Sind Männer in Beziehungen emotionslos, Benedikt Bock? Was der Paartherapeut in seiner Praxis erlebt

Von Benedikt Bock
Sind alle Männer in Beziehungen emotionslos, Benedikt Bock?: Was der Paartherapeut in seiner Praxis erlebt
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Vor vielen Jahren besuchte ich eine Fortbildung zum Thema „Männerarbeit“. Ein damals schon lange in diesem Feld tätiger Kollege sagte: „Die Arbeit mit Männern ist das Bohren von sehr dicken Brettern.“ Ich hatte damals in der Tat diese Erfahrung auch machen müssen: Zu einem Abend, an dem es um die Rolle von werdenden Vätern im Kreißsaal ging, kam kein einziger Mann.

Aus alten Rollenbildern heraus gibt es auch heute noch die Erwartung an Männer, Gefühle eher durch Verdrängung zu regulieren, um jederzeit handlungsfähig zu sein. Dies zeigt sich bereits an den Gründen, aus denen sich Paare bei mir melden - je nachdem, wer von beiden sich anmeldet. Frauen fühlen sich häufig von ihren Partnern nicht gesehen und unterstützt. Sie beklagen dann fehlendes Verständnis und fehlendes Mitgefühl für ihre Situation. Das ist dann das, was sie als „emotional nicht verfügbar“ bezeichnen.

Männer wenden sich dagegen tendenziell dann für eine Paartherapie an mich, wenn sich ihre Partnerinnen von ihnen „entliebt“ und/oder körperlich von ihnen zurückgezogen haben. Die vorherige Distanzierung ihrer Partnerinnen haben sie in diesen Fällen nicht mitbekommen.

Frauen spüren die emotionale Wand

In meinem Praxiszimmer erlebe ich es allerdings selten, dass Männer wenig emotional sind. Sie sind dort wie Frauen genauso in der Lage, ihre Beziehung und die damit verbundenen Gefühle zu reflektieren. Durchaus können sie sich aber überfordert fühlen und sie dadurch eigenartig passiv wirken lassen. Man spürt die Wand, die die betroffenen Frauen erleben, man spürt aber auch die hohe Anspannung, wenn die betroffenen Männer sich dem Vorwurf der Unnahbarkeit ausgesetzt sehen.

Wie so oft lohnt sich auch hier ein Blick in die Kindheit der Klientinnen und Klienten. In Fällen wie diesen muss ich an die französische Psychoanalytikerin Christiane Olivier denken, deren Buch „Iokastes Kinder“ ich bereits in meinem Studium entdeckt habe. Sie nimmt darin an, dass eine Mutter als die erste und wichtigste Bezugsperson eines Kindes die Beziehung zum gegengeschlechtlichen Sohn enger gestaltet als zur gleichgeschlechtlichen Tochter. Ist der Vater fern oder gar abwesend, fehlt er als ausgleichende Bezugsperson, die es dem Sohn ermöglicht, sich aus der engen Beziehung zur Mutter zu lösen - eine Beziehung, die der Tochter gleichzeitig fehlt.

Die Konsequenz nach Olivier: Der Sohn muss den Kampf aus der Beziehung zur Mutter alleine führen, die Tochter bleibt in ewiger Sehnsucht nach einer engen Bindung, die sie weder bei Mutter noch bei Vater finden konnte. Als Mann hält der Sohn später zu seiner Partnerin eine gewisse Distanz und bleibt seiner Familie fern, die Tochter als Frau sucht später einen Mann, der bedingungslos bei ihr ist – und findet diesen ersatzweise bei ihrem Sohn, da ihr Partner nicht ausreichend verfügbar ist. Das Spiel droht sich also nach dieser Beschreibung in der nächsten Generation zu wiederholen.

Erziehung ist immer noch Frauensache

Man kann heute – gerade angesichts der wachsenden Vielfalt von Familienmodellen – viel gegen diese Beschreibung einwenden, die Gefahr läuft, die Verhältnisse stark zu vereinfachen. Die gesellschaftlichen Strukturen sind aber heute immer noch so, dass frühkindliche Erziehung fest in weiblicher Hand ist. Die Elternzeit wird überwiegend von den Müttern genommen (2022 beantragten sie im Schnitt 14,6 Monate).

