Tür an Tür mit einem Mordverdächtigen Holzwickeder Nachbarn schildern SEK-Einsatz

Tür an Tür mit einem Mordverdächtigen: Nachbarn schildern SEK-Einsatz
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Stundenlang hat die Polizei am Sonntag (19.1.) ein Mehrfamilienhaus in Holzwickede observiert, erst dann ist der Moment gekommen. Ein Spezialeinsatzkommando dringt in eine Wohnung im ersten Stock ein. Dort vermuten die Polizisten den Mörder der Krankenschwester Sarah U. aus Dortmund-Huckarde.

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt sitzt eine Etage tiefer Matthias S. (41) vor seinem Computer. Der unbescholtene Nachbar ahnt nichts von den anrückenden Polizisten. „Auf einmal hat es gescheppert, gerumst“, erzählt er rückblickend drei Tage später. „Wir dachten, dass vielleicht einer die Treppe heruntergefallen ist oder so.“

Was Matthias S. zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Sein Nachbar von oben steht unter Mordverdacht, das SEK hat dessen Wohnung gestürmt. Der Holzwickeder (33) soll seine Ex-Freundin in deren Wohnung in Dortmund-Huckarde mit einem spitzen Gegenstand erstochen haben, befindet sich auf der Flucht.

Aushang der Polizei mit Informationen über eine gewaltsame Türöffnung.
Der Grund für die gewaltsame Öffnung der Wohnungstür des Mordverdächtigen steht auf einem Aushang der Kreispolizei Unna im Treppenhaus: „Sonstiges“. © Carsten Fischer

Matthias S. geht nach dem lauten Rums zur Wohnungstür und öffnet sie. „Dann hat aber von oben jemand runtergerufen: Polizei! Gehen Sie bitte wieder rein.“ Aber das kann ja jeder behaupten. „Ich dachte, da bricht vielleicht jemand ein, weil das so geholpert hat.“

Also sieht sich Matthias S. draußen um, trifft dort auf einen „jungen Kerl mit Kappe“, wie er sagt. „Der meinte dann auch, er wäre von der Polizei. Ich sollte wieder reingehen. Dann habe ich halt durch den Türspion geguckt.“ Durch das winzige Guckloch erspäht er bewaffnete Polizisten „in voller Montur“.

Als der Zeuge die dramatischen Momente des SEK-Einsatzes von Sonntagabend rückblickend schildert, steht er im Hausflur. Drei Tage sind seit dem Überraschungsbesuch der Polizei vergangen, und Matthias S. beschäftigt der Gedanke, dass der freundliche Nachbar von oben, den er nur flüchtig kannte, ein Mörder sein könnte. „Der hat mit uns mal Silvester vor drei Jahren ein Bier getrunken“, sagt der Bewohner des Hauses.

Auch seine Mitbewohner Thomas R. und Sandy R. sind schockiert über das Verbrechen, das der 33-Jährige begangen haben soll. „Ich kann über ihn nichts Negatives sagen“, sagt Thomas R., „er war schüchtern, zurückhaltend, aber nett“, sagt Sandy R. über den Nachbarn.

Zivilfahrzeug der Polizei vor dem Haus

Die Haustür öffnet sich und ein Paar mit drei Kindern betritt den Hausflur, der sich nun weiter füllt. Es sind die Nachbarn, die in der Wohnung über dem Mordverdächtigen wohnen. Alle haben nach dem schrecklichen Verbrechen offenbar Gesprächsbedarf.

Familienvater Oliver K. berichtet, dass ihm am Sonntag zuerst ein Auto neben dem Haus auffiel. „Ich habe noch zu meiner Frau gesagt: So einen Mercedes Vito hätte ich auch gerne“, erzählt der 44-Jährige. Der Mercedes entpuppt sich als Zivilfahrzeug der Polizei.

Dann gesteht Oliver K. seinen Nachbarn, dass er schon vor dem lauten Rums Bescheid gewusst habe. Die Polizeibeamten hätten ihn einige Zeit vor dem Zugriff beiseite genommen, als er noch einmal aus dem Haus gegangen sei. Sie hätten ihn nach Informationen über die Örtlichkeit gefragt. „Sie wollten wissen, was wo ist.“

Lachend sagt Oliver K zu seinen Nachbarn: „Die wussten auch, dass Ihr hier wohnt.“

Keiner der anwesenden Nachbarn hat den mordverdächtigen Hausbewohner näher als flüchtig gekannt. Alle sagen, dass der 33-Jährige zurückgezogen gelebt habe, dass er mutmaßlich auch länger abwesend war. Das ging so weit, dass Matthias S., der selbst Hunde besitzt, sich Sorgen machte um die Katzen in der Wohnung des 33-Jährigen über ihm. Der Nachbar oben habe ein oder zwei Katzen besessen, die man am Fenster gesehen habe.

„Ich habe ihn einmal auf den bestialischen Gestank der Katzen angesprochen“, sagt Oliver K., der über dem 33-Jährigen wohnt. „Wir haben das gerochen, wenn er mal ein Fenster aufgemacht hat.“

Dann habe es auch noch das Problem mit der Heizung im Haus gegeben, fügt Thomas R. hinzu. Aus der Wohnung des 33-Jährigen seien störende Heizungsgeräusche gekommen, aber die Monteure seien nicht in die Wohnung gelassen worden.

Amtliches Siegel der Kreispolizei Unna.
Amtliches Siegel der Kreispolizei Unna an der mit einer Spanplatte verrammelten Wohnungstür des Mordverdächtigen. © Carsten Fischer

Als die Beamten am Sonntagabend gegen 19.30 Uhr die Wohnungstür aufbrechen, ist außer einer oder zwei Katzen niemand da. Erst am Tag darauf wird der 33-Jährige in Bremerhaven gefasst, später wird Untersuchungshaft wegen Mordverdachts verhängt. Das Opfer, tot aufgefunden am Sonntag, starb laut Obduktion drei bis vier Tage zuvor.

War der Mordverdächtige zwischenzeitlich noch einmal in seiner Holzwickeder Wohnung, um Katzen zu füttern und um Post abzuholen? Nachbar Oliver K. weiß das nicht, hat aber der Polizei von einem Brief erzählt, den er aus dem Briefschlitz ragen sah, der dann aber verschwand.

Der Dortmunder Oberstaatsanwalt Carsten Dombert äußert sich nicht zu Ermittlungsdetails, bestätigt aber, dass „ein Tier oder Tiere“ aus der Holzwickeder Wohnung gerettet wurden.

Der mordverdächtige Holzwickeder, der sich gegenüber dem Ermittlern bislang nicht zu dem Mordvorwurf äußerte, soll aus Bremerhaven nach Dortmund überstellt werden.