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Pflege-Auszubildende: „Die Nachfrage nach gutem Personal ist enorm groß“
Ausbildung
Als Auszubildende zu Gesundheits- und Altenpflegerinnen lernen Jasmin Wissemann und Sarah Ballosch in einer Branche mit nicht dem besten Ruf. Für sie ist die Arbeit eine Herzenssache.
Otto Middelmann ist 83 Jahre jung und ein Kunde beim Pflegedienst Hübenthal. Als die Pflege-Auszubildenden Jasmin Wissemann und Sarah Ballosch sein Wohnzimmer betreten, erscheint der durch das Sonnenlicht geflutete Raum noch einmal heller und freundlicher.
Die beiden „jungen Damen“, wie Otto Middelmann sie nennt, bringen mit ihrem Lächeln und Auftreten viel Leben in die Bude. Den Blutdruck messen, ein Pläuschchen halten und Händchen halten – der 83-Jährige genießt den Moment nicht allein, denn auch Jasmin und Sarah sind gerade voll in ihrem Element.
Die Not in der Pflegebranche
Beide lernen im dritten Ausbildungsjahr in einer Branche, die wegen schlechter Bezahlung und hohem Leistungsdruck in Verruf geraten und politisch über Jahrzehnte vernachlässigt worden ist. Aber neben der monatlichen Gutschrift auf dem Girokonto durch den Ausbildungsbetrieb Hübenthal bezahlen die Kunden die beiden Auszubildenden mit einer Währung, für die sie sich nichts kaufen können, die aber trotzdem wertvoll ist: „Es macht uns Spaß, Menschen glücklich zu sehen und sie auf ihrem Weg zu begleiten.“ Und: „Klar, am Anfang sind Gerüche nach Urin und Fäkalien erst einmal seltsam. Aber das ist schnell überwunden.“
Wie sieht der Ausbildungs-Alltag aus? Das erklären Jasmin Wissemann und Sarah Ballosch in diesem Video:
Der Pflegeberuf: Ambulant wie stationär bedeutet das Stress, also Arbeit bei hoher Verantwortung unter hohem Zeitdruck und bei geringer Wertschätzung. Wer pflegt, muss funktionieren. Was Mitarbeiter-Rechte oder Gehälter angeht, hängt das Pflege-Personal am Tropf. Politiker und sogar Gewerkschaften haben diese Branche über Jahrzehnte vernachlässigt.
Jasmin Wissemann und Sarah Ballosch kennen diese Probleme, reden im Gespräch über diesen außergewöhnlichen Ausbildungsberuf aber nicht über die Probleme, sondern bevorzugt über die Menschen, mit denen sie täglich zu tun haben. „Bevor ich gehe, will ich noch ein paar Minuten Zeit für ein gutes Gespräch mit ihnen haben“, sagt die 21-jährige Jasmin.
Pflege und vertrauliche Gespräche
Die Gespräche seien sehr vertraulich: „In diesen Gesprächen geht es um alles. Um die Vergangenheit, um die Gegenwart, um den Alltag. Meine Kunden wollen auch wissen, wie es mir geht. Man kann das Privatleben nicht komplett weglassen.“ Als Sarah und Jasmin das Haus von Otto Middelmann verlassen haben, war auch er ein Thema: Dass er schön gelächelt habe und so freundlich war.
Sie sprechen von einem Vertrauens-Verhältnis zu ihren Kunden, für das in einer durchgetakteten Tour die notwendige Zeit gewonnen werden müsse. „Natürlich reden wir die ganze Zeit, aber bei der Pflege oder den Medikamenten ist dann volle Konzentration angesagt“, erklärt Sarah (19), „und dann ist hoffentlich die Zeit, um sich noch mal extra hinsetzen zu können.“
Bei der Arbeiterwohlfahrt hat es Klick gemacht
Nach der Schule wollte Jasmin „einfach mal was ausprobieren.“ Sie absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Arbeiterwohlfahrt in Kirchlinde. Am Anfang sei das seltsam gewesen. „Aber nach ein paar Wochen war mir klar: Die Arbeit mit älteren Menschen macht mir Spaß.“ So ganz nebenbei absolvierte sie damals noch eine Ausbildung zur Betreuungsassistentin, organisierte Ausflüge oder begleitete Mitmenschen zu Ärzten. Zwischendurch bei der Awo hörte sie immer wieder mal den Satz „Jasmin, kannst du mal helfen?“ – Jasmin konnte. „Es hat Klick gemacht. Ich kann mir bis heute keinen anderen Beruf vorstellen.“
