Bis zum späten Vormittag sicherten Ermittler der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle der Dortmunder Polizei Beweismaterial.

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Tötungsdelikt in Dortmund: Panische Schreie reißen Nachbarn aus dem Schlaf

rnBesuch am Tatort

Mitten in der Nacht dringen maskierte Täter brachial in eine Wohnung ein. Sie töten einen 27-Jährigen vor den Augen seiner Schwester und ihrer Familie. Nachbarn haben Angst. Ein Besuch am Tatort.

Oestrich

, 09.04.2022, 17:43 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Haustür steht offen, im Flur steht ein Bewohner des Hauses. „Ich hatte Angst“, sagt er. „Angst, dass da irgendwer durchs Haus läuft und Leute abmurkst.“ Der Mann lebt seit November im Dachgeschoss des Mehrfamilienhauses. In der Nacht zu Samstag (9.4.) wurde er durch lautes Geschrei im Haus wach.

In der Erdgeschosswohnung des Hauses an der Castroper Straße in Dortmund-Oestrich wurde ein 27-Jähriger Opfer eines Gewaltverbrechens und starb. Der Mitbewohner hörte Schreie. „Die Frau hat gekreischt.“ Es war die Schwester des Opfers. Die Frau lebte hier mit ihrem Mann, ihren sechs Kindern und ihrem getöteten Bruder.

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Am Mittag nach der Tat ist die Wohnungstür polizeilich versiegelt. Bis zum späten Vormittag hat die Kriminaltechnik Spuren gesichert. Die Ermittler tragen mehrere Plastikkörbe mit Beweismaterial in den weißen Transporter.

Eine Überfalle mit Vorhängeschloss hält die Tür nun vorerst verschlossen. Der Hausflur zeigt Spuren des Tathergangs. Das Schließblech der Wohnungstür liegt unter zwei Kinderautos auf dem Boden. Vor dem Treppenaufgang lehnt der herausgebrochene obere Teil der Türzarge.

„Haustür stand meistens offen“

Es sind Spuren brachialer Gewalt, mit denen sich die maskierten Täter gegen 3 Uhr in der Nacht Zutritt zu der Wohnung verschafft haben. „Die Haustür stand meistens offen“, erzählt der Nachbar aus dem Dachgeschoss. Wäre sie verschlossen gewesen, hätten die Täter womöglich durch den Anbau ins Haus gelangen können.

Durch die wahrscheinlich offenstehende Haustür gelangten die Täter vor die Wohnung. Teile der zerstörten Tür liegen zwischen Kinder-Autos.

Durch die wahrscheinlich offenstehende Haustür gelangten die Täter vor die Wohnung. Teile der zerstörten Tür liegen zwischen Kinder-Autos. © Uwe von Schirp

Der steht nach einem schweren Brand in der Tiefgarage im März 2021 noch leer. Die Tür des Nebeneingangs schlägt im Wind des Aprilwetters auf und zu. Das Haus zeigt noch die Rußspuren des Feuers. „Es waren auch schon mal Fremde im Keller und haben dort gefeiert“, sagt der Nachbar von oben.

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Das Äußere von Haus und Grundstück wirkt vernachlässigt. Ein Blick durch den schmalen Spalt zwischen Wohnungstür und Zarge zeigt das Gegenteil: einen modern eingerichteten, renovierten Wohnungsflur. „Vielleicht ein halbes Jahr“ habe die Familie des Opfers erst hier gelebt, erzählen Bewohner der Nachbarhäuser. „Sie sind immer sehr höflich“, berichtet ein Nachbar.

