Nach den Überfällen auf Frauen fährt die Polizei eine große Such- und Informationskampagne. Je nach Ort fallen die Reaktion von Frauen unterschiedlich aus.
Die Reaktionen von Frauen auf die Sexualstraftaten in Hacheney, Lichtendorf und Westerfilde fallen unterschiedlich aus. Die Bolmke, südlich des Signal Iduna Parks und damit weit weg von einem der drei Tatorte, ist kein Ort der Angst. Anders ist die Atmosphäre in der Nähe des Tatorts in Westerfilde. Wir waren vor Ort.
Die Atmosphähre in der Bolmke
Es ist schön hier, in der mittäglichen Bolmke. Die hoch stehende Augustsonne scheint durch die Blätter und taucht die Wege in ein kühles, grüngoldenes Licht. Es ist so still zwischen den vielen Waldgeräuschen und dem Wind, dass man verweilen möchte, wenigstens für eine Stunde oder zwei …
Doch nachdem Berichte über vermehrte sexuelle Übergriffe auf Frauen an genau solchen Orten und zur hellen Tageszeit öffentlich wurden, liegt die Vermutung nahe, dass sich etwas verändert hat: an dem Gefühl, das Frauen haben, wenn sie alleine im Wald spazieren oder laufen gehen. Selbst tagsüber.
Eine ganze Reihe Menschen ist in der Bolmke unterwegs
Obwohl es unter der Woche um die Mittagszeit in der Bolmke besonders still ist, trifft man innerhalb einer halben Stunde eine ganze Reihe Menschen auf den schotternen Wegen. Zum Beispiel Natalie Datta (27), die mit drei Freundinnen und drei Hunden einen Spaziergang macht.
„Wir kommen alle aus der Nordstadt“, sagt sie mit einem Schmunzeln, das so viel bedeuten mag wie: Wir kennen das – uns an Orten zu bewegen, die andere für unsicher halten. Doch „nachts fühle ich mich in der Nordstadt sicherer als im Wald“.
Tagsüber kein Problem
Das habe nichts mit der aktuellen Berichterstattung zu tun, wer habe schon keine Angst, nachts, allein, im Wald: „In der Stadt sind einfach immer Leute, man ist nicht allein“, sagt sie – und es sei nicht so dunkel. Zwar beteuert eine der Freundinnen, selbst nach Sonnenuntergang regelmäßig spazieren zu gehen, doch einig sind sie sich in Bezug auf die hellen Stunden des Tages: Der Wald ist kein Problem.
Auch Maja Behling (44) will es sich nicht nehmen lassen, an einem schönen Tag, auch allein, einen der Dortmunder Parks oder Wälder aufzusuchen. „Wieso auch nicht? Da mache ich mir keine Gedanken“, sagt sie. „Außerdem bin ich groß und kann mich wehren.“ Sie lacht. Abends oder nachts, fügt sie an, fühle sie sich jedoch weniger wohl als bei Tageslicht.
„Im Hellen habe ich mich nie unsicher gefühlt“
Von sieben Frauen, die sich an diesem Donnerstagmittag (23.8.) in der Bolmke Zeit für die Gespräche nahmen, bleibt am Ende eine, die aufgrund der Nachrichten weniger entspannt vor die Tür geht: Anke Kipka ist 61 Jahre alt, eine ruhige Dame mit einem Mops, der Sternchen heißt. „Früher bin ich hier viel alleine spazieren gewesen“, sagt sie. „Im Hellen habe ich mich nie unsicher gefühlt.“
Doch zunehmende Berichte im Radio, Fernsehen oder in der Zeitung über Angriffe auf Frauen hätten sie verunsichert – vor allem auch die jüngsten Berichte. „Was mich besonders schockiert hat, ist, dass auch ältere Frauen angegangen wurden“, sagt sie. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal tagsüber Angst haben würde. Wehren könnte ich mich nicht, und weglaufen auch nicht.“
Doch auch sie hat sich am Vormittag die Schuhe angezogen und ist losgegangen. In die Bolmke, über geschotterte Wege im grüngoldenen Licht. Wie auch die vielen anderen Spaziergängerinnen befand sie sich an diesem Tag in starker, weiblicher Gesellschaft: mitten unter Frauen, die sich nicht einschüchtern lassen.
