„Meine Beine haben gezittert“ Manfred (74) von Jugendlichen angegriffen - die Angst ist immer noch da

Umzingelt und bedroht: Fast blinder Mann wird im Scharnhorst Zentrum von Jugendlichen
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„Meine Beine haben gezittert“, erinnert sich der 74-jährige Manfred Mertins. „Das fängt auch jetzt wieder an, wenn ich darüber nachdenke. Der Schreck sitzt tief.“

Der sehbehinderte Mann wurde, so berichtet er, vor wenigen Tagen, am 2. Juli, von Jugendlichen bedroht. Mitten am Tag. Unsere Berichterstattung zum Thema Jugendkriminalität in Scharnhorst hat ihn ermutigt, sein Erlebnis öffentlich zu machen.

„Es war so gegen 16 Uhr“, sagt er. „Ich war auf dem Weg ins Krankenhaus, um meine Frau zu besuchen.“ An der U-Bahn Haltestelle Scharnhorst Zentrum sei es dann zu dem Zwischenfall gekommen, berichtet er.

Drohten, Foto zu löschen

Mertins geht die Treppe zur Haltestelle hoch, will ein Foto von einer zerstörten Wandverkleidungen machen. Sieben männliche Jugendliche scheinen sich dadurch provoziert zu fühlen, berichtet der Senior: „Als die gesehen haben, dass ich ein Foto mache, kamen sie auf mich zu."

Die Jugendlichen, laut seiner Aussage 13 bis 16 Jahre alt, sollen Manfred Mertins angepöbelt und bedroht haben: „Sie haben gesagt: Alter, das Foto löschst du!“ Außerdem hätten sie ihn aufgefordert, ihnen sein Smartphone zu geben. „Ich habe gesagt: Ich gebe euch gar nichts.“

Mertins vermutet, dass die Jugendlichen eventuell beteiligt gewesen sein könnten am Vandalismus an der Treppe - und deshalb wollten, dass die Bilder auf dem Smartphone gelöscht werden.

Diese zerstörte Wandverkleidung an der U-Bahnhaltestelle wollte Manfred Mertins fotografieren, als plötzlich sieben junge Männer auf ihn zukamen.
Diese zerstörte Wandverkleidung an der U-Bahnhaltestelle hat Manfred Mertins fotografiert. © Annalena Koch

Mertins will weitergehen, in Richtung Aufzug, der hoch auf das Gleis führt. „Ich habe gesagt: Ich muss meine Bahn kriegen“, erzählt er, „damit ich aus der Situation rauskomme.“ Doch die Jugendlichen hätten sich nicht so leicht abwimmeln lassen: „Am Aufzug haben sie mich eingekesselt.“

Die Angreifer platzierten laut Mertin sogar eine Sperrbake vor dem Aufzug. „Das haben die dahingestellt, um mir den Weg zu versperren“, ist er sicher.

Handgreiflich werden die Jugendlichen nicht, so der 74-Jährige. „Ich glaube, da hätte aber nicht mehr viel gefehlt. Ich war so erleichtert als dann jemand kam.“ Denn zu Mertins Glück seien ihm zwei Männer zu Hilfe geeilt.

Flucht in den Aufzug

„Da sind zwei Herren gekommen, so im Alter zwischen 35 und 40“, so Mertins. „Die sind zu den Jugendlichen am Fahrstuhl hin und haben sie verscheucht.“ Mit zitterigen Beinen steigt Manfred Mertins nach dem Vorfall in die U-Bahn.

Die Polizei hat Mertins aufgrund des Vorfalls nicht kontaktiert. „Ich war zu nervös und durcheinander und habe da gar nicht drüber nachgedacht“, sagt er. Und er meint: „Es lohnt sich sowieso nicht. Ich kann niemanden identifizieren. Nach einigen Wochen würde ich dann bestimmt einen Bescheid kriegen, dass das Verfahren eingestellt wurde.“

Mertin ist nämlich fast blind: „Ich habe Grauen Star. Das fing vor fünf Jahren an.“

Inzwischen sieht Mertins auf dem rechten Auge gar nichts mehr. Auf dem Linken hat er noch eine geringe Sehfähigkeit. Das Emblem an seiner Kleidung - drei schwarze Punkte auf gelbem Grund - und der Taststock lassen sofort erkennen: Hier handelt es sich um einen Menschen mit starker Sehbehinderung.

Bis vor einigen Jahren hat er ehrenamtlich mit Jugendlichen in Scharnhorst gearbeitet: „Ich kann es nicht verstehen, warum junge Menschen so etwas machen“, sagt er. „Wir haben hier ein neues Jugendzentrum geöffnet und zusätzlich gibt es Sportvereine. Da kann man doch als junger Mensch hingehen, wenn man Langeweile hat.“

Seit 48 Jahren in Scharnhorst

Die Entwicklung in seiner Heimat Scharnhorst nimmt Mertins negativ wahr: „So oft, wie man hier das Ordnungsamt und die Polizei sieht: So langsam kippt unser Stadtteil um“, sagt er. Den Grund sieht er vor allem im Scheitern der Integration einzelner Einwohner: „Ich würde da niemals die Allgemeinheit sehen. Es sind immer nur kleine Gruppierungen, die so etwas machen.“

Die Liebe zu seiner Heimat hat er trotzdem nicht verloren. „Ich wohne jetzt 48 Jahre hier. Ich kenne Scharnhorst wie meine Westentasche und das Leben in diesem Stadtbezirk war eine reine Freude - und das werde ich mir nicht kaputt machen lassen.“

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