Der Anteil der Väter, die den überwiegenden Teil der Elternzeit nehmen, ist noch immer verschwindend gering (im Schnitt beantragten Väter im Jahr 2022 3,6 Monate Elternzeit, was ziemlich wiederum zu Oliviers Modell passt). Bis weit in die 90er-Jahre hinein blieben Kinder nach Trennung ihrer Eltern überwiegend bei ihren Müttern; das Wechselmodell ist noch nicht so lange das als Standard angestrebte Betreuungsmodell. Viele heute erwachsene Männer sind als Kinder in diesen Strukturen ferner Väter und hoch gegenwärtiger Mütter aufgewachsen.

Beide wehren sich gegen das, was sie fürchten

Man muss nun wissen, dass keine der beiden Seiten ihr jeweiliges Handeln bewusst plant, sondern dass es unbewusst entsteht. Der Mann plant nicht die emotionale Abwesenheit, die Frau nicht die ständige Suche nach emotionaler Aufmerksamkeit. Sie wehren sich jeweils gegen das, wovor sie sich fürchten und was sie in der Partnerschaft vielleicht zu heilen versuchten: Der nicht verfügbare Mann wehrt sich gegen die ehemalige Verfügbarkeit, die darüber klagende Frau gegen die Erfahrung, - wieder einmal – nicht gehört und nicht gesehen zu werden.

In der Paartherapie lohnt es sich, bei diesen Konstellationen die familiären Herkünfte genauer anzusehen. Unbewusst bieten sich nämlich stets der Partner und die Partnerin an, wenn es darum geht, alte emotionale Muster aus der familiären Herkunft an ihnen wieder zu erleben. Die Partnerin und der Partner werden dann jeweils unbewusst mit dem zu nahen oder dem zu fernen und nicht verfügbaren Elternteil verwechselt. Wenn ich mit dem Paar einen Stammbaum erarbeite, findet sich fast immer das betreffende Muster wieder.

Ein Muster von vielen - aber ein häufiges

Lasse ich anschließend die Herkunftsfamilien mit Figuren aufstellen, wird diese Verwechslung oft gut sichtbar und erlebbar: Oft stehen Elternfiguren in einer Reihe mit denen, die die Partner repräsentieren. Die fordernde Partnerin „klingt“ dann für den Mann wie die einst fordernde Mutter, weil beide aus einer Richtung „sprechen“. Lässt man nach Lösungsbildern suchen, stehen Eltern- und Partnerfiguren oft an gut unterscheidbaren Plätzen. Die Partnerin ist dann nicht mehr der „Lautsprecher“ der in der Kindheit erlebten Mutter des Mannes, der Mann nicht mehr die Fortsetzung der vom Vater und der Mutter ausgehenden unerfüllten Sehnsucht.

Zweierlei versteht sich von selbst: Mit dem Umstellen von Figuren alleine ist es natürlich nicht getan. Denn auch innerlich braucht es die Unterscheidung zwischen der unangenehmen Erinnerung an die Mutter und der berechtigt bittenden Stimme der Partnerin. So wie in der Kindheit unerfüllte Nähe erst einmal betrauert werden muss. Und was mir immer wieder wichtig ist zu erwähnen, das ist, dass das hier beschriebene Muster nur eines von vielen ist, wenn auch ein gar nicht so seltenes.

Benedikt Bock (55) ist Diplom-Psychologe und Systemischer Therapeut mit Anerkennung durch die Systemische Gesellschaft (SG). Er arbeitet in seiner eigenen Praxis in Dortmund. Seit über 20 Jahren unterstützt er Paare und Einzelpersonen bei Problemen, die sich rund um die Themen Liebe und Beziehungen drehen. Dabei hat er entdeckt, dass Männer manchmal dankbar für einen eigenen geschützten Raum zum Reden sind. Näheres unter www.benedikt-bock.de.

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