In Westerfilde herrscht ein anderes Klima
Ganz anders ist die Atmosphäre in Westerfilde, wo am Samstag um 21.45 Uhr eine Frau von dem Sexualstraftäter angegriffen und verletzt worden ist, sich aber befreien und entkommen konnte. Kriminalhauptkommissar Joachim Splittgerber und seine Kollegin Petra Ostermeier haben am Donnerstag an der Stadtbahn-Endstation in Westerfilde 50 intensive Gespräche überwiegend mit Frauen geführt.
Joachim Splittgerber über den Eindruck danach: „Die Stimmung ist angespannt. Gerade für die Bürger, die hier wohnen. Alle dachten vorher: Hier bei uns in Westerfilde kann so etwas nicht passieren. Wenn das passiert, dann ganz weit weg von uns. Irgendwo. Und wenn es auf einmal hier um die Ecke auf einem Spielplatz passiert, dann ist es total erschreckend, dass es doch nebenan geschehen ist.“

Kriminalhauptkommissar Joachim Splittgerber zeigt ein Handalarm-Gerät, mit dem Personen bei Gefahr einen sehr lauten und schrillen Ton auslösen können. © Peter Bandermann
Joachim Splittgerber und Petra Ostermeier verteilen Flugblätter mit Sicherheitshinweisen, warnen vor Bewaffnung und weisen auf das Phantombild hin, das den Mann zeigen soll, der innerhalb von drei Tagen fünf Frauen überfallen hat. Dabei hatten sie auch Kontakt zu drei Nachbarinnen, die das Opfer kennen.
Dass die Unsicherheit in Westerfilde größer ist als in andere Bereichen, sei nachvollziehbar. „Die Bürger, die jetzt hier aus der Straßenbahn oder dem Bus aussteigen, wohnen rund um den Tatort.“ An der Westerfilder Endstation treffen S-Bahn, Stadtbahn und eine Buslinie aufeinander. Viele Bürger steigen ein und aus und bleiben an der mobilen Wache stehen, um sich das Phantombild einzuprägen und die Sicherheitshinweise durchzulesen oder der Polizei zuzuhören. Die Gespräche verlaufen sachlich, die Verunsicherung ist spürbar.
Pöbler plädiert für die Selbstjustiz
Ein Mann, etwa 40 Jahre alt, fällt aus dem Rahmen. Er taucht laut polternd auf, fuchtelt mit den Armen herum, hat links ein blaues Auge, ist nach eigenen Angaben ein Türke und plädiert pöbelnd für Selbstjustiz: „Diese Schwarzköppe muss man alle weghauen. In Huckarde machen wird das auch. Da haben wir eine Bürgerwehr gegründet und gehen abends durch die Straßen, weil wir Angst um unsere Frauen und unsere Kinder haben. Ich gehe jetzt erstmal Gas kaufen.“ Er meint Pfefferspray, das er seiner Familie aushändigen möchte. Der Kriminalhauptkommissar will ihn beruhigen. Vergeblich. Der Mann zieht fluchend weiter.
Viel ruhiger verlaufen die Gespräche mit verunsicherten Frauen, die im Notfall ein Gerät einsetzen möchten. Die Polizei rät von einer Bewaffnung, zum Beispiel mit Pfefferspray ab, weil der Täter sein Opfer entwaffnen und die Waffe selbst einsetzen kann. Petra Ostermeier führt einer Bürgerin ein handelsübliches Handalarm-Gerät vor. Der Ton ist unerträglich schrill – und lässt sich nicht mal eben abstellen. Das Gehäuse, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel, ist so stabil, dass man es nicht zertreten kann. Der Ton soll Aufmerksamkeit erzeugen und den Täter vertreiben.
Im Dortmunder Süden groß geworden, mittlerweile Innenstadtbewohnerin. Hat an der TU Dortmund Musik mit Hauptfach Orgel, Germanistik und Bildungswissenschaften studiert, studiert jetzt zusätzlich Musikjournalismus. Seit 2010 bei den Ruhr Nachrichten. Schreibt am liebsten über Kultur und erzählt Geschichten von Menschen.
Jahrgang 1967, geboren in Barop. Aufgewachsen auf einem Sportplatz beim DJK TuS Körne als Torwart. Lebt jetzt im Loh. Fährt gerne Motorrad. Seit 1988 bei den Ruhr Nachrichten. Themen: Polizei, Feuerwehr und alles, was die Großstadt sonst noch so hergibt. Mag multimediales Arbeiten. 2015 ausgezeichnet mit der "Goldenen Viktoria" für Pressefreiheit.