Ein Sekundarschüler will seinen Freund besuchen

Ein Teen kommt in den Hausflur. Er will zu seinem Schulfreund. Bis 19 Uhr hätte er am Freitagabend in der Wohnung mit dem Neffen des Opfers gespielt. „Dann musste ich nach Hause“, erzählt der Sekundarschüler. „Da stehen die Schuhe meines Freundes.“

Natürlich ist er neugierig, schaut auf die violette Polizei-Versiegelung. Der Mieter von oben erklärt ihm, dass er nicht an oder in die Wohnung könne. Als der Junge hört, dass seinem Freund nichts passiert sei, ruft er ihn an. Es läuft die Mobilbox.

Die herausgebrochene Türzarge lehnt an den Kinderautos. Neben der Tür stehen die Schue eines Sekundarschülers.

Die herausgebrochene Türzarge lehnt an den Kinderautos. Neben der Tür stehen die Schue eines Sekundarschülers. © Uwe von Schirp

Verwandte hätten die Familie abgeholt und bei sich aufgenommen, berichten Bewohner eines Nachbarhauses. Die panischen Schreie der Schwester des Getöteten rissen sie aus dem Schlaf. „Sie stand mit blutigen Hosen auf der Straße“, erzählt eine Nachbarin. „Dann kam auch schon sehr schnell die Polizei.“ Weitere Streifenwagen, Feuerwehr und Rettungswagen folgten.

„Schlafen konnte man da nicht mehr“, erzählt die Frau. Sie hörte, wie die Schwester des Opfers auf der Straße den Polizisten erzählte, was passiert sei. Die Schilderung der Nachbarin deckt sich mit den Angaben der Staatsanwaltschaft vom Samstagmittag.

Um kurz nach 3 Uhr war es mit dem Schlaf der Anwohner vorbei: Mehrere Streifenwagen, Feuerwehr und Rettungsdienst eilten zum Tatort.

Um kurz nach 3 Uhr war es mit dem Schlaf der Anwohner vorbei: Mehrere Streifenwagen, Feuerwehr und Rettungsdienst eilten zum Tatort. © privat

Demnach sind mehrere Männer gewaltsam in die Wohnung eingedrungen. Das Opfer und sein Schwager hätten versucht, das zu verhindern. In der Wohnung hätten die Angreifer den 27-Jährigen tötlich verletzt. Zur Tatwaffe macht die Staatsanwaltschaft aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angabe.

Zeugenbefragungen noch in der Nacht

Die Tat hat womöglich eine längere Vorgeschichte. Mehrfach habe sie den potenziellen Täter bereits angezeigt, habe die Schwester des Opfers gesagt. Diese habe den Täter auch erkannt. Eine Frau habe das Fluchtfahrzeug gefahren. Ein Motiv für die Tat ist am Samstag noch offen. „Wir ermitteln in alle Richtungen“, erklärte Staatsanwalt Henner Kruse am Mittag gegenüber dieser Redaktion.

Erste Befragungen der Ermittler gab es direkt in der Nacht. „Gegen halb vier hat die Polizei uns rausgeklingelt“, berichtet eine Anwohnerin der anderen Straßenseite. „Am Morgen kam dann der Leichenwagen.“ Die Anwohner sind fassungslos angesichts „dieses Dramas“.

Die Relikte des Notarzteinsatzes lagen am Samstagmittag noch auf einer Kommode im Hausflur.

Die Relikte des Notarzteinsatzes lagen am Samstagmittag noch auf einer Kommode im Hausflur. © Uwe von Schirp

Mittags deutet auf der Castroper Straße nichts mehr auf die Tat hin. Die Rolladen der Tatort-Wohnung sind herunter gelassen. Im Hausflur steht der Bewohner aus dem Dachgeschoss und schaut auf die Kommode gegenüber der versiegelten Wohnungstür. Eine Spritze, eine Kanüle und mehrere Ampullen liegen dort. Es sind offenkundig Beruhigungsmittel, mit denen der Notarzt die Schwester des Opfers behandelt hat.

Mit spitzen Fingern räumt der Mieter sie weg. „Ich werde meine Wohnungstür verstärken“, sagt er noch. Und geht nach oben.

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