus und trägt vom Dachboden ein weiß lackiertes Fahrrad nacht unten. Ein „Ghost-Bike“.

Ein Geister-Fahrrad, das VeloKitchen und die Organisation VeloCityRuhr am Freitag (17.8.2018) nicht zum ersten Mal an einem Unfallort mit tödlichem Ende aufstellen werden. Konrad Tischler: „Wir wussten, dass es die Aktion Ghost-Bikes gibt, waren aber über viele Jahre froh, dass man so etwas in Dortmund nicht machen musste. Seit Anfang 2017 haben wir aber schon drei Fahrräder aufgestellt und fragen uns jedesmal: wieviele Räder müssen wir noch aufstellen?“

Konrad Tischler von der VeloKitchen in der Dortmunder Nordstadt zeigt ein bereitstehendes Ghost-Bike, das am Unfallort an den getöteten Radfahrer erinnern soll. Geister-Fahrräder hat VeloKitchen immer im Vorrat.

Konrad Tischler von der VeloKitchen in der Dortmunder Nordstadt zeigt ein bereitstehendes Ghost-Bike, das am Unfallort an den getöteten Radfahrer erinnern soll. Geister-Fahrräder hat VeloKitchen immer im Vorrat. © Peter Bandermann

Dortmunder Radfahrer stellen Ghost-Bike auf

Für neue Geister-Fahrräder als Mahnmale am Straßenrand gibt es bei den VeloKitchen-Treffen (montags ab 18 Uhr, Bornstraße 138) in der Nordstadt keinen Plan. „Irgendjemand von uns wird in den nächsten Tagen wieder ein voll funktionsfähiges Fahrrad aussuchen. Dann kommt Kati aus Essen, wir legen Pappe auf die Wiese und Kati lackiert das Rad weiß. Sobald es trocken ist, tragen wir es wieder auf den Dachboden und hoffen jedesmal, dass wir es nie wieder herunterholen müssen.“ In der Selbsthilfe-Werkstatt entstehen Damen- und Herrenräder als Ghost-Bikes, aber keine Kinderfahrräder. „Kinderfahrräder zu Ghost-Bikes umzulackieren, das haben wir uns noch nicht getraut. Das wollen wir auch nicht“, sagt Konrad Tischler.

  • Freitag (17.8.) stellen Dortmunder Radfahrer an der Unfallstelle Mallinckrodtstraße / Ecke Schützenstraße erneut ein Ghost-Bike auf.
  • Treffpunkt für alle Teilnehmer, die an den Verstorbenen erinnern wollen, ist um 19 Uhr auf dem Friedensplatz am Rathaus in der Innenstadt.

„Wir wünschen uns, dass möglichst viele Radfahrer mitfahren, um Anteilnahme und Trauer zum Ausdruck zu bringen“, sagt Konrad Tischler.Auch die Tiefbauamts-Leiterin Sylvia Uehlendahl befürwortet die Aktion. „Auch ich habe die Faust in der Tasche“, sagte sie. Die Ghost-Bikes erinnerten Rad-, Auto- und „insbesondere die Lkw-Fahrer“ an die Unfallgefahr an diesen Kreuzungen. Das Dortmunder Tiefbauamt listet derzeit die für Radfahrer gefährlichen Kreuzungen und andere Bereiche auf. Sylvia Uehlendahl: „Diese Liste wird lang.“ Um alle Gefahrenbereiche in Dortmund umzubauen, fehlten Kapazitäten und Geld. Kurzfristig seien die Probleme nicht lösbar.

Keine Baumängel an den Kreuzungen

Die Dortmunder Unfallkommission, bestehend aus Verwaltung, Polizei und Bezirksregierung habe die Kreuzungen mit den tödlichen Radfahrer-Unfällen inspiziert und sei laut Stadtverwaltung „übereinstimmend“ zu dem Ergebnis gekommen, dass die Unfälle weder auf bauliche Mängel noch auf „unzureichende verkehrsregelnde Maßnahmen“ zurückzuführen seien. An allen Kreuzungen sollen bis Ende 2018 die Fahrbahnmarkierungen erneuert und die Radwege auf dem Asphalt rot markiert werden.

Radwege führen in Dortmund über Stadtstraßen und Bundesstraßen. Verantwortlich sind die Stadt Dortmund und der Landesbetrieb Straßen NRW.
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