Dortmunds Polizeipräsident mit ungewöhnlicher AfD-Kritik Experten finden es „mutig“

Polizeipräsident kritisiert die AfD deutlich: „Wagt sich weit vor“
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Dass die Polizei Dortmund Pressemitteilungen zu ihren Maßnahmen gegen Rechtsextremismus in der Stadt veröffentlicht, ist nicht ungewöhnlich. Doch die Mitteilung, die Behörde am 2. April verschickt hat, unterscheidet sich deutlich von bisherigen. Das liegt zum einen an der Länge der Mitteilung, der Benennung klarer Namen, zum anderen aber auch daran, wie sich Polizeipräsident Gregor Lange mit Blick auf die AfD äußert. Wir haben die Pressemitteilung deshalb Experten vorgelegt und sie um ihre Einschätzung gebeten.

Anlass der Mitteilung ist die Zahl der rechtsextremen Straftaten, die sich in 2024 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat. Auffällig sei dabei, dass die wenigsten Taten dabei auf die Szene aus Dorstfeld zurückzuführen seien. „Die meisten politisch rechts motivierten Straftaten im Jahr 2024 begingen Menschen aus der gesamten Breite der Gesellschaft, die zuvor nicht wegen rechtsextremistischen Straftaten aufgefallen sind“, wird Gregor Lange darin zitiert.

Polizeipräsident Gregor Lange bewertet die aktuelle Lage: „Die demokratische Mitte ist in einem aufgeheizten Klima löchrig geworden. Mit Blick auf die Taten und Zahlen beobachte ich mit Sorge eine Entgrenzung in unserer Gesellschaft. Nicht allein rechtsextremistisch motivierte Täter begehen diese Delikte, sondern größtenteils strafrechtlich zuvor unbescholtene Bürgerinnen und Bürger.“

Weiter heißt es: „Das betrifft unsere gesamte Stadtgesellschaft. Das geht uns alle an.“ Eine Verantwortlichkeit an diesen Entwicklungen misst Gregor Lange offensichtlich auch der AfD zu.

Sorge wegen AfD-Politikern

„Große Sorgen machen mir aktuell diejenigen Politikerinnen und Politiker, die in Landesparlamenten und im Bundestag sitzen, die wie Herr Höcke und Herr Helferich offen ihre demokratiefeindliche und ihre rechtsextremistische Haltung zur Schau tragen und dabei mit dem vermeintlichen Image der fürsorglichen, vaterländischen Partei kokettieren. In Wahrheit versuchen sie, extrem rechte Standpunkte salonfähig zu machen und zu normalisieren.“

Der Polizeiwissenschaftler Rafael Behr, der an der Akademie der Polizei in Hamburg lehrt und forscht, hält das für eine Äußerung, die „herausragt“: „Es gibt nicht viele Polizeipräsidenten in Deutschland, die das so deutlich sagen. Viele halten sich mit einer konkreten Einschätzung zur AfD zurück.“ Der Dortmunder Polizeipräsident hinterlasse bei ihm mit diesen Äußerungen den Eindruck als meine er es ernst im Kampf gegen Rechtsextremismus.

„Ich halte das für ein Statement, das Aufmerksamkeit verdient, weil es den Mut des Polizeipräsidenten zeigt, es auch mit der AfD aufzunehmen“, lobt Behr. Es mache deutlich, dass es über die Pflicht hinaus auch einen Willen gebe, rechtsextreme Strukturen in der Gesellschaft zu bekämpfen. „Das ist eine strategische Entscheidung, die er verteidigen muss. Ich vermisse ganz oft bei Polizeiführern, dass sie sich dazu bekennen, etwas zu wollen und nicht nur zu müssen.“

Der Hamburger Polizeiforscher Rafael Behr lobt den Dortmunder Polizeipräsidenten für seine klare Haltung.
Der Hamburger Polizeiforscher Rafael Behr lobt den Dortmunder Polizeipräsidenten für seine klare Haltung. © dpa/picture alliance

„Wird für Resonanz sorgen“

Solche Worte in Richtung der AfD seien von Entscheidungsträgern in der Verwaltung selten. „Er wagt sich weit vor. Auch wenn er sich mit Björn Höcke einen der extremsten Vertreter der AfD herausnimmt, der als Faschist bezeichnet werden darf.“ Mit Matthias Helferich benennt der Polizeipräsident außerdem den wiedergewählten rechtsextremen Dortmunder AfD-Bundestagsabgeordneten, der besonders radikal auftritt und zum völkischen Ausleger der Partei um Höcke gehört.

„Das Statement wird für Resonanz sorgen“, ist sich Behr sicher. Wie die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD auf solche Äußerungen reagiert, hat auch der Fall des Oldenburger Polizeipräsidenten Johann Kühme gezeigt. Der mittlerweile pensionierte Behördenleiter hatte sich immer wieder kritisch gegenüber der AfD geäußert und in einem Interview gesagt: „Die AfD verdreht Wahrheiten und verbreitet Lügen.“

Die Partei hatte daraufhin Klage am Oberlandesgericht Oldenburg eingereicht, weil sie die Äußerung für rechtswidrig hält und einen Verstoß gegen die Sachlichkeits- und Neutralitätspflicht des Polizeipräsidenten sieht. Ein Termin für den Prozess ist noch nicht angesetzt. Andere Polizeipräsidenten hatten Kühme der Rücken gestärkt.