Sarah lernt zwar erst im dritten Ausbildungsjahr für ihren Traumberuf, aber dass sie diesen Weg einschlägt, verdankt sie ihrer Mama, Ramona Ballosch. Die 47-Jährige ist nicht nur die Mutter der 19-Jährigen, sondern als Pflegedienstleiterin bei Hübenthal auch ihre Chefin. „Diesen Beruf habe ich mir bei meiner Mutter abgeguckt. Sie hat zu Hause immer viel von ihrer Arbeit erzählt. Irgendwann war mir klar: Das will ich auch machen.“
„Direkt am Menschen zu arbeiten oder ihn glücklich zu sehen, obwohl er doch einsam ist, oder so ein ehrliches Dankeschön zu hören, wenn es ihm nicht gut geht und man ihn in den Arm genommen hat – genau das ist mein Beruf.“ Nichts davon steht im Leistungskatalog, mit dem die ambulanten Pflegedienste ihre Kosten abrechnen. Aber „die Menschlichkeit gehört zum Wohlbefinden dazu“, sagen beide Auszubildenden. „Voll schön“ sei es auch, wenn es nach mehreren Wochen Theorie in der Schule zurück in den Betrieb und „auf die Tour geht“: „Die Leute freuen sich, wenn sie uns wiedersehen, und sie sagen uns das auch.“
Fakten für die Ausbildung im Pflegeberuf
Zu den harten Fakten: Wer sich für die Gesundheits- und Altenpflege bewirbt, sollte mindestens einen guten Hauptschulabschluss besitzen, zuverlässig, diskret, pünktlich, ehrlich, kommunikativ und ein Teamspieler sein. Einen bundesweit einheitlichen Ausbildungstarif gibt es nicht. Die Betriebe zahlen unterschiedlich. Zur Orientierung die Euro-Angaben des Pflegedienstes Hübenthal:
- 1. Jahr: 750 Euro netto.
- 2. Jahr: 815 Euro netto.
- 3. Jahr: 900 Euro netto.

Pflegedienstleiterin Ramona Ballosch: „Sie müssen Freude daran haben, sich um einen Menschen zu kümmern.“ © Peter Bandermann
„Es gibt Betriebe, die zahlen mehr, zum Beispiel die Stadt. Andere zahlen deutlich weniger“, berichtet Jasmin. Im ersten Berufsjahr gibt es 2300 Euro brutto bei einer Fünf-Tage-Woche. Pflegedienstleiterin Ramona Ballosch empfiehlt Interessenten ein mindestens eine Woche dauerndes Praktikum, bevor sie sich bewerben. In dieser Zeit sollten potenzielle Bewerber erkennen, ob sie „mehr machen wollen als nur die Pflege. Sie müssen Freude daran haben, sich um einen Menschen zu kümmern.“
Pflege-Berufen weist Hübenthal-Geschäftsführer Robert Kunze ein großes Zukunftspotenzial zu: „Die Nachfrage nach gutem Personal ist enorm groß. Die Branche leidet darunter, dass die Mitarbeiter nicht so gut organisiert sind wie die IG Metall oder andere Gewerkschaften. Arbeitgeber müssten professionell planen und dürften die Teams nicht überfordern. Robert Kunze: „Auch die Freizeit muss organisiert sein. Dafür muss es zuverlässige Dienstpläne geben.“

Geschäftsführer Robert Kunze: „Die Nachfrage nach gutem Personal ist enorm groß.“ © Peter Bandermann
Manchmal vermisst Ramona Ballosch bei lernenden Kolleginnen und Kollegen Respekt und Pflichtbewusstsein. Aber das sei selten, und „wir haben Glück.“ Abgesehen davon: Erfahrenes Personal könne von den Auszubildenden noch viel lernen – denn: „Während meiner Ausbildung zur Krankenschwester vor 29 Jahren war es nicht erwünscht, dass wir Fragen stellen. Unsere Auszubildenden heute stellen aber Fragen. Sie hinterfragen auch das System. Genau das finde ich gut.“ Sie spürt das, was zwingend Voraussetzung für diesen Beruf sei: „Da muss ein gewisses Feuer sein.“ Wer so sehr für diesen Beruf brenne, könne schon nach vier bis sechs Wochen eine Grundpflege selbstständig vornehmen.
Die erste selbstständige Tour
Sarah hat schon ihre erste selbstständige Tour hinter sich. „Ich war nervös und musste auf viele Kleinigkeiten achten. Am dritten Tag war alles gut. Jasmin hat die erste eigene Tour an diesem Donnerstag noch vor sich. „Hoffentlich vergesse ich nichts“, sagt sie. Otto Middelmann dürfte ganz beruhigt sein. Wenn Jasmin und Sarah in der Tür stehen, dann scheint die Sonne.
Jahrgang 1967, geboren in Barop. Aufgewachsen auf einem Sportplatz beim DJK TuS Körne als Torwart. Lebt jetzt im Loh. Fährt gerne Motorrad. Seit 1988 bei den Ruhr Nachrichten. Themen: Polizei, Feuerwehr und alles, was die Großstadt sonst noch so hergibt. Mag multimediales Arbeiten. 2015 ausgezeichnet mit der "Goldenen Viktoria" für Pressefreiheit.
