Mittwoch geht‘s los. Mehrere 100.000 Menschen werden zum Evangelischen Kirchentag erwartet. Anstasia ist 17. Sie freut sich auf den Kirchentag, auch wenn sie eher an griechische Götter glaubt.

Dortmund

, 18.06.2019, 15:04 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Stadt hat sich rausgeputzt für das größte Ereignis seit dem Halbfinale bei der Fußball-WM 2006. Baustellen sind abgeräumt, Löcher in Straßen und Wegen provisorisch geflickt, Blumenbeete angelegt, Rollrasen-Stücke verlegt und Blumenampeln aufgehängt. Wenige Stunden, bevor am Mittwoch um 17.30 Uhr die Eröffnungsgottesdienste beginnen, stehen die Bühnen, sind Lautsprecher und Lichtanlagen gecheckt. Fünf Tage lang wird die Stadt bis Sonntag zur zentralen Gebets-, Diskussions-, Feier- und Happening-Arena der Republik. Rund 90.000 Dauerteilnehmer werden dabei sein, mehrere zehntausend kommen als Tagesgäste und weitere zehntausende werden einfach nur mal vorbeischauen. Dortmund ist bereit und fordert von großen Kirchentags-Plakaten Besucher und Bewohner auf: „Freu dich drauf“.

Anastasia Sorhagen gehört zu denen, die genau das tun. „Ich freu mich wirklich drauf“, sagt die 17-jährige Schülerin der Dortmunder Geschiwster-Scholl-Gesamtschule. Und das meine sie nicht nur, weil sie - wie die meisten anderen Dortmunder Schülerinnen und Schüler - ab Mittwoch bis zum Ende des Kirchentags unterrichtsfrei hat. Die Schulen werden schließlich als Sammelunterkünfte für die vielen tausend Gäste benötigt.

Griechische Götter als Konkurrenz

„Ich finde es eine schöne Sache, auch wenn meine Familie nicht so viel mit Religion zu tun hat“, sagt Anastasia. Sie hockt in der Sonne auf einer der mehr als 150 in der City aufgestellten grasgrünen Kirchentags-Bänke und schleckt ein Eis. Sie sei zwar evangelisch getauft und vor drei Jahren auch konfirmiert worden, aber eine enge Bindung an die Kirche habe sie nicht. „Aber in der Schule haben wir viel über den Kirchentag geredet. Ich finde es wichtig, sich Gedanken über religiöse Themen zu machen. Das ist mir auch persönlich wichtig.“

Dabei habe sich ihre Glaubensvorstellung in jüngster Zeit gewandelt: „Ich glaube eher an die alten griechischen Götter als an das Christliche“, sagt Anastasia. Wie bitte? „Ja, ganz ehrlich. Meine Oma ist Halbgriechin und die hat mir viel über die alten griechischen Mythen und Sagen erzählt. Das finde ich spannend.“

Anastasia Sorhagen (17) freut sich auf den Kirchentag in Dortmund - obwohl sie alles andere als eine gewöhnliche evangelische Christin ist.

Anastasia Sorhagen (17) freut sich auf den Kirchentag in Dortmund - obwohl sie alles andere als eine gewöhnliche evangelische Christin ist. © Ulrich Breulmann

Der Kirchentag hat mehr als 2300 Veranstaltungen im Programm, griechische Götter kommen darin nicht vor. Dafür tauchen alle Stichworte auf, die derzeit in Kirche, Politik und Gesellschaft diskutiert werden. Bischöfe und Wirtschaftsbosse, Minister, der Bundespräsident und die Kanzlerin werden über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, über Christen, Muslime und Judentum, über Europa und die Rolle der Geschlechter, über Demokratie und Eigentum, über die Weitergabe des Glaubens und die Rolle von Kirche in der Zukunft reden und diskutieren.

Vertrauen als große Klammer

Dazwischen wird gebetet, meditiert, gefeiert und viel gesungen. Die gemeinsame Klammer bildet das der Bibel entnommene Leitwort des Kirchentags: „Was für ein Vertrauen“. Ein Thema, hinter dem Hans Leyendecker zu 100 Prozent steht. Leyendecker, ein renommierter Journalist, ist Präsident des Dortmunder Kirchentags. Er sehe Vertrauen als „Gegengift für die Untergangsstimmung in der Welt“, sagt er.

Und was ist mit dem Missbrauch?

Beim Kirchentag wird es auch um missbrauchtes Vertrauen gehen, allerdings wird der sexuelle Missbrauch innerhalb der Evangelischen Kirche nicht ausdrücklich thematisiert. Leyendecker betont, dass man im Vorfeld darüber intensiv diskutiert habe. „Ich halte das in der Tat für ein sehr wichtiges Thema. Wenn eine Kirche, die sich auf Jesus Christus beruft, solche Verbrechen deckt, sie nicht aufklären will, keine Archive öffnet, nicht mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet, keine Prävention macht, nicht über strukturelle Dinge, die Missbrauch begünstigen, reden will, dann zieht ihr das den Boden weg“, sagte Leyendecker unserer Redaktion.

Allerdings habe man sich dagegen entschieden, das Thema zu einem Schwerpunkt zu machen. Zum einen sei die Augfklärungsarbeit innerhalb der Evangelischen Kirche auf einem guten Weg, zum anderen seien bei dieser sensiblen Thematik geschützte Räume notwendig, im Interesse der Betroffenen und Opfer, sagt Leyendecker.

In die Petrikirche ist ein Wald eingezogen - eine der ungewöhnlichsten Aktionen des Kirchentags.

In die Petrikirche ist ein Wald eingezogen - eine der ungewöhnlichsten Aktionen des Kirchentags. © Ulrich Breulmann

Eine feste Struktur für alle Tage

Der Dortmunder Kirchentag hat, wie all seine Vorgänger, eine feste Struktur. Am heutigen Mittwoch findet nach Eröffnungsgottesdiensten auf dem Friedensplatz, auf dem Hansaplatz und am Ostentor ein „Abend der Begegnung“ statt, zu dem über den ganzen Abend verteilt bis zu 200.000 Besucher in der City erwartet werden.

Die „Arbeitstage“ des Kirchentags von Donnerstag bis Samstag beginnen mit Gebeten am Morgen und Bibelarbeiten, danach folgen Diskussionsforen – oft auch zu politischen Themen – Gottesdienste, Vorträge und Kulturveranstaltungen bis hin zu „Gebeten zur Nacht“. Traditionell werden am Freitagabend sogenannte Feierabendmahle in den beteiligten Gemeinden der Stadt gefeiert.

Der große Schlusspunkt

Schlusspunkt ist ein großer Abschlussgottesdienst am Sonntag (23.6.) um 10 Uhr , zu dem bis zu 100.000 Menschen zusammenkommen. Er findet parallel im Signal Iduna Park (mit Platz für 70.000 Teilnehmer) und an der Seebühne im Westfalenpark (mit Platz für mehr als 30.000 Teilnehmer) statt.

Anastasia hat keine Dauerkarte für den Kirchentag: „Ich werde mich einfach ein wenig umschauen und stöbern“, sagt sie. Auf jeden Fall wolle sie versuchen, dabei zu sein, wenn ihre Klassenkameradinnen bei einem Konzert mitwirken. Ansonsten lasse sie sich überraschen: „Und meinen kleinen Bruder nehme ich mit. Der ist elf.“ Er hat die Konfirmation noch vor sich und (noch) nichts zu tun mit griechischen Göttern.