Neuer Kurs Erdogans

Putschversuch hat Folgen für Türken in Dortmund

Die politische Lage nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 in der Türkei hat auch Folgen für das Zusammenleben der Türken in Dortmund. Der Verbund der Migrantenorganisationen in Dortmund erkennt in dem radikalen Kurs und dem neuen Nationalismus in der Türkei eine Gefahr für die Integration in der Stadt.

DORTMUND

, 08.09.2016 / Lesedauer: 3 min

In diesem Gebäude am Schwanenwall arbeitete die Dortmunder Redaktion der einst Erdogan-kritischen „Zaman“-Zeitung. Nach dem Putsch ist das Gebäude an die Arbeiterwohlfahrt verkauft worden.

„Die Lage auch zwischen den Türken und den Kurden ist in Dortmund angespannt. Seit dem Putsch im Juli nehmen sich Türken und Kurden gegenseitig ins Visier“, sagte der Geschäftsführer des Verbunds der Migrantenorganisationen in Dortmund (VMDO), Dr. Üsit Kosan. Dazu kommt der Konflikt zwischen Erdogan-treuen Türken und der Gülen-Bewegung.

Dr. Kosan, Pädagoge, gründete den auf inzwischen 50 Organisationen angewachsenen VMDO im Jahr 2008. Der Pädagoge (52) ist Kurde und verheiratet mit einer Türkin. „Wir führen im VMDO politische Diskussionen, lassen uns aber nicht von der Türkei instrumentalisieren. Wir sind demokratisch, nicht ferngesteuert“, sagte er über die Kultur im Verbund.

Der Konflikt in der Türkei und der lange Arm des diktatorisch auftretenden Staatspräsidenten belaste die Freundschaften unter Türken und Kurden. Verantwortlich dafür macht der Geschäftsführer auch die zehn Dortmunder „von der Türkei aus gesteuerten Ditib-Moscheen“. Ditib steht für „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“. Das Präsidium für religiöse Angelegenheiten in Ankara steuert den Ditib-Dachverband in NRW.

Wichtige Posten besetzt

Kosan beobachtet, dass der „neu aufgezogene Nationalismus in der Türkei“ die Dortmunder Integrationsstrukturen stark belastet. „Als politisches Machtzentrum fährt Ditib in den Moscheen jetzt einen schärferen Kurs“, sagte er. Die rechtsextremen „Grauen Wölfe“ würden in Moscheevereinen wichtige Posten besetzen. Auch sie sympathisieren mit Erdogan. Auf eine Anfrage reagierte Ditib nicht. Die Stelle des Dialogbeauftragten in Dortmund ist nicht besetzt.

Erdogans Säuberungsaktionen gegen Journalisten, Lehrer, Juristen und andere Beamte reichen bis nach Hörde. Nach dem Putsch ist der erst vor wenigen Monaten eingesetzte Vorbeter abgezogen worden – er soll Mitglied der konservativ-islamischen Gülen-Bewegung sein. Erdogan macht deren Oberhaupt Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich.

Dortmunder Redaktion geschlossen

Noch in der Nacht nach dem Putsch sollen Türken in Dortmund geplant haben, ein Gülen-Gebäude am Schwanenwall zu stürmen. Darin untergebracht war eine Redaktion der Erdogan-kritischen „Zaman“-Zeitung aus dem Gülen-Imperium. In der Türkei sind fast 50 Zaman-Journalisten verhaftet worden. Inzwischen ist das Blatt auf Regierungskurs getrimmt worden. Die Dortmunder Redaktion ist geschlossen.

Kurz nach dem Putschversuch ist das Gebäude an die Arbeiterwohlfahrt verkauft worden. Sie errichtet dort ein psychosoziales Zentrum. Das Konto, auf das sie das Geld überweisen sollte, existiert nicht mehr. Der Betrag ist beim Amtsgericht geparkt worden.

„Terroristen und Vaterlandsverräter“

Die weltweit über ein Milliarden-Vermögen verfügende Gülen-Bewegung betreibt fünf Organisationen in Dortmund, darunter das Westfalia-Bildungszentrum am Bissenkamp (Brückstraßenviertel). Die auf Elite und Bildung setzende Bewegung schottet sich ab, nutzt aber Logos des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, der Industrie- und Handelskammer und der Stadt- und Landesbibliothek.

Nach dem Putsch habe sich die Zahl der Nachhilfe-Schüler auf 50 halbiert, sagte ein Sprecher. Mitglieder der Gülen-Bewegung würden bedroht und als „Terroristen und Vaterlandsverräter“ beschimpft. Aus Sicherheitsgründen dürfe sein Name nicht in der Zeitung stehen.

Ein Westfalia-Funktionär war Mitglied im Ausländerbeirat der Stadt. Das NRW-Sekteninformationszentrum sieht in der Gülen-Bewegung „sektenähnliche Strukturen“.

Erdogans Partei-Ableger

In Dortmund vertreten ist auch Erdogans Partei, die AKP. Die Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD) ist ein AKP-Ableger. Sie folgte in der Nacht nach dem Putsch einem Aufruf Erdogans und organisierte eine Fahrt vom Borsigplatz zum Türkischen Generalkonsulat in Essen. 

Türkei-Politik in Dortmund Bei den Wahlen in der Türkei 2014 konnten die Türken in Dortmund mitstimmen. Im Ruhrgebiet erhielt Erdogan etwa 60 Prozent der Stimmen. Erdogans AKP-Ableger UETD nennt ein Hausm am Westenhellweg 83 als Anschrift, hat seinen Sitz aber im Brückstraßenviertel (Treffen mittwochs).

 

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