Neue „lebensfeindliche Gartenkultur“ auf dem Vormarsch
Immer mehr Schotter statt Grün in Vorgärten
Immer mehr Hausbesitzer tauschen das Grün im Vorgarten gegen Kies oder Schotter aus – in der Hoffnung, dass das weniger Arbeit macht. Doch die Hoffnung trügt.

Ein umgestalteter Vorgarten in Dortmund: keine Augenweide, sondern ein öder Steinfriedhof ohne Nahrung für Insekten. Erstes Unkraut bahnt sich seinen Weg. © Stephan Schuetze
Vorgärten – das sind die Quadratmeter, die gemeinhin als Visitenkarte eines Hauses gelten. Diese Visitenkarte präsentiert sich zunehmend grau statt grün, nicht mehr als einladender Pflanzenteppich, sondern als eintönige Steinwüste aus Schotter, Split oder Kies. Darin ein paar einsame Gewächse, die wie Fremdkörper wirken. Für Insekten bieten diese toten Areale keinen Lebensraum und keinerlei Nahrung. Und ohne Insekten bleiben auch die Vögel weg. Artenvielfalt ade.
Finden kann man diese neue lebensfeindliche (Vor-) Gartenkultur inzwischen fast überall, vor Firmengebäuden und Privathäusern, aber vor allem in Neubaugebieten. Auch Dortmunder Gartenbaubetriebe spiegeln auf ihren Internetseiten den Trend zur Versteinerung wider. Dort wird gar der schönste Garten „gebaut“ und nicht gepflanzt.
Naturfreunde sehen rot
Für Ingo Klammer ist das nicht nur ein Dorn im Auge, sondern Stein des Anstoßes, über die Nachteile dieser versteinerten Flächen aufzuklären und die Natur in die Vorgärten zurückzubringen.
Ingo Klammer ist Gärtnermeister im Ruhestand, hat bis vor drei Jahren als Gartenfachberater auch die Dortmunder Kleingartenanlagen im Stadtverband der Gartenvereine betreut und ist noch immer als 2. Vorsitzender aktiv im Grünen Kreis. Angesichts des wachsenden Graus sieht er als Naturfreund rot: „Da kann ich mir doch gleich einen Einstellplatz fürs Auto machen.“

Diesen insektenfreundlichen, etwas wild anmutenden Vorgarten hat die Dortmunder BUND-Kreisgruppe in Eichlinghofen entdeckt. © BUND Dortmund
Vor ein paar Jahren hat er versucht, für den Stadtverband der Gartenvereine einen Landschaftsgärtner zu bekommen, der zum Thema Kies im Garten referiert; denn „die haben dazu beigetragen“, sagt er. Doch vergebens. Er habe keinen gefunden, „der das vortragen und die eigene Geschäftsidee kaputtmachen wollte. Die kommen mit dem Bagger, holen die Erde raus, legen Folie rein, schütten alles mit Kies oder Schotter wieder zu und setzen ein paar vereinzelte Pflanzen drauf.“
Für die meisten, bei denen sich Steine vor der Haustür breitmachen, steht der Wunsch nach einem pflegeleichten Garten im Vordergrund. Das geht aus einer Umfrage im Auftrag des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BFL) hervor. 80 Prozent der Befragten haben dieses Argument angeführt.
Nicht wirklich pflegeleichter
Dass Flächen, trist wie Mondlandschaften, pflegeleichter sind als grüne Vorgärten, sei ein Irrtum, sagt Klammer. Anfangs mögen die Steine ja noch gepflegt aussehen, doch spätestens, wenn das Laub von benachbarten Bäumen auf sie falle, müsse man es absammeln. Und das kann anstrengender werden als Unkrautjäten. Tut man es nicht, wird das verrottete Laub ein paar Jahre später zu einer idealen Basis für Löwenzahn- und Birkensämlinge, die in dem Humus keimen, der sich in den Steinen angesammelt hat. Mit der Folge, dass so eine Fläche nicht nur seelenlos, sondern auch verwahrlost aussieht. Klammer: „Dann hat man ganz andere Kulturen im Vorgarten, muss den Bagger holen und alles wieder rausreißen.“
Und weil es im Sommer keinen Schatten auf diesen Flächen gibt, würden bei starker Sonneneinstrahlung auch die spärlichen Alibi-Kübelpflanzen auf diesen Arealen eingehen. Klammer: „Das ist wie, wenn man einen Kochtopf auf den Herd stellt. Das bisschen Pflanzenleben, das noch da ist, wird verkocht.“
Offensichtlich hat auch der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BFL) genug von der steinreichen, toten Gartengestaltung. Bereits im letzten Jahr rief der Verband selbst die Kampagne „Rettet den Vorgarten“ ins Leben und startete in diesem Jahr auf NRW-Ebene einen Fotowettbewerb unter demselben Motto. Das hat Ingo Klammer für den Grünen Kreis dankbar aufgegriffen.
Auch für die Dortmunder Kreisgruppe des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist die neue Vorgarten-Vorliebe „eine Unsitte und ein großes Ärgernis“, sagt ihr Sprecher Thomas Quittek. Alarmiert von den Nachrichten über den dramatischen Insektenschwund, hat sich die Kreisgruppe im letzten Sommer des Themas angenommen und dazu eine kleine Ausstellung auf dem Heidemarkt im Botanischen Garten Rombergpark präsentiert.
Pflanzenauswahl hat großen Einfluss
„Geht man davon aus, dass etwa 50 Tierarten eine Pflanzenart besiedeln, wird klar, dass die Pflanzenauswahl einen enormen Einfluss auf das Vorhandensein oder das Wegbleiben von Tieren hat“, sagt Quittek. Sei erst mal eine geeignete, bodendeckende Bepflanzung da, stellten sich die Tiere von allein ein. „Steine als Bodendecker locken dagegen niemanden her.“
Zudem wirkten sich die monotonen Steinflächen negativ auf das Kleinklima im Wohnumfeld aus, sagt Hanne Blomberg-Winden, Fachberaterin beim Stadtverband der Gartenvereine. Kies- und Steinbeete seien in den Kleingärten nicht erwünscht, unterstreicht der Stadtverbandsvorsitzende Heinrich Jordan. „Das entspricht nicht einer gärtnerischen Nutzung.“ Eine direkte Vorschrift, die das untersage, gebe es zwar nicht, sagt Jordan, „aber wir sensibilisieren die Vorstände dafür, dass wir das nicht wollen.“ Um sich die Arbeit zu erleichtern, müsse man kein Kiesbeet anlegen, sondern könne es mit einer Blumenwiese versuchen. „Da haben die Insekten auch etwas von.“
Hanne Blomberg-Winden fasst es so zusammen: „Man tut der Natur kein Gutes, wenn man alles voll Steine wirft.“