Brandanschlag auf wohnungslose Frau (72) Opfer hat weiter Angst - hofft aber auf positive Effekte der Tat

Versuchter heimtückischer Morder: Nachtlager von wohnungsloser Frau angezündet
Lesezeit

In der Obdachlosenszene in Dortmund hatte sich der Fall schon herumgesprochen. Vor einigen Tagen hat jemand offenbar versucht, eine wohnungslose Frau anzuzünden, war zuletzt in mehreren Gesprächen auf der Straße zu hören.

Am Mittwoch bestätigte die Polizei Dortmund den Fall in einer Pressemitteilung: Bereits am 1. April habe ein unbekannter Täter das Nachtlager einer obdachlosen Frau in Dortmund angezündet. Eine Mordkommission wurde eingerichtet. Die Staatsanwaltschaft geht von versuchtem Mord aus Heimtücke aus.

„Wenn jemand das Nachtlager einer schlafenden Person anzündet, dann handelt er in dem Bewusstsein, dass die Schlafende das sich ausbreitende Feuer nicht bemerkt und der Lage schutzlos ausgeliefert ist“, sagte die zuständige Staatsanwältin Maribel Andersson.

Obdachlose konnte sich selbst retten

Die 72-jährige Obdachlose bemerkte das Feuer noch rechtzeitig, sie konnte sich aus der lebensgefährlichen Situation retten und erlitt nur eine Brandblase an einer Hand.

Diese zeigt sie, als wir die Frau am Mittwoch in der Dortmunder Innenstadt antreffen. Über den konkreten Vorfall möchte sie nicht sprechen – aus Angst, sie könne noch einmal in den Fokus geraten. Auch ein Foto lehnt sie ab. Sie hoffe aber, dass ihr Fall dazu beitrage, die Sicherheit in der Innenstadt zu verbessern – vor allem in der Nacht.

Es ist nicht das erste Mal an diesem Tag, dass sie auf den Vorfall angesprochen wird: Einem Reporter der Boulevardzeitung Bild hat sie erzählt, dass sie sich jede halbe Stunde einen Wecker stelle, damit sie nie wirklich in den Tiefschlaf falle, um nicht beklaut zu werden. „Das zermürbt einen mit den Jahren, jetzt hat es mir wahrscheinlich das Leben gerettet“, zitiert die Boulevardzeitung sie.

„Als ich wach wurde, brannte schon alles“, schildert sie der Bild die Ereignisse. Mit ihren Händen habe sie noch versucht, die Flammen auszuschlagen. Gesehen habe sie niemanden mehr. Der Bild sagte sie: „Ich weiß nicht, ob das gezielt gegen mich war.“

Die Tat hatte sich gegen 3.25 Uhr zugetragen. Das 72 Jahre alte Opfer hatte ihr Lager vor einem Eingang des Musikgeschäfts „Andrä“ in der Schwarze-Brüder-Straße aufgebaut und dort geschlafen.

Täter wird noch gesucht

Wie auf Videoaufnahmen einer Überwachungskamera zu sehen ist, kam mitten in der Nacht vermutlich ein Mann vorbei und zündete das Nachtlager an. Nach ihm wird gesucht. Der Hintergrund der Tat ist noch unklar. Nun soll geklärt werden, welche Handys zum Tatzeitpunkt in der Funkzelle eingeloggt war.

Dirk Andrä, Inhaber des Musikgeschäfts, ist durch die Polizei von dem Vorfall vor seinem Laden informiert worden. Er sagt: „Ich bin entsetzt.“

Dass durch das Feuer ein Sachschaden von rund 10.000 Euro entstanden ist, ist für ihn nebensächlich. „Die Hauptsache ist, dass der Frau nichts passiert ist.“ Sie habe unter dem Vordach vor dem Eingang häufiger übernachtet. „Wir haben das immer geduldet. Sie ist sehr umgänglich und intelligent. Mit ihr kann man sich prima unterhalten.“

Thomas, der am Mittwoch auf dem Markt bettelt, kennt die 72-Jährige ebenfalls. Einen Tag zuvor hat er von dem Vorfall gehört. Die Frau sei immer mit Rollatoren und einem Rollstuhl unterwegs, auf denen sie Kleidung sammle. „Die verteilt sie dann immer an andere, die gerade etwas brauchen“, sagt Thomas. „Sie ist sehr freundlich und hilfsbereit. Es trifft immer die falschen Leute.“

„Sie ist generell ängstlich“

Auch im Netzwerk der Wohnungslosen-Initiative bodo ist die 72-Jährige bekannt. Sie lebe schon seit einigen Jahren in Dortmund auf der Straße, sagt Bastian Pütter. Es sei generell ein schrecklicher Vorfall. Dass es zusätzlich aber noch diese Frau trifft, tut ihm besonders leid: „Sie ist generell ängstlich. Ich habe Sorge, dass sie sich dadurch nun weiter zurückziehen wird.“

Extreme Gewalt gegen Obdachlose ist für Tim Sonnenberg, der an der Fachhochschule zu Wohnungs- und Obdachlosigkeit forscht, eine Folge des Bildes, das gesellschaftlich von Obdachlosen vorherrscht. „Es drückt sich in Sätzen aus wie: ,Das sind minderwertige Leute, die sind selbst schuld an ihrer Situation.‘ Täter sehen sich so in ihren Gewalttaten legitimiert.“

Tim Sonnenberg forscht an der Fachhochschule Dortmund zur Lebenswelt Wohnungsloser in Dortmund.
Tim Sonnenberg forscht an der Fachhochschule Dortmund zur Lebenswelt Wohnungsloser in Dortmund. © Matthias Fritsch

„Besondere Brutalität“

Gewalttaten gegenüber Wohnungslosen seien leider gängig. In den Extremfällen sei „eine besondere Brutalität und insbesondere eine Entmenschlichung von wohnungslosen Personen“ festzustellen.

Sie seien permanent konfrontiert mit Beleidigung und Abwertung. „Die extreme Gewalt ist die Spitze eines alltäglichen Eisbergs. Das ist jeden Tag psychisch belastend“, sagt der Sozialwissenschaftler. Die alltägliche Bedrohung drücke sich auch bei der Wahl des Schlafplatzes aus: „Entweder so öffentlich, dass dich immer jemand schreien hört. Oder so versteckt, dass dich nie jemand findet.“

Mit Material von dpa