„Es wird immer mehr“ Beschwerden über Obdachlosenlager am DOC-Ärztehaus in Dortmund

Beschwerden über Obdachlosenlager am DOC-Ärztehaus in Dortmund
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„Drogenkonsum, Spritzen, Fäkalien und aufgeschlagene Zeltlager, mitten in Dortmund vor dem Eingang des Gesundheitszentrums und niemand redet darüber!“ Diese Nachricht erhielt diese Redaktion über den „anonymen Briefkasten“. Wir haben uns am DOC („Dortmunder Centrum für Medizin & Gesundheit“) umgehört und -gesehen. In dem Gebäude untergebracht sind zahlreiche Arztpraxen, viele Patienten gehen ein und aus. In dem Gebäudekomplex befindet sich zudem die Volkshochschule (VHS). Es wird umrandet von der Kampstraße, Katharinenstraße, Schmidingstraße und Wallstraße.

In den vergangenen 30 Tagen schwankte die Temperatur in den meisten Dortmunder Nächten zwischen null und fünf Grad Celsius. An diesem Montagabend um kurz vor 10 Uhr abends stehen acht Grad in der Wetter-App. Es hatte tagsüber ein bisschen geregnet, aber vor der VHS ist es trocken – entlang der Fassade beugt sich das erste Stockwerk weit über das Erdgeschoss und schafft damit eine großräumige Überdachung, vor allem entlang der Kampstraße und am Haupteingang des DOC an der Katharinenstraße.

Die Volkshochschule an der Kampstraße - Passanten gehen bei Nacht vorbei. An der Gebäudewand sitzt ein Obdachloser.
Die Volkshochschule an der Kampstraße ist auch nachts noch beleuchtet. © Martin Teichert

Ein Unterstand als Schlafplatz

An der dunklen Ecke Backwerk/Schmidingstraße flattert neben einem abgestellten E-Roller ein herrenloser Schlafsack im Wind. Nur in vereinzelten Büros brennt noch Licht, die letzten Arbeiter packen unter dem Auge des strahlenden U-Turms zusammen. Durch eine angeschlagene Schiebetür kommt man noch ins warme Gebäude, aber hier ist kaum noch jemand.

Zur Kampstraße hin haben etwa fünf Obdachlose ein kleines Lager mit überfüllten Einkaufswagen und Schlafsäcken aufgebaut. Anscheinend schlafen sie alle schon. Ein komisches Gefühl – als platze man in jemandes Schlafzimmer, dabei ist es auch eine normale Straße. Die letzten Weihnachtsmarktbesucher verlassen gerade noch kleckerweise die Innenstadt.

Das DOC von außen. Viele Passanten gehen am Abend daran vorbei.
Das DOC (Dortmunder Centrum für Medizin & Gesundheit) beherbergt zahlreiche Arztpraxen. © Teichert

Mit etwa zwanzig Metern Höflichkeitsabstand liegen weitere drei Personen in Schlafsäcken am Gebäude und unterhalten sich. Barek und Tolek, so wollen sie nur genannt werden, kamen vor zweieinhalb Jahren aus Polen nach Deutschland. Nach einem Jahr im Kreis Unna haben sie sich vorerst Dortmund ausgesucht. Der Dritte in ihrem Bunde spricht kein Deutsch und verweist zurück an Barek. „Hier ist es gut, weil es überdacht ist“, sagt Tolek.

Das Ordnungsamt komme manchmal vorbei, sagt Barek, „aber wenn wir versprechen, morgens alles aufzuräumen, dürfen wir von 22 bis 6 Uhr hier bleiben“. Seit einigen Wochen würden sie hier jede Nacht schlafen, davor mal hier, mal da. Obdachlosenunterkunft? Schulterzucken.

Wenn die Lichter langsam ausgehen

Mittlerweile ist es halb 11. Die Mitarbeiter des Café Bernstein räumen im Außenbereich die letzten Dinge zusammen, die Weihnachtsmarktbuden sind längst zu, ein Sicherheitsmann spaziert um die Sankt-Petri-Kirche. Gegenüber der Sparkasse und des Intercity-Hotels an der Katharinenstraße liegt der Haupteingang zum DOC, der großflächig überdacht und beleuchtet ist. Dort steht eine Traube von etwa zehn Personen, die sich unterhalten.

„Die sind jede Nacht hier“, erzählt der Sicherheitsmann aus einiger Entfernung. „Die übernachten dort aber nicht, die laufen hier die ganze Nacht über die Katharinenstraße, offensichtlich auf Drogen.“ „Komm‘ denen nicht zu nah“, rät er.

Doch die Sorge entpuppt sich für diesen Abend als unberechtigt. Die Menschen am DOC stellen sich freundlich vor, sie seien obdachlos und Stammgäste des Café Kick, dem Drogenkonsumraum in der Dortmunder Innenstadt. Die breite und lange Bank vor den vielen Briefkästen des großen Gebäudes haben sie zur Drogentheke umfunktioniert. Dort liegen zig Utensilien von Pfeifen über Tütchen, Alufolienstücken und Zigarettenschachteln.

Da ist „Wiesel“, sein „Straßenname“, mit seinem ruhigen Hund Balou, Sascha und ein zweiter Sascha – er sitzt im Rollstuhl. Sie alle berichten ähnliches. „Wir sind hier, weil es ein guter Ort ist, um abends mal gesellig beisammen zu sein“, fasst Wiesel zusammen, während er mit einem Stück Alufolie hantiert. „Ich bin Opium-abhängig. Wenn ich das nicht regelmäßig nehme, habe ich unheimliche Schmerzen“, sagt er. Eine kurze Leine verläuft fest zwischen seinem Rumpf und Balous Halsband.