„Ich finde es mutig“

„Ich finde es mutig, wie sich der Polizeipräsident zur AfD und zum Problem rechtsextremer Straftaten äußert“, sagt auch der Sozialwissenschaftler Dierk Borstel, der an der FH Dortmund unter anderem zu Rechtsextremismus forscht. Borstel bewertet die Pressemitteilung aber auch als Hilferuf an Politik und Stadtgesellschaft. Die Botschaft laute: „Alle können einen Beitrag leisten.“

Es sei verhältnismäßig leicht gewesen, eine überschaubare Zahl von Rechtsextremisten in Dorstfeld im Blick zu behalten. Wenn nun die Zahlen rechtsextremer Straftaten unabhängig von der Szene steigen, sei das unlängst schwieriger zu kontrollieren.

Professor Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund ist Experte, wenn es um Rechtsextremismus geht.
Professor Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund ist Experte, wenn es um Rechtsextremismus geht. © picture alliance/dpa

„Ein Resonanzraum für Ressentiments und Gewalt, das ist die Mitte der Gesellschaft, das sind wir“, macht Borstel deutlich. Man müsse sich die Frage stellen: „Inwiefern sind wir alle Teil des Problems?“ Und: „Wenn es nicht mehr allein um Dorstfeld geht, wie kriegen wir die ‚neue‘ Problematik viel mehr in den Fokus?“

„Täter fühlen sich bestätigt“

Die Polizei nennt ein aktuelles Beispiel für diese Problematik: Am 21. März 2025 hätten zwei 20 und 21 Jahre alte Männer im Rombergpark in Dortmund Musik mit rassistischen Inhalten abgespielt und auf zwei Frauen mit dunkler Hautfarbe eingeschlagen. Die Tatverdächtigen seien der Polizei zuvor nicht bekannt gewesen. Einen Bezug zum organisierten Rechtsextremismus gebe es nicht.

„Durch die Dominanz des Themas Migration fühlen sich Täter bestätigt und motiviert. Es entsteht bei ihnen der Eindruck, dass sie das vertreten, was die Mehrheit der Gesellschaft will“, sagt Borstel. „Wenn wir nur noch diese Themen in dieser Art und Weise diskutieren, dann stärkt das auch die, die gewaltvoll etwas durchsetzen wollen. Und bei dieser Themensetzung spielt die AfD eine große Rolle.“

Die Pressemitteilung zeige sehr deutlich auch die Veränderung, die sich in Dortmund vollzogen habe und belege sie mit Zahlen und Daten, sagt der Sozialwissenschaftler.

Die Polizei blickt in der Mitteilung auch auf die vergangenen zehn Jahre und betont ihre Erfolge im Kampf gegen Neonazis, die sich nicht zuletzt im Wegzug entscheidender Führungskader widerspiegeln. Ungewöhnlich ist an dieser Stelle aber auch, dass die Polizei explizit die Namen der Akteure mit abgekürzten Nachnamen nennt.

Eine Abrechnung mit der Szene

Es wirkt wie eine Abrechnung mit den Personen, mit denen sich die Polizei in den vergangenen Jahren notgedrungen auseinandersetzen musste. „Der organisierte und über viele Jahre mit Allmachtsphantasien aufgetretene Rechtsextremismus ist in Dortmund an Stadtgesellschaft, Justiz und Polizei gescheitert“, sagt Lange. Der grundsätzlichen Einschätzung der Polizei, dass die Dorstfelder Szene deutlich geschwächt ist, stimmt Dierk Borstel zu. „Da hat die Polizei eine große Bedeutung gehabt“, sagt der Sozialwissenschaftler.

„Während von der Dorstfelder Szene weniger Straftaten ausgehen, ist die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten insgesamt gestiegen. Das ist erklärungsbedürftig“, nennt Borstel eine weitere Intention der Mitteilung.

Es gehe der Polizei auch um „eine Legitimation der eingesetzten Mittel“. Denn die Polizei Dortmund habe die Thematik Rechtsextremismus als Behördenschwerpunkt definiert. „Davon sind Geld und Ressourcen abhängig.“ Es stelle sich also auch die Frage: „Bekommt man trotz schrumpfender rechtsextremer Szene die Ressourcen für dieses Thema?“

Polizeipräsident Gregor Lange wirbt in der Pressemitteilung dafür: „Trotz dieser großen Erfolge im Kampf gegen den Rechtsextremismus auf lokaler Ebene mahne ich mit Blick auf das große Ganze hohe Wachsamkeit an.“

Die gesamte Pressemitteilung der Polizei Dortmund zur gestiegenen Zahl rechtsextremer Straftaten können Sie über diesen Link lesen: https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4971/6003835

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