
© Dieter Menne (A)
Nach Tod von Borchardt: Wie geht es weiter mit der Dortmunder Nazi-Szene?
Interview mit Prof. Borstel
Mit Siegfried Borchardt ist eine Galionsfigur der Rechtsextremen in Dortmund gestorben. Was bedeutet das für die Nazi-Szene in der Stadt? Wir haben einen Experten gefragt.
Siegfried Borchardt, genannt SS-Siggi, ist am Sonntag (3.10.) im Alter von 67 Jahren gestorben. Borchardt war seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene aktiv, hat in den 80er-Jahren die rechtsextreme Hooligantruppe „Borussenfront“ gegründet und gehörte später der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) an. Zuletzt war er Kreisvorsitzender der Partei „Die Rechte“, für die er auch zeitweise in der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord und 2014 zwei Monate im Rat saß.
Doch was bedeutet Borchardts Tod für die Nazi-Szene in Dortmund? Um das einzuordnen, haben wir Prof. Dr. Dierk Borstel, Experte für Rechtsextremismus und Sozialwissenschaftler an der Fachhochschule (FH) Dortmund, gefragt.
Herr Prof. Borstel, trägt der Tod Borchardts weiter zum Niedergang der ohnehin geschwächten Strukturen der Neonazis bei?
Siegfried Borchardt war zuletzt schwer krank. In der rechtsextremen Szene hat ihn überregional schon niemand mehr ernst genommen – außer als Ikone. Der harte Kern von „Die Rechte“ hat Borchardt nur noch benutzt. Das hat funktioniert, weil er aufgrund seiner Geschichte und seines Äußeren provozierte. Auch schon bei der Kommunalwahl 2014 wurde er nur noch vorgeschoben.
Die rechtsextreme Splitterpartei „Die Rechte“ hat auf ihrer Homepage ein Gedenken angekündigt. Ist zu befürchten, dass sie ihn über seinen Tod hinaus benutzt?
Die Gefahr besteht, dass „Die Rechte“ seine Beerdigung für irgendeine Art der Provokation nutzt. Ich kann mir auch vorstellen, dass Rechtsextremisten aus der ganzen Bundesrepublik kommen.
Wie könnten denn solche Provokationen am Grab aussehen?
Indem zum Beispiel ein Hakenkreuz oder ähnliches aufs Grab gelegt wird, wie schon bei anderen Beisetzungen geschehen.
Wann ist der Einfluss von Borchardt geschwunden?
Siegfried Borchardt wurde von der Nazi-Szene schon lange nicht mehr gebraucht. Anfangs war er Mentor der Szene. Er hatte das Adressbuch und die Kontakte zu rechtsextremen Netzwerken wie „Blood and Honour“. Diese Funktion hat er zuletzt nicht mehr ausgefüllt. Die Jüngeren, die die organisatorische und ideologische Führungsrolle übernommen haben, brauchten das nicht mehr.

Prof. Dr. Dierk Borstel, Sozialwissenschaftler und Experte für Rechtsextremismus: „Die Dortmunder Neonazi-Szene ist gewaltig geschrumpft.“ © Foto: (A)
Für Samstag hat „Die Rechte“ eine erste Versammlung zu Borchardts Tod angemeldet. Ist mit weiteren Demos zu rechnen?
Sie haben ihn zwar zuletzt immer wieder benutzt, und es kann auch sein, dass sie das über seinen Tod hinaus tun, um mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Aufmerksamkeit zu bekommen. Es hängt davon ab, wie die Beerdigung wird.
Wie meinen Sie das?
Für mich hat jeder Mensch ein Recht auf Würde, und dazu gehört auch eine Beerdigung im Todesfall im Kreis von Freunden und Verwandten. Die Frage ist, ob es beim Gedenken an den Toten bleibt oder ob die rechtsextremen Kräfte die Zusammenkunft nutzen werden, um darüber hinaus neue, politische Aktionen zu verabreden. Bisher habe ich dazu aber keine Hinweise gefunden.
Ist zu befürchten, dass sein Grab zur Gedenkstätte für Neonazis wird?
Es ist möglich, dass alte Weggefährten mal an seinem Grab stehen werden, aber bei den jüngeren Neonazis hatte er nicht den Ruf, der ihm zugeschrieben wird.
Wie steht es zurzeit überhaupt um die Dortmunder Nazi-Szene? Der selbsternannte Nazi-Kiez in Dorstfeld war zuletzt im Niedergang, auch weil führende Köpfe in den Osten Deutschlands abgewandert sind.
Die Dortmunder Nazi-Szene ist geschwächt, ihre Mobilisierungskraft ist gewaltig geschrumpft. „Die Rechte“ in Dortmund reduziert sich auf einen kleinen, sehr radikalen Kern, der weder in der Zivilgesellschaft noch im sozialen Leben Fuß fassen konnte und keine politische Durchschlagskraft hat. Sie haben keine Idee, wie sie mit der AfD umgehen sollen. Sie sind in der Sackgasse gelandet. Ihre Struktur wurde dauerhaft geschwächt. An diesem Erfolg hatte die Polizeiarbeit der letzten Jahre einen entscheidenden Anteil.
Stellvertretende Leiterin der Dortmunder Stadtredaktion - Seit April 1983 Redakteurin in der Dortmunder Stadtredaktion der Ruhr Nachrichten. Dort zuständig unter anderem für Kommunalpolitik. 1981 Magisterabschluss an der Universität Bochum (Anglistik, Amerikanistik, Romanistik).