Leben und leben lassen?

Schlafen würde hier aber kaum und selten jemand, denn um 4 Uhr morgens käme schon jemand vom Gebäude und scheuche sie weg. „Wir sind aber sauber, wir räumen immer hinter uns her“, sagt Sascha, während er dem anderen Sascha drei Löffelbiskuits aus seiner Packung herüberreicht. Wiesel schlafe derzeit auf einem stillgelegten Gewerbehof am Wall, da habe man seine Ruhe; Sascha am Bahnhof oder mal hier, mal da.

Seit neun Jahren schon sei dieser Platz am DOC für ihn und seine Freunde der Abendtreffpunkt, wenn das Café Kick geschlossen hat. In eine offizielle Obdachlosenunterkunft wollen sie alle nicht, da werde man ständig beklaut oder müsse Angst um seine Gesundheit haben.

Mit dem Sicherheitsdienst des Gebäudes, dem Ordnungsamt oder der Polizei gebe es hier nur ab und zu Probleme. „Wenn wir einen Platzverweis bekommen, kommen wir eben zehn Minuten später zurück“, sagt Wiesel, aber meistens würden sie geduldet. „Es wäre schön, wenn es Nachtunterkünfte für uns geben würde, in denen man sich auch wirklich gut aufhalten kann“, fügt er an. Er lebe seit zwanzig Jahren in Dortmund.

Veränderung der vergangenen Jahre

Das Leben für Dortmunder Obdachlose, Bettler und Drogenabhängige sei in den vergangenen Jahren schwieriger geworden, erklären Sascha und Wiesel. Zwar seien die Bedingungen in Dortmund besonders gut – man komme leicht an günstige Drogen, die Dortmunder Passanten gelten als spendabel und die Behörden als nachsichtig –, aber das habe sich eben herumgesprochen. „Die kommen von überall her, Bochum, Essen, Hamm, Berlin.“

Ein Sprecher der Stadt erklärt auf Anfrage dieser Redaktion, dass der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) des Dortmunder Ordnungsamtes in dem Bereich in den vergangenen Wochen kaum illegales Campieren auf öffentlichen Wegen festgestellt habe, auch keine Zelte. Die Bereiche unmittelbar an dem Gebäudekomplex liegen in der Zuständigkeit der Privateigentümer.

Christoph Wimmeler ist Objektverwalter des DOC. Er gibt wieder, was die Reinigungskräfte berichten, die dort jeden Morgen gegen 6 Uhr ihre Arbeit antreten. Die Obdachlosen, die dort übernachten, würden dann meist von alleine wieder gehen, aber oft Müll, Spritzen, Urinlachen und Fäkalien hinterlassen.

Ein neutrales Foto des DOC-Gebäudes von außen bei Tag.
DOC – Dortmunder Centrum für Medizin & Gesundheit an der Ecke Kampstraße/Katharinenstraße © Dieter Menne (Archiv)

Ein externer Sicherheitsdienst versuche im Auftrag des DOC, die nächtlichen Gäste zu vertreiben. Derzeit würden Fachleute ein neues Sicherheitskonzept für das DOC erarbeiten. „Es sind arme Menschen, denen man helfen müsste, andererseits muss ich dafür Sorge tragen, dass das Gebäudemanagement des DOC funktioniert und die Besucher keine Angst haben müssen“, sagt Wimmeler. Manchmal würden Obdachlose auch versuchen, ins Gebäude zu kommen und gegenüber der Angestellten aggressiv werden.

„Man bräuchte weitere Räume“

Aus seiner Sicht gehen die Behörden kaum gegen das Phänomen vor, weil sie wissen, dass sie es nur verlagern können, aber nicht auflösen. Seit der Corona-Zeit sei die Zahl der Obdachlosen am DOC merklich gestiegen, so Wimmeler. Mehr Ausweichmöglichkeiten für Obdachlose zu schaffen, wäre aus seiner Sicht eine sinnvolle Maßnahme.

Direkt nebenan liegt seit elf Jahren das Café Bernstein. Geschäftsführer Kemal Arslan erzählt, dass der Bereich vor dem DOC schon seit Jahren abendlicher Treffpunkt für zehn bis zwanzig Leute sei, die dort Drogen nehmen und manchmal Zelte aufschlagen würden. Von Jahr zu Jahr seien es mehr geworden. Vor einem Jahr habe das Café einen Sicherheitsdienst engagiert, der dafür sorgen soll, dass im Außenbereich keine Gäste gestört werden. Seitdem würden sich im direkten Umfeld des Cafés keine Obdachlosen mehr aufhalten, auch nicht nachts.

„Ich rede ab und zu mit den Leuten vor dem DOC“, sagt Arslan, „aber ins Obdachlosenheim wollen sie nicht und wenn sie unter Drogeneinfluss stehen, ist eine Diskussion kaum möglich“. Er hoffe, dass die Stadt Lösungen findet, da das Problem nicht nur sein Café, sondern die ganze Innenstadt betreffe.

Von Vertretern der VHS, ihres Gebäudeverwalters, der Jaber Group, sowie des Sozialamtes erhielten wir auf unsere Anfragen keine Rückmeldungen. Die Drogenhilfeeinrichtung Café Kick hatte uns zu einer früheren Anfrage zurückgemeldet, dass sie keine Stellungnahmen zu Themen abgeben, die außerhalb ihrer Räumlichkeiten stattfinden.