„Man fühlt sich ausgeliefert und hilflos“ Therapeutin Birthe Kottmann erklärt, was hilft, wenn man betrogen wurde

Von Birthe Kottmann
„Man fühlt sich ausgeliefert und hilflos“: Therapeutin Birthe Kottmann
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Simone* (Name geändert), 44 Jahre alt, ist nach einer andauernden Affäre ihres Mannes in tiefer Verzweiflung, Trauer und Angst vor der Zukunft zu mir gekommen. Die beiden sind seit 13 Jahren verheiratet und haben zwei Kinder, 9 und 13 Jahre alt.

Simone hat große Angst vor der Zukunft, weil sie nicht weiß, wie es weitergeht und berichtet von überflutenden Gedanken und Bildern von der anderen Frau und ihr und ihrem Mann zusammen.

Das ist etwas ganz Typisches und wird von vielen Betroffenen ähnlich erlebt. Es ist wichtig, diesen Gefühlen erst einmal Raum zu geben. Es geht um das Aushalten und das Annehmen und darum, nicht bei sich die Schuld zu suchen – was Simone automatisch tat.

Mehrere Gefühle gleichzeitig

Immer wieder kommen Menschen zu mir in die Praxis, die nach einem Vertrauensbruch, einer Affäre, einem Betrug, einem Geheimnis, welches herauskam oder offengelegt wurde, auf einmal wieder alleine sind. Entweder trennen sie sich selbst nach dem Erkennen der Situation, sie wurden verlassen oder es ist noch unklar, wie es weitergeht.

Dies ist offensichtlich und verständlicherweise eine Situation, in der die Betroffenen sehr leiden. Jeder und jede, der oder die das einmal erlebt hat, wird wissen, wie schlimm sich das anfühlt. Dabei spielen hier gleich mehrere Gefühle und Emotionen eine Rolle, was es umso schwerer aushaltbar macht.

Als Erstes zeigen sich meist Ohnmacht, Trauer und Angst. Wut kommt in der Regel erst später – ich erkläre noch, wofür die jedoch wichtig und auch gut ist!

Kontrollverlust und Angst

Daneben zeigen sich häufig noch Gefühle wie Selbstzweifel, Scham und Schuld. Die Situation ist deshalb so schwer erträglich, weil es etwas ist, was sie nicht kommen gesehen haben, sich nicht selbst ausgesucht beziehungsweise nicht aktiv herbeigeführt haben.

Wir Menschen wollen gerne Sicherheit erleben in unseren Beziehungen und das geschieht durch Vertrauen und ein großes Maß an Vorhersehbarkeit in der Bindung. Ist dieses Vertrauen einmal erschüttert, fühlt man sich ausgeliefert und hilflos, was häufig ein Gefühl von Kontrollverlust und Angst mit sich bringt.

Nachdem es Simone gelungen war, all diese Gefühle anzunehmen und auszuhalten, habe ich ihr eine Atemtechnik zur Beruhigung des Nervensystems beigebracht, die sie nun jederzeit nutzen kann, wenn Angst oder Stress sie überfluten.

Eine hilfreiche Übung

Diese nennt sich „Box-Atmung“ und ist super einfach, sodass ich sie gerne hier teilen kann: Sie atmen fünf bis zehn Sekunden lang ein, halten den Atem für fünf bis zehn Sekunden, dann atmen sie fünf bis zehn Sekunden aus lang aus und dann halten sie wieder den Atem wieder für fünf bis zehn Sekunden. Die Übung können Sie täglich für mindestens fünf Minuten machen.

Nach der Trauer und dem Schock über den Vertrauensbruch kommt meist auch irgendwann die Wut. Die ist deshalb so wichtig, weil sie unserem System signalisiert, dass eine Grenze überschritten wurde.

Wie geht es nun weiter?

Wir nennen das eine „Trennungs-/Distanzierung-Aggression“, die uns erlaubt, wieder mehr an uns zu denken und nicht mit unseren Gedanken und Handlungen nur bei der anderen Person zu bleiben. In diesem Stadium kann man sich besser abgrenzen von der Situation und wieder mehr auf sich und seine Bedürfnisse achten und Dinge tun, die einem guttun: Freundinnen treffen, Sport machen, kreativ sein, etc.

Parallel dazu laufen bei Simone Gespräche und neue Verhandlungen für das Weiterführen der Beziehung mit ihrem Mann. Der hatte sich recht bald von der anderen Frau getrennt und will für seine Ehe arbeiten. Simone ist noch nicht klar, wie sie die Affäre verzeihen kann – da sie für sie eine unverhandelbare Grenze überschritten hat.

Die beiden hatten schon lange vorher Probleme miteinander, die sie nur wenig beachtet oder besprochen haben. Dieses Muster wollen sie nun versuchen zu verändern.

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