Am Sonntagvormittag (19.01.) geht bei der Polizei Dortmund ein Notruf ein. Passanten hatten einen leblosen Körper an der Reinoldikirche entdeckt. Die Beamten vor Ort finden einen Toten vor. Bei einer Recherche vor Ort sagen Angehörige der Obdachlosen-Szene aus, dass der Tote ebenfalls obdachlos gewesen sein soll. Auch ein Küster und eine Pfarrerin kannten den Toten, er habe seit mehreren Wochen im Torbogen an der Reinoldikirche in Dortmund kampiert. Die Leiche wird am Vormittag abtransportiert. Mittags liegen nur noch Isomatte, ein paar Krücken, ein Schlafsack und weitere Gegenstände, die vermutlich dem Verstorbenen gehört hatten, am Fundort.
Einen Tag später sind sie verschwunden. Wo der Obdachlose sein Lager aufgeschlagen hatte, ist nun eine kleine Gedenkstelle mit einem Blumenstrauß und Kerzen. Schon kurz nachdem die Leiche gefunden wurde, vermuteten die Angehörigen der Obdachlosen-Szene, dass er erfroren sein muss.

Todesursache unklar
Ob das wirklich die Todesursache ist, kann die Polizei Dortmund nicht abschließend bestätigen, wie sie auf Anfrage der Redaktion mitteilte. Bisher kann Polizeihauptkommissar Kay-Christopher Becker nur so viel sagen: „Nach dem jetzigen Ermittlungsstand gibt es keine Hinweise auf ein aktives Einwirken eines Täters.“ Bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, könne es noch einige Zeit dauern. Der Tote an der Reinoldikirche ist in diesem Jahr der erste Sterbefall eines Obdachlosen unter freiem Himmel in Dortmund. Über seine Identität weiß die Polizei bisher nur, dass er ein 56-jähriger Deutscher war.
Das Straßenmagazin Bodo berichtet über 28 tote Menschen ohne festen Wohnsitz im Jahr 2023 und stützt sich auf Zahlen der Polizei Dortmund. Demnach starben drei davon neben anderen Ursachen auch an Unterkühlung. Alle drei waren Männer und erfroren im November 2023.
Aktuellere Zahlen hat die Polizei Dortmund. Laut Polizeihauptkommissar Kay-Christopher Becker ermittelten die Beamten 2024 in zehn Todesfällen von Wohnungslosen. „Davon wurde in drei Fälle eine Unterkühlung in Verbindung mit Alkoholkonsum festgestellt“, so Polizeihauptkommissar Kay-Christopher Becker. Bei den anderen Fällen habe es sich um Herztod, Alkohol- oder Drogenmissbrauch gehandelt. Ein Erfrieren als alleinige Todesursache festzustellen, sei schwierig, so der Polizeihauptkommissar, da häufig weitere gesundheitliche Probleme eine Rolle spielen.
Deshalb frieren viele Obdachlose in Dortmund
Das Problem, dass Obdachlose trotz großer Kälte im Freien übernachten, weil aus unterschiedlichen Gründen die offiziellen Übernachtungsstellen nicht nutzen können oder wollen, ist der Stadt durchaus bekannt. Und sie will gegensteuern. Zusammen mit dem Konzept für die Drogenhilfe und der Einrichtung eines neuen Dorgenkonsumraums sollen vom Rat am 13. Februar Maßnahmen mit weiteren Hilfen für Obdachlose auf den Weg gebracht werden.
Dazu gehören Übernachtungscontainer, die für zunächst drei Jahre probeweise an der Treibstraße und an der Gronaustraße in der Nordstadt aufgestellt werden sollen. Hier würden dann weniger strenge Regeln gelten als etwa in der städtischen Übernachtungsstelle an der Unionstraße. So soll zum Beispiel auf ein Alkoholkonsumverbot verzichtet werden und das Angebot auch Menschen ohne Sozialleistungsansprüchen zur Verfügung stehen. Die Hoffnung ist, Angehörige der Obdachlosen-Szene, die man mit den bisherigen Angeboten nicht erreichen kann, damit anzusprechen. So soll das verbotene Lagern und Campieren insbesondere im Umfeld des Hauptbahnhofs reduziert werden.
Außerdem soll am Schwanenwall ein Nachtcafé für Drogensüchtige und Obdachlose als nächtliche Aufenthaltsmöglichkeit ohne Übernachtung eingerichtet werden. Auch durch dieses Angebot soll „die Anzahl der nachts auf der Straße verweilenden Personen aus der Zielgruppe reduziert werden“, erklärt die Verwaltung. Für diesen Winter dürften beide neuen Angebote allerdings zu spät kommen.
Hilfe kommt zu spät
Genau das ärgert Alexandra Gehrhardt vom Straßenmagazin Bodo. Sie ist sich sicher: „Bis konkrete Pläne umgesetzt werden, ist der Winter vorbei.“ Ob der Tote an der Reinoldikirche nun erfroren ist oder andere Ursachen für den Tod verantwortlich sind: Der Kältetod ist ein Thema unter den Obdachlosen - kein Wunder, bei den anhaltenden Minustemperaturen. Menschen aus der Szene berichten Gehrhardt unter anderem, dass die Männer zunächst zur Übernachtungsstelle für Männer beim West-Center müssen, diese aber oft bereits ausgebucht ist.
Von dort müssen sie dann zu einer Station am Dortmunder Zoo, in der neben Obdachlosen auch Geflüchtete untergebracht werden. Die knapp fünf Kilometer lange Entfernung zu überwinden, sei für viele Obdachlose schwierig. „Zu Fuß ist es sehr weit. Für den Bus reicht oft das Geld nicht. Und manche sind körperlich oder psychisch auch nicht in der Lage, den Weg zu meistern“, so Gehrhardt.

Angst vor dem Kältetod
Auch gegenüber der Redaktion erzählen mehrere Obdachlose in der Wohnungslosen-Initiative Gast-Haus e.V. an der Rheinischen Straße davon, wie hart es aktuell auf der Straße ist. Die niedrigen Temperaturen sind in vielen Tischen Gesprächsthema.
„Ich habe schon oft am U-Turm, geschlafen“, sagt Thomas beim Frühstück für Obdach- und Wohnungslose. „Einmal lagen auf ein Mal ein paar Zentimeter Schnee auf meinem Schlafplatz. Aber erfroren bin ich zum Glück nicht.“ Er sagt: Je schlechter die allgemeine körperliche Verfassung, desto schwerer hat man es in der Kälte. „Wenn man ein abgemagerter Alkoholiker ist, ist Feierabend.“
Zwar würden viele denken, Alkohol würde von innen warmhalten, dabei sei das Gegenteil der Fall. Von dem Toten an der Reinoldikirche hat er schon gehört. Er hat sogar einen Verdacht, wer er sein könnte. „Wenn es der Mario war, wäre es sehr schade um ihn. Das war ein angenehmer Mensch.“ Noch hofft Thomas, dass ihm Mario heute noch über den Weg läuft.